Buchbesprechung:
Mark Blyth: Austerity. The History of a Dangerous Idea. Oxford University Press, Oxford, New York, 2013.
Die Austerität gilt nicht nur als „Wirtschaftspolitik“,
sondern auch als eine zusammenhängende Reihe von ökonomischen Ideen. Mark Blyth zeigt
in seinem Buch überzeugend auf, dass die
Austerität im Hinblick auf beide Aspekte fehlschlägt. Die Austerität führt nämlich
dazu, dass die Verschuldung zunimmt.
Wenn Ökonomen solche Art von Fragen untersuchen, sind
sie nicht in der Lage, Laborexperimente durchzuführen, wie z.B. ein Chemiker
oder Physiker es tun würde. Volkswirte sind stattdessen auf historische Daten
angewiesen und sie hoffen mittels „natürliche Experimente“ über historische
Episoden hinweg neue Erkenntnisse zu gewinnen, damit sie verschiedene Theorien
der Makroökonomie testen können.
Die Great Recession bietet ein wichtiges „Feldexperiment“ (natural experiment) an. Denn während einige Länder wie z.B. Griechenland und Italien die Sozialausgaben drastisch senkten, und damit einer
Austeritätspolitik folgten, erhöhten andere Länder wie z.B. Island die Ausgaben und setzten damit
eine Wirtschaftspolitik à la Keynes um.
Blyth stellt vor diesem Hintergrund einen Vergleich
der unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Massnahmen der betreffenden
Regierungen in Bezug auf die Grössenordnung und die Zusammensetzung an, nicht
nur in Folge der Finanzkrise, sondern auch im historischen Verlauf (1692-1942
sowie 1942-2012). Die intellektuelle Geschichte der Austerität ist allerdings
relativ kurz. Die natürliche Geschichte ist sogar noch kürzer. Die Botschaft
des Buches ist aber klar: Austerität funktioniert nicht.
Der Autor unterstreicht von Anfang an, dass das, was
heute als Staatsschuldenkrise vermarktet wird, nichts anderes als eine
Lockvogeltaktik ist. Der an der Brown University lehrende Wirtschaftsprofessor trifft bereits im ersten Kapitel
seines Buches den Nagel auf den Kopf: Austerität ist nicht einfach der Preis
für die Rettung der Banken, sondern auch der Preis, der, wie Banken wollen,
andere zahlen sollen. Die Euro-Krise ist nichts anderes als die einschneidende
Folge der übermässigen Bank-Leverage und eines ziemlich schwachen
Risiko-Managements.
Die Austerität ist eine Idee der Zombie Economics: (a) sie funktioniert in der Praxis nicht, (b) die Armen zahlen für
die Fehler der Reichen und (c) sie beruht auf der Abwesenheit eines ziemlich
grossen Trugschlusses der Verallgemeinerung (fallacy of composition), die in der modernen Welt allzu präsent ist.
Der Autor erklärt alle Sachverhalte und Phänomene wie
Sparparadoxon (paradox of thrift),
Trugschluss der Verallgemeinerung (fallacy
of composition), disintermediation, moral hazard, Verbriefung (securitization), credit crunch, haircut,
internal deflation, liquidationism, Goldstandard usw., was mit
der Austerität zu tun hat.
Wiederholungen lassen sich nicht immer vermeiden: Am
Schluss des Buches hält Blyth fest, dass die Austerität nicht funktioniert.
Basta. Wenige Fälle, die für die Austeritätspolitik sprechen, sind auf
Währungsabwertungen und akkommodative Verträge mit Gewerkschaften
zurückzuführen.
Der Drang zu Austeritätspolitik in Europa war jedoch
nicht nur ideologisch. Es gab auch materielle Gründe: Die Rettung der
TBTF-Banken auf Kosten des Staates. Der Euro hat das Problem auf Touren
gebracht und die Wirtschaft Europas zu einem Fall des klassichen Goldstandards gewandelt. Gab es aber
keine Alternative? Der Autor denkt über die Kosten der Austeritätspolitik nach
und kommt zum Schluss, dass man die Banken hätte vielleicht pleitegehen lassen
sollen. Wenn die Alternative nichts anderes bedeutet als ein Jahrzehnt oder
mehr Austerität, dann gilt es, zu überlegen, ob die Kosten des systemischen
Risikos schlimmer wären als die Kosten der Austerität?
Was sagt der Vergleich der Fälle Irland und Island aus?
Irland ist dem Mantra der Austerität gefolgt, die
Staatsausgaben harsch gekürzt und die Banken des Landes gerettet. Island hat
die Banken pleite gehen lassen, die Landeswährung abgewertet, Kapitalkontrollen
eingeführt und Sozialhilfemassnahmen getroffen. In Irland ist die Wirtschaft (BIP)
2011, nach der Schrumpfung im Jahr 2008 um fast 7%, wieder geringfügig (d.h.
+0.71%) gewachsen. Aber es darf nicht vergessen, dass es multinationale
Unternehmen (wie z.B. Google, Apple, Microsoft, Facebook usw.) waren, die
aufgrund der niedrigen Steuersätze ihren Hauptsitz in Irland haben, die dem
Boom der Wirtschaft beitrugen. Betrachtet man das BSP (statt BIP), ist das
Wirtschaftswachstum sogar um 2,5% zurückgegangen.
In Island hingegen sind dank der Nicht-Rettung der
Banken die Reallöhne gestiegen und die zunehmende Ungleichheit (zwischen 1995
und 2007) wurde rückgängig gemacht. Wie der Autor dokumentiert, lässt sich die
Erfahrung der REBELLs (Rumänien,
Estland, Bulgarien, Lettland und Litauen) nicht auf Südeuropa übertragen. Kann
aber der Fall Island trotzdem verallgemeinert werden? Ja, da es nicht um die
Grösse des Landes, sondern um die Grösse der Banken im Vergleich zur Grösse der
Wirtschaft geht, das Verhältnis der Aktiva der Banken im Vergleich zum BIP. In
Island betrug der Wert 10 zu 1. In den USA etwas mehr als 1 zu 1. Island hat
nicht nur überlebt, sondern wurde auch gesünder. Der Autor zieht v.a. zwei
Lehren aus dem Fall Island in Bezug auf die naturhistorische
Austeritätspolitik: (1) wenn man genau das Gegenteil von Austerität macht,
überlebt man und man gedeiht obendrauf. (3) die Banken müssen nicht gerettet
werden.
Wie soll es aber nun weiter gehen? Inflation,
Deflation, Abwertung und Zahlungseinstellung (default) haben alle ihre Nachteile. Was übrig bleibt, ist financial repression. Die financial repression ist eine Art Steuer für Anleihebesitzer. Wenn Steuern, dann für die
Topverdiener; da gibt es laut Blyth genug Spielraum: Die Besteuerung der
Spitzenverdiener ist einfach die Rückführung der Rettungsmassnahmen (bailout) an die Steuerzahler.
Fazit: Die expansive Sparpolitik
(expansionary austerity, d.h. die Behauptung, dass die Kürzung der
Staatsausgaben zu einem Anstieg der Produktion führen würde) ist eine
hyperbolische neoliberale Fantasie. Die Vertreter dieser Ideologie sind Wissenschaftler
wie Alesina und Ardagna.
Die Arbeitslosigkeit steigt im Euroraum seit der
harschen Gürtel-enger-schnallen-Politik praktisch jeden Monat. Eine kontraktive
Haushaltskonsolidierung in einem Abschwung ist und bleibt kontraktiv. Eine front-loaded fiskalische Kontraktion
verschlimmert die Schuldenstandsquote (debt-to-GDP). Wie der IWF im Oktober 2012 in einer Forschungsarbeit
festhält, wurden die fiskalpolitischen Multiplikatoren in der Eurozone massiv
unterschätzt. Die Austerität tötet
Menschen und Volkswirtschaften. Ein lehrreiches Buch. Unbedingt lesenswert.
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