(Nur für Streber)
Die EU-Haushaltspolitik unterscheidet zwischen einem strukturellen und einem zyklischen Defizit. Es ist jedoch offensichtlich, dass Brüssel das Augenmerk auf die strukturelle Kompontente des Haushaltsdefizits richtet. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das strukturelle Defizit sich aus dem aktuellen Haushaltsdefizit bereinigt um die Produktionslücke (output gap) ergibt.
Das heisst, dass die Produktionslücke eine wichtige
Komponente des strukturellen Defizits ist. Die Produktionslücke gibt
andererseits die Differenz zwischen dem Produktionspotenzial und der
tatsächlichen Produktion an.
Es ist daher entscheidend, eine Ahnung davon zu haben, wie
viel die Wirtschaft produzieren könnte
und sollte, und wie niedrig die Arbeitslosigkeit gehen könnte und
sollte. Das Ganze ist nicht nur aus Sicht der Fiskalpolitik, sondern auch aus
Sicht der Geldpolitik wichtig.
Wie wird aber das Produktionspotenzial geschätzt? Es gibt
hauptsächlich zwei Methoden, erklärt Paul
Krugman in seinem Blog.
Die eine (1) überprüft auf das bisherige Niveau der
Produktion und/oder der Arbeitslosigkeit und verwendet im Grunde genommen einen
gewichteten Durchschnitt aus der Vergangenheit, um zu schätzen, was normal und
vermutlich angemessen ist.
Die andere (2) achtet auf die Inflation und versucht, die
Arbeitslosigkeit, die mit der Preisstabilität im Einklang steht,
herauszufinden.
Die beiden Methoden scheitern jedoch gänzlich, wenn die
Wirtschaft schwer angeschlagen ist, d.h. unter Depression Bedingungen leidet,
wie z.B. heute der Fall ist.
Schwankungen der Arbeitslosigkeit um den Mittelwert (3 Jahre), Graph: Prof. Paul Krugman
Die erste Methode basiert auf der Erfahrung, dass die
Schwankungen der Arbeitslosigkeit sich tendenziell schnell wieder dem
Mittelwert nähern. Dieser Mittelwert kann sich aber im Laufe der Zeit ändern,
sodass man es laut Krugman „als ein Signal-Extraktion Problem“ betrachtet und
eine Art Filterung Methode benutzen muss, um den gegenwärtigen Mittelwert zu
schätzen, was dann als „natürliche“
Rate interpretiert wird. In der Praxis bedeutet dies die Verwendung eines
gewichteten Durchschnitts der relativen Arbeitslosigkeitquoten.
Das Problem ist aber, dass historische Umpolung auf den
Mittelwert einen gewissen Prozess der Erholung nicht widerspiegelt. Es zeigt
die Massnahmen der Zentralbanken, die die Zinsen senken, wenn die Wirtschaft
sich abschwächt und die Zinsen erhöhen, wenn die Wirtschaft sich wieder erholt.
Wenn die Wirtschaft aber schwer angeschlagen ist, und die nominalen Zinsen nahe
Null (zero lower bound) liegen, dann funktioniert der Mechanismus nicht, was zu einer
anhaltenden Arbeitslosigkeit führt,
welche die Filter-Methode als einen Anstieg der „natürlichen“ Rate der Arbeitslosigkeit (auf
Deutsch auch als Sockelarbeitslosigkeit genannt) interpretiert.
Krugman zeigt in der Abbildung die Arbeitslosenquoten versus die Veränderungen
der Arbeitslosenquote über die nächsten drei Jahre.
Wie man sehen kann, schwankt die Arbeitslosenquote stark auf
und ab. Es gab aber in der Vergangenheit eine Tendenz für höhere Werte, die von
einem schnellen Rückgang der Wirtschaft begleitet werden (V-förmige
Erholungen).
Aber nicht diesmal. Denn die Fed findet sich in einer „pushing on a string“ Situation. Ein Ansatz wie Hodrick-Prescott Filter würde die
Entwicklung als einen Anstieg der natürlichen Arbeitslosigkeit interpretieren
(*). Krugman hat bereits 1998 in einer Forschungsarbeit unterstrichen, dass die
damals verwendeten Methoden zur Schätzung des Produktionspotenzials
(Potenzialwachstum) zum Schluss kamen, dass die US-Wirtschaft in den 1930er
Jahren 1935 wieder zurück auf Vollbeschäftigung wäre.
Wie steht es mit der zweiten Methode?
Historisch steigt die Inflation tendenziell, wenn die Arbeitslosigkeit
niedrig ist und fällt, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist. Zur Zeit gibt es
eine hohe Arbeitslosigkeit mit mehr oder weniger stabilien Kerninflation.
Typische Modelle würden dies als einen Anstieg der natürlichen Arbeitslosigkeit
deuten, von z.B. 5,5% auf 8,0%. Aber die Entwicklung reflektiert laut Krugman
die stickeness der Inflation auf
niedrigen Niveaus. Die langfristige Phillips-Kurve ist nicht vertikal, dank der
nach unten starren Nominallöhne (nominal wage rigidity). Und diese Realität ist
von zentraler Bedeutung, was sich gerade abspielt.
Fazit: Wenn es sich nur um technische Probleme
handeln würde, von keiner Bedeutung für die reale Welt Politik! Aber es ist
nicht so. Eine Unterschätzung der Produktionslücke führt zu Forderungen nach
mehr und mehr Austerität und einer übermässigen Selbstgefälligkeit bei Zentralbanken,
legt Krugman dar, was die Depression verlängert. Es ist also eine gute
Nachricht, dass zumindest jemand in Brüssel sich bewusst wird, dass die falsche
Einschätzung von output gap ein Problem darstellt und sich darüber Gedanken
macht.
(*)
Ein konkretes Beispiel aus der Schweizer Wirtschaft im Hinblick
auf die Schätzung der Produktionslücke (output gap):
Die Produktionslücke belief sich in der Schweiz im ersten
Quartal 2013 (Quelle: SNB, June 2013)
Nach Produktionsfunktionsansatz: auf -1,3%
Nach Hodrick-Prescott Filter:-0.7%
Nach Multivariater Filter: -0.7%.
Schweiz Produktionslücke (output gap), Graph: SNB,
Quartalsheft 2/2013
Die verschiedenenen Schätzungen spiegeln die
unterschiedlichen Ansätze zur Berechnung des Produktionspotenzials wider.
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