Die makroökonomischen Ungleichgewichte in der EMU sind ein offenes Geheimnis. Das amerikanische Finanzministerium hat in diesem Zusammenhang kürzlich in einem sachlich kritischen Bericht an den US-Kongress geschrieben, dass der grosse Überschuss Deutschlands im Aussenhandel einen „deflationary bias“ in der Eurozone auslöst.
Die EU-Komission hat danach gestützt auf die „macroeconomic imbalance procedure“ eine Prüfung der deutschen Aussenhandelspolitik angekündigt. Es ist eine
Aufforderung an die betreffenden EU-Mitglieder, das Problem von grossen
Handelsüberschüssen bzw. –defiziten anzugehen.
Die deutsche Politik hat darauf ziemlich empfindlich
reagiert: (a) Der Überschuss betreffe nicht den Handel mit der Eurozone,
sondern mit dem Rest der Welt. (b) Der Überschuss reflektiere Deutschlands
Wettbewerbsfähigkeit und (c) Die zur Zeit an der EU-Peripherie beobachtete
Deflation sei ein Zeichen dafür, dass die Volkswirtschaften in Griechenland,
Portugal und Spanien sich allmählich erholen.
Daniel Gros schreibt
nun in einem wunderlichen Artikel („Sündenbock
Deutschland“) in Project Syndicate, dass die Kritik an Deutschland ungerechtfertigt sei. Seine
Behauptung: Deutschland ist Sündenbock.
Der Direktor des in Brüssel basierten Center
for European Policy Studies deutet auf die Niederlande, die Schweiz,
Schweden und Norwegen hin und sagt, dass der jährliche Aussenhandelsüberschuss
dieser Ländergruppe etwas über dem deutschen liege. Deutschland sei bedeutend,
aber nicht dominierend. Es habe vor rund zehn Jahren ein Leistungsbilanzdefizit
verzeichnet. Würde Deutschland allein eine Anpassung vornehmen, würden die
Peripherieländer der Eurozone eher wenig davon profitieren, argumentiert Gros
weiter.
Lohnstückkosten in der Eurozone, Graph: Prof. Antonio Fatas
Tatsache ist, dass Deutschlands Überschüsse (unabhängig
davon, ob intern oder extern) den deflationären Trend über zwei Wege
verstärken, wie Simon Tilford und John Springford in einem lesenswerten
Artikel („Deflation German Excuses“)
in NYTimes schreiben:
(1) via Aufwertung der Gemeinschaftswährung und (2) via
schwache Binnennachfrage in Deutschland.
Wenn der Handelsüberschuss im Euro-Raum ansteigt, gewinnt
der Euro an Wert, weil die Nachfrage nach dem Euro grösser ist als das Angebot
an den Euro. Ein starker Euro schadet (a) der Nachfrage nach Exporten aus der
Eurozone und (b) senkt die Preise der eingeführten Waren in die Eurozone. Vor
allem die südlichen EU-Mitgliedstaaten mit mehr preis-sensiblen Gütern leiden
unter einem starken Euro.
Die schwache Binnennachfrage (die Kehrseite des
Handelsbilanzüberschusses) in Deutschland bedeutet andererseits, dass die
Inflation in Deutschland das gemeinsam festgelegte Inflationsziel in der EU tendenziell
unterbietet. Während der Leistungsbilanzüberschuss im vergangenen Jahr mit 180
Mrd. EUR rund 7% des BIP ausmachte, ist die Binnennachfrage um knapp 0,8%
gestiegen.
Das Ergebnis ist, dass Deutschland wenig unternimmt, um die
Peripherie, die sich in Depression befindet, zu unterstützen, was das Leben
dort im Angesicht der Massenarbeitslosigkeit weiter erschwert.
Vor der Finanzkrise belief sich der deutsche Überschuss zu
drei Fünftel mit der Eurozone. Nun beträgt der Wert weniger als ein Drittel. Das
heisst, dass Deutschlands Exporte ausserhalb der EU gestiegen sind. Das Ganze
reflektiert aber die tiefe Rezession in der Eurozone.
Eine stärkere Nachfrage in Deutschland würde den Peripherieländern
nicht zu Gute kommen, erklärt Gros. Aber dieses Argument verkennt das Faktum,
wie steigende Löhne und Inflation in Deutschland auf den Rest der Eurozone
auswirken würden. Die Löhne sind in Deutschland fast 15 Jahre lang unter Druck (Lohn-Dumping)
gestanden. Die Lohnstückkosten sind im Vergleich zum Rest der Eurozone um mehr
als 16% gesunken, was die Güter aus Deutschland vergünstigt und die Güter aus
der Peripherie verdrängt.
Im Übrigen hat Deutschland seine „interne Abwertung“ (internal devaluation) im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 erlebt,
und zwar in einem viel vorteilhafteren Umfeld (starke Nachfrage aus dem Rest
der EU und eine moderate Inflation in der gesamten EU), ohne Deflation erleiden
zu müssen. Heute hingegen wird die Peripherie von Berlin gestresst, die Kosten
und Preise nach unten anzupassen, während Massarbeitslosigkeit herrscht und die
Wirtschaft (mit einem Überhang an Schulden im Privatsektor) in einer
Liquiditätsfalle steckt.
Deflation in der Peripherie der Eurozone als Korrektur der
relativen Preise und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu begrüssen,
geht daher auf keine Kuhhaut. Weil die reale Last der Schulden dadurch steigt
und die Kosten unüberschaubar werden. Deutschland hat die relativen Kosten und
Preise damals in der EWU ohne die Last von Deflation senken und die schwache
Nachfrage im Inland mit Exportgeschäft ausgeglichen, was Antonio Fatas in seinem Blog bereits vor zwei Jahren erläutert hat.
Auch Gloomy European Economist will das Argument von Gros nicht gelten lassen, dass Deutschland
in der globalen Wirtschaft ein kleiner Player sei, und daher mit seinen
Handlungen keine Auswirkungen entfalten könne.
Laut OECD-Daten beläuft sich der deutsche Überschuss im
Handel im Jahr 2013 auf rund 191 Mrd. Euro. Angenommen Deutschland würde
Exporte und Importe gleichermassen reabsorbieren. Das heisst, dass ein
deutsches Rebalancing der Hälfte von
191 Mrd. Euro gleichkäme: ca. 95 Mrd. Euro. Wenn auf die Peripherieländer der
Eurozone „nur“ 10% der deutschen Importe entfallen, wie Gros meint, dann würde
sich daraus 9,5 Mrd. Euro ergeben. Ist die Zahl für die Peripherie irrelevant?
Kaum.
Hätte Deutschland eine ausgeglichene Leistungsbilanz, würde
es ein Anstieg der Exporte von Griechenland, Portugal, Irland und Spanien jeweils
einen halben Prozentpunkt des BIP bedeuten. Deutschlands „Anteil“ an den
makroökonomischen Ungleichgewichten ist also doch nicht so klein, wie Gros
darstellen möchte. Die Kritik ist daher berechtigt.
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