Freitag, 17. Dezember 2010

Angebotspolitik holt Voodoo Economics zurück

Markt ist nervös, lauten die Schlagzeilen in den vergangenen zwei Wochen in den Medien. Warum? Wegen der Aussichten auf enorme Haushaltsdefizite. Es wird aber dabei geflissentlich vergessen, dass die enormen Kosten der Bankenrettung die Staatsschulden treiben. Wenn viele EU-Mitglieder derzeit unter Schulden ächzen, sind die milliardenschweren Rettungspakete für Abzocker in den Führungsetagen der grossen Banken dafür verantwortlich. Mehr als die Hälfte der Neuverschuldung geht auf Rettungsmassnahmen (bailout) zurück. Obendrauf überschlagen sich die Führungsspitzen der Demokraten und der Republikaner plötzlich in lauter Übereinstimmung über die Notwendigkeit grösserer Steuersenkungen, wie Simon Johnson in einem interessanten Essay („Voodoo Economics Revisited“) in Project Syndicate bemerkt. Deutet der parteiübergreifende Konsens darauf hin, dass sich ein neues, stärkeres Amerika anbahnt? Das Gegenteil ist der Fall. Johnson, der ehem. Chefökonom des IWF hält die parteiübergreifende Einigkeit für einen sehr gefährlichen Ansatz hinsichtlich der öffentlichen Finanzen.

Ronald Reagan hat 1980, als Bush sich um die Nomierung als republikanischer Präsidentschaftskandidat bewarb, behauptet, dass Steuersenkungen sich bezahlt machen würden, weil dadurch die Einnahmen steigen würden (Angebotspolitik). Wenn man aber Steuern senkt, nimmt man weniger ein und das führt zu einem grösseren Haushaltsdefizit. Die moderne republikanische Partei scheint jedoch heute sich vollkommen dem Motto von Reagan gewidmet zu haben: „Staat ist Problem. Markt ist Lösung“, wie Paul Krugman in seiner lesenswerten Freitagskolumne („Wall Street Whitewash“) in NYT hervorhebt. Die Partei-Loyalisten sind heute gewillt, die Fakten, welche mit dem Motto nicht in Einklang stehen, anzupassen. Die Rede ist von dem überparteilichen Untersuchungsausschuss (FCIC), welcher gesetzlich beauftragt wurde, die Ursachen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA zu überprüfen. Die Hoffnung beruhte darauf, dass daraus eine moderne Version der Pecora-Untersuchung der 1930er Jahre hervorginge, welche Missbrauch-Fälle an der Wall Street dokumentieren und den Weg für Finanzreform ebnen würde. Stattdessen ist der Ausschuss entlang Partisanen-Linien zusammengebrochen. Es gibt nicht einmal über die grundlegendsten Punkte eine Übereinstimmung, wie Krugman bemerkt. Es ist nicht so, als ob die Geschichte der Krise besonders dunkel wäre, erklärt der Nobelpreisträger: Zunächst gab es eine weit verbreitete Immobilien-Blase, nicht nur in den USA, sondern auch in Irland, Spanien und anderen Ländern. Die Blase wurde durch unverantwortliche Kreditvergabe aufgeblählt, ermöglicht durch Deregulierung und die fehlende Aufsicht über die „Schatten Banken“ (shadow banks), welche von der herkömmlichen Regulierung nicht abgedeckt wurden. Die „Schatten Banken“ waren aber in Banking-Aktivitäten engagiert und sie haben Bank-Risiken hervorgebracht. Dann platzte die Blase, mit äusserst schwerwiegenden Folgen. Es stellte sich heraus, dass Wall Street ein Netz von gegenseitiger Kopplung (interconnection) erzeugt hatte, was niemand genau verstanden hat, sodass der Ausfall von Lehman Brothers, eine mittelständische Investmentbank das Scheitern des ganzen Weltfinanzsystems drohte. Nun wurde durch einen Bericht von Shahien Nasiripour in Huffington Post bekannt, dass alle vier Republikaner im Untersuchungsausschuss (Financial Crisis Inquiry Commission) beschlossen haben,  die folgenden Begriffe aus dem Abschlusbericht zu streichen:

Deregulation,
Shadow Banking,
Interconnection,
Wall Street.

Es ist schwer, zu überschätzen, wie verbohrt all das ist.



Shadow Banking Liabilities (Verbindlichkeiten) in Trillionen $, Graph: Fed New York, July 2010


Fazit: „Am Ende sind diejenigen von uns, die erwartet haben, dass die Krise zu einem lehrreichen Aha-Erlebnis führen müsste, haben Recht, aber nicht in der Art, wie wir es erwartet haben. Was wir gelernt haben, ist, was passiert, wenn eine Ideologie, die durch Reichtum und Macht gesichert ist, mit unbequemen Fakten konfrontiert wird. Und die Antwort ist, dass die Fakten verloren gehen“, schlussfolgert Krugman.



Keine Kommentare: