Montag, 29. Juli 2013

Zersiedlung und Chancengleichheit

Detroit ist ein Symbol des Verfalls der alten Wirtschaft. Atlanta hingegen verkörpert den Aufstieg von Sun Belt (Anm. d. Red. Sonnengürtel: Region der USA zwischen Florida und Südkalifornien), schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Stranded by Sprawl“) am Montag in NYTimes.

Doch in einem wichtigen Punkt sieht die boomende Atlanta genauso wie die pleite gegangene Detroit aus: es sind Orte, wo die Kinder der Armen grosse Schwierigkeiten haben, auf der Leiter der Wirtschaft zu klettern. In der Tat ist die soziale Mobilität in Atlanta sogar niedriger als in Detroit. Und sie ist in beiden Städten niedriger als z.B. in Boston oder San Francisco, auch wenn diese Städte deutlich langsamer gewachsen sind als Atlanta, beschreibt der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008).

Was ist also los mit Atlanta? Eine neue Studie („The Equality of Opportunity Project“) deutet darauf hin, dass die Stadt zu „unstrukturiert gewachsen“ (spread-out) ist. Atlanta ist der „Sultan von Sprawl“ (Zersiedlung), viel mehr ausgebreitet als andere grosse Städte von Sun Belt. Damit ist ein wirksames öffentliches Verkehrsnetz fast unmöglich zu bewerkstelligen. Als Ergebnis finden sich benachteiligte Arbeitnehmer oft verlassen und hilflos. Es mag irgendwo möglicherweise Jobs geben. Aber sie können dorthin buchstäblich nicht gelangen, legt Krugman dar.

Die scheinbar inverse Beziehung zwischen Zersiedlung und der sozialen Mobilität verstärkt offensichtlich den Fall für ein „intelligentes Wachstum“ in urbanen Strategien. Aber es trägt auch eine lang anhaltende grosse Debatte darüber, was mit der amerikanischen Gesellschaft geschieht. Ja, er sei nicht die einzige Person, die die neue Studie liest und sofort an „William Julius Wilson“ denkt, so Krugman.



Zersiedlung versus soziale Mobilität, Graph: Prof. Paul Krugman

Vor einem Vierteljahrhundert hat Mr. Wilson, ein angesehener Soziologe argumentiert, dass die Nachkriegs-Entwicklung der Beschäftigung von Innenstädten in die Vororte Afro-amerikanischen Familien einen schweren Schlag versetzt hat, durch die Beseitigung von ökonomischen Chancen, gerade dann, als die Bürgerrechtsbewegung die explizite Diskriminierung abgeschafft hatte.

Und Wilson argumentiert weiter, dass soziale Phänomene wie die Prävalenz von alleinerziehenden Müttern, die oft als Ursache für die nachhinkende Performance der schwarzen Familien zitiert wird, die tatsächlichen Effekte waren. Das Wesen Familie wurde durch das Fehlen von guten Jobs untergraben.

In diesen Tagen wirken auch traditionelle Familien unter working-class Weissen viel schwächer. Warum? Die neue Forschung über soziale Mobilität legt nahe, dass die Zersiedlung auch eine Rolle spielt, nicht nur die Fortbewegung der Arbeitsplätze aus der Stadt, sondern auch, dass sie ausserhalb der Reichweite der vielen weniger wohlhabenden Bewohner der Vorstädte geraten.

Krugmans Beobachtung bestärkt deutlich den Fall für eine Politik zu Gunsten von Familien ohne Autos. Aber man muss das Ganze auch im grossen Kontext einer Nation sehen, die ihren Weg verloren hat, die Chancengleichheit predigt, aber immer weniger Chancen für diejenigen bietet, die es am meisten benötigen.

Keine Kommentare: