Samstag, 6. Juli 2013

Steht die EU-Haushaltspolitik vor einer Revision?

Der Einschätzung der Europäischen Kommission nach beträgt Spaniens Produktionslücke (output gap) 4,6% des BIP.

Kann es sein? Die Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 26.9%. Doch findet die gegenwärtige Methodik der EU, dass die Produktionslücke in Europa im Allgemeinen relativ gering ist. Die Kommission der EU geht davon aus, dass die natürliche Arbeitslosigkeit (*) in Spanien 23% beträgt. Das hört sich absurd an. Weil es bedeuten würde, dass Spanien, wenn die Arbeitslosigkeit von 27% auf 23% zurück fiele, Vollbeschäftigung hätte. Das kann doch nicht wahr sein. Zum Glück hat Spanien immer wieder Zweifel an der EU-Methodik in Sachen Haushaltspolitik geäussert.

Nun sieht es so aus, wie WSJ in einem lesenswerten Artikel („Europe’s Austerity Hangs in Budget’s Balance“) berichtet, als ob die EU über eine Änderung der Budget-Politik nachdenken würde. Es ist zu erwarten, dass daraus eine Auflockerung der harschen Austeritätspolitik folgt.

Paul Krugman schreibt in seinem Blog dazu, dass die EU nun einsehe, dass das Produktionspotenzial (potential output) in Schuldner-Ländern bislang unterbewertet und die natürliche Arbeitslosigkeit überschätzt wurde. Deshalb ist das Ausmass der aufgezwungenen Fiscal Austerity insgesamt unterschätzt worden.

Brüssel hat jetzt in Reaktion auf die Kritik eine Output Gap Working Group gebildet, um die Defizitregelung der EU zu überprüfen.

Aufschwung, nicht der Abschwung ist der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen. In der EU gilt aber bisher genau das Gegenteil, was dazu führt, dass sich Restriktionen im Hinblick auf den Haushalt ergeben, wenn die Wirtschaft zur Schwäche neigt.



Spaniens strukturelles Defizit, Graph: WSJ, July 4, 2013


Das Haushaltsdefizit wird in Europa in eine strukturelle und in eine zyklische Komponente zerlegt. Die strenge Anwendung des 3%-Kriteriums des Stabilitäts- und Wachstumspakts unterscheidet m.a.W. zwischen zyklischen und strukturellen Komponenten.

Die zyklische Komponente verschwindet, wenn die Wirtschaft sich erholt. Die strukturelle Komponente wird mit Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen bekämpft. Strukturelle Defizite sind i.d.R. geringer als zyklische Defizite, weil, wenn die Wirtschaft wächst, die Steuereinnahmen steigen und die Ausgaben für Arbeitslosigkeit und andere Programme für soziale Sicherheit abnehmen.

Die Frage ist aber, wie viel des europäischen Haushaltsdefizits strukturell und wie viel das Ergebnis der schwachen konjunkturellen Entwicklung ist? Brüssel vertritt die Ansicht, dass das Haushaltsdefizit gegenwärtig fast gänzlich strukturell ist, was natürlich die harsche Austeritätspolitik rechtfertigt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die EU das Augenmerk im Allgemeinen irgendwie gerne nach dem strukturellen Defizit richtet. Die Output Gap Working Group soll jetzt herausfinden, wie die Produktionslücke adäquat gemessen werden kann.

Die Produktionslücke (output gap) gibt die Differenz zwischen Produktionspotenzial und tatsächlicher Produktion an. Das strukturelle Defizit ergibt sich aus dem aktuellen Haushaltsdefizit minus Produktionslücke (output gap). Die Produktionslücke ist also eine wichtige Komponente des strukturellen Defizits.

Fazit: Es steht fest, dass die aktuelle Methodik der EU zu perversen Ergebnissen führt: Das strukturelle Defizit erscheint grösser als sonst, was mehr Austerität erfordert. Die natürliche Arbeitslosigkeit wird erhöht. Die Produktionslücke erscheint niedrig, was wiederum ein höheres Niveau vom strukturellen Defizit erzeugt. Folglich werden noch mehr Ausgabenkürzungen verlangt. Und so weiter, und so weiter. Die Output Gap Working Group will sich im September zusammentreffen, um über die Methodik in Bezug auf die Bemessung der natürlichen Arbeitslosigkeit und der Produktionslücke zu beraten.

(*) Mit der natürlichen Arbeitslosigkeit ist die nicht-konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit gemeint.

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