Donnerstag, 5. Dezember 2013

Wie das soziale Gefüge Europas zerbricht

Der Ausbruch der Finanzkrise liegt mittlerweile fünf Jahre zurück. Nur ein unverbesserlicher Optimist würde sagen, dass das Schlimmste vorbei ist. Viele Länder in Europa stecken nach wie vor in einer Depression. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt mehr als 50 Prozent. Unmenge an Humankapital wird zerstört. Eine Rückkehr zur „Normalität“ ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

Vor diesem Hintergrund schreibt Joseph Stiglitz in einem lesenswerten Artikel („An Agenda to Save the Euro“) in Project Syndicate, dass kein Land jemals Wohlstand durch harsche Sparmassnahmen (austerity) wiederhergestellt hat.

Der Euro-Entwurf  ist ein Produkt der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin. Man dachte, dass es notwendig war, die Inflation so niedrig wie möglich zu halten, um Wachstum und Stabilität zu fördern. Eine unabhängige Zentralbank würde das Vertrauen in das Währungssystem sicherstellen. Geringe Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite würden die wirtschaftliche Konvergenz zwischen den EU-Mitgliedsländern gewährleisten, sodass im Binnenmarkt Effizienz und Stabilität herrschen würde. Nun steht fest, dass die neoliberale Agenda kläglich gescheitert ist.

Die Inflation ist im Euro-Raum unterdessen auf 0,7% gesunken. Damit wachsen Sorgen über eine Deflation. Zumal die sog. internal devaluation (interne Abwertung) deflationäre Kräfte verstärkt. Und die reale Last der Verschuldung steigt, womit die Erholung der Wirtschaft weiter abgebremst wird.

Die New York Times beschreibt in einem lesenswerten Beitrag (“Americanized labor policy is spreading in Europe“), wie die interne Abwertung im Euro-Raum zur Zeit konkret aussieht:


Im Jahr 2008 waren 1,9 Millionen portugiesische Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft durch Tarifverträge abgedeckt. Im vergangenen Jahr belief sich die Zahl auf 300‘000.

Spanien hat die Beschränkungen auf kollektive Entlassungen und unfaire Kündigungspraktiken gelockert und die Grenzen für die Erweiterung der Zeitarbeit aufgeweicht.

Irland und Portugal haben den Mindestlohn eingefroren, während Griechenland den Mindestlohn um fast ein Viertel gesenkt hat.

Der wilde Abbau des Arbeitsplatzschutzes setzt sich fort, um Arbeitskosten zu verringern. Die ganze Entwicklung trägt die Unterschrift von Angela Merkel, der deutschen Bundeskanzlerin, die dem Dogma folgt, dass alles dem Wettbewerbsprinzip („jeder gegen jeden“) unterworfen werden muss.

Während die politischen Entscheidungsträger im Euro-Raum sich auf die Austeritätspolitik konzentrieren, entfaltet die Erosion des Arbeitnehmerschutzes grosse und dauerhafte Auswirkungen auf den europäischen Sozialvertrag, wie die New York Times hervorhebt.

Jean-Paul Fitoussi betont dazu einen verheerenden Effekt der Austerität auf den sozialen Zusammenhalt und eine enorme Wirkung auf die Ungleichheit. Der am Institut d’Etudes Politiques de Paris lehrende Wirtschaftsprofessor sagt, dass das Wohlbefinden in ganz Europa gesunken ist. Ein Symptom ist der Anstieg der extremistischen politischen Parteien.

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