Freitag, 3. Dezember 2010

Wie wahrscheinlich ist Zahlungsverzug in Europa?

ie Frage der Stunde in Europa, die lautet, ist trügerisch einfach: Wird ein Euro-Land in absehbarer Zeit in Zahlungsverzug geraten? Die Antwort dieser Frage hängt davon ab, wie man die Staatsanleihen aus Portugal, Spanien, Italien, Belgien und vielleicht einem anderen Land betrachtet, schreibt Simon Johnson in einem lesenswerten Essay („How Likely Is Default in Europe?“) in NYT. Die Frage ist aber nicht so einfach, wie es scheint. Die Antwort beinhaltet drei komplizierte Fragen: Was ist genau die aktuelle Rettungspolitik der EU? Kann ein grosses Land der Euro-Zone wirklich gerettet werden, wenn nötig, und was passiert mit der Wirtschaftspolitik in diesen Ländern und die Euro-Zone als Ganzes, wenn der Druck in den Finanzmärkten zunimmt? Dem Konsens nach haben die europäischen Staats- und Regierungschefs am Wochenende von der Forderung der deutschen Regierung, die Gläubiger an Kreditkosten zu beteiligen, beginnend 2013, Abstand genommen, hebt Johnson hervor.

Nach dieser Sicht sollen sich die Märkte beruhigen, weil es keine unmittelbare Gefahr auf jede Art von staatlichem Zahlungsverzug droht, so der ehem. Chefökonom des IWF. Aber eine genauere Lektüre der Erklärung von Sonntag liefert eine ganz andere Interpretation. Es ist ein Text zweieinhalb Seiten lang, welcher Euro-Zone-Krisen in Zukunft in zwei Arten verteilt voraussieht.

“For countries considered solvent, on the basis of the debt sustainability analysis
conducted by the Commission and the IMF, in liaison with the ECB, the private sector
creditors would be encouraged to maintain their exposure according to international
rules and fully in line with the IMF practices. In the unexpected event that a country
would appear to be insolvent , the Member State has to negotiate a comprehensive
restructuring plan with its private sector creditors, in line with IMF practices with a
view to restoring debt sustainability. If debt sustainability can be reached through
these measures, the ESM may provide liquidity assistance”.

Was heisst das? Wenn entschieden wird, dass ein Land insolvent ist, anstatt illiquid, dann muss es seine Schulden restrukturieren. Aber wer entscheidet darüber? Im Dokument steht zu lesen: „Auf dieser Grundlage werden die Minister der Euro-Gruppe einen einstimmigen Beschluss über die Unterstüzung fassen“. Mit anderen Worten kann jedes Mitgliedsland der Euro-Zone Veto dagegen einlegen, dass ein bestimmtes Land lediglich  illiquid ist, was dieses Land von Gebrauch der preiswerten und endlosen Kredite des europäischen Stabilitätsmechanismus ausschliessen würde. „Höchstwahrscheinlich werden wir Zeuge der Gründung einer „Austere Coaliton“ (eigentlich eine modifizierte Hanseatic League) von Deutschland, Niederlanden, Österreich, Finnland, Estland und ein paar kleineren Ländern“, beschreibt Johnson. Die als „Moral Hazard“ bekannte Problematik zu Ende zu bringen, ist ein bewundernwertes Ziel. Der Weg dorthin ist aber unter gegenwärtigen Bedingungen ein steiniger Weg, weil das neue Regime bedeutet, dass die prominenten Länder die Gesamtverschuldung verkürzen und die Laufzeit ihrer Schulden verlängern würden, als sie es heute tun müssten. Übergangsregelungen wurden nicht eingerichtet.

Die 27-Mitgliedstaaten der EU könnten selbst weitere Ressourcen aufbringen. Das würde aber mehr Steuern für fiskalisch solide Teile der Euro-Zone bedeuten, was auch Deutschland betreffen würde, legt Johnson dar. Kurzum: Die grössten europäischen Länder sind „too big to bail“, d.h. zu gross, um gerettet zu werden. Welche Koalitionen werden aber zusammenbrechen? Wo werden die Regierungen nicht in der Lage sein, den fiskalpolitischen Kurs einzuhalten? Und am Ende des Tages, wem werden die Deutschen genug Vertrauen schenken, um einen unbegrenzten finanziellen Rückhalt zu gewähren? Das sind Fragen, die am MIT Sloan lehrende Wirtschaftsprofessor im Wesentlichen stellt. Das grösste Problem sei heute nicht, wie Europa in Zukunft in einer irgendwie idealen Welt regiert werden könnte, sondern wie es regiert wird und wie jede „misgovernance“ sich abspielt und wahrgenommen wird, wenn der Druck sich zuzuspitzen beginnt, fasst Johnson zusammen.






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