Sonntag, 8. Dezember 2013

Deutschlands interne Abwertung im Vorfeld der Finanzkrise

Die makroökonomischen Ungleichgewichte in der EMU sind ein offenes Geheimnis. Das amerikanische Finanzministerium hat in diesem Zusammenhang kürzlich in einem sachlich kritischen Bericht an den US-Kongress geschrieben, dass der grosse Überschuss Deutschlands im Aussenhandel einen „deflationary bias“ in der Eurozone auslöst.

Die EU-Komission hat danach gestützt auf die „macroeconomic imbalance procedure“ eine Prüfung der deutschen Aussenhandelspolitik angekündigt. Es ist eine Aufforderung an die betreffenden EU-Mitglieder, das Problem von grossen Handelsüberschüssen bzw. –defiziten anzugehen.

Die deutsche Politik hat darauf ziemlich empfindlich reagiert: (a) Der Überschuss betreffe nicht den Handel mit der Eurozone, sondern mit dem Rest der Welt. (b) Der Überschuss reflektiere Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und (c) Die zur Zeit an der EU-Peripherie beobachtete Deflation sei ein Zeichen dafür, dass die Volkswirtschaften in Griechenland, Portugal und Spanien sich allmählich erholen.

Daniel Gros schreibt nun in einem wunderlichen Artikel („Sündenbock Deutschland“) in Project Syndicate, dass die Kritik an Deutschland ungerechtfertigt sei. Seine Behauptung: Deutschland ist Sündenbock.

Der Direktor des in Brüssel basierten Center for European Policy Studies deutet auf die Niederlande, die Schweiz, Schweden und Norwegen hin und sagt, dass der jährliche Aussenhandelsüberschuss dieser Ländergruppe etwas über dem deutschen liege. Deutschland sei bedeutend, aber nicht dominierend. Es habe vor rund zehn Jahren ein Leistungsbilanzdefizit verzeichnet. Würde Deutschland allein eine Anpassung vornehmen, würden die Peripherieländer der Eurozone eher wenig davon profitieren, argumentiert Gros weiter.



Lohnstückkosten in der Eurozone, Graph: Prof. Antonio Fatas

Tatsache ist, dass Deutschlands Überschüsse (unabhängig davon, ob intern oder extern) den deflationären Trend über zwei Wege verstärken, wie Simon Tilford und John Springford in einem lesenswerten Artikel („Deflation German Excuses“) in NYTimes schreiben:

(1) via Aufwertung der Gemeinschaftswährung und (2) via schwache Binnennachfrage in Deutschland.

Wenn der Handelsüberschuss im Euro-Raum ansteigt, gewinnt der Euro an Wert, weil die Nachfrage nach dem Euro grösser ist als das Angebot an den Euro. Ein starker Euro schadet (a) der Nachfrage nach Exporten aus der Eurozone und (b) senkt die Preise der eingeführten Waren in die Eurozone. Vor allem die südlichen EU-Mitgliedstaaten mit mehr preis-sensiblen Gütern leiden unter einem starken Euro.

Die schwache Binnennachfrage (die Kehrseite des Handelsbilanzüberschusses) in Deutschland bedeutet andererseits, dass die Inflation in Deutschland das gemeinsam festgelegte Inflationsziel in der EU tendenziell unterbietet. Während der Leistungsbilanzüberschuss im vergangenen Jahr mit 180 Mrd. EUR rund 7% des BIP ausmachte, ist die Binnennachfrage um knapp 0,8% gestiegen.

Das Ergebnis ist, dass Deutschland wenig unternimmt, um die Peripherie, die sich in Depression befindet, zu unterstützen, was das Leben dort im Angesicht der Massenarbeitslosigkeit weiter erschwert.

Vor der Finanzkrise belief sich der deutsche Überschuss zu drei Fünftel mit der Eurozone. Nun beträgt der Wert weniger als ein Drittel. Das heisst, dass Deutschlands Exporte ausserhalb der EU gestiegen sind. Das Ganze reflektiert aber die tiefe Rezession in der Eurozone.

Eine stärkere Nachfrage in Deutschland würde den Peripherieländern nicht zu Gute kommen, erklärt Gros. Aber dieses Argument verkennt das Faktum, wie steigende Löhne und Inflation in Deutschland auf den Rest der Eurozone auswirken würden. Die Löhne sind in Deutschland fast 15 Jahre lang unter Druck (Lohn-Dumping) gestanden. Die Lohnstückkosten sind im Vergleich zum Rest der Eurozone um mehr als 16% gesunken, was die Güter aus Deutschland vergünstigt und die Güter aus der Peripherie verdrängt.

Im Übrigen hat Deutschland seine „interne Abwertung“ (internal devaluation) im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 erlebt, und zwar in einem viel vorteilhafteren Umfeld (starke Nachfrage aus dem Rest der EU und eine moderate Inflation in der gesamten EU), ohne Deflation erleiden zu müssen. Heute hingegen wird die Peripherie von Berlin gestresst, die Kosten und Preise nach unten anzupassen, während Massarbeitslosigkeit herrscht und die Wirtschaft (mit einem Überhang an Schulden im Privatsektor) in einer Liquiditätsfalle steckt.

Deflation in der Peripherie der Eurozone als Korrektur der relativen Preise und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu begrüssen, geht daher auf keine Kuhhaut. Weil die reale Last der Schulden dadurch steigt und die Kosten unüberschaubar werden. Deutschland hat die relativen Kosten und Preise damals in der EWU ohne die Last von Deflation senken und die schwache Nachfrage im Inland mit Exportgeschäft ausgeglichen, was Antonio Fatas in seinem Blog bereits vor zwei Jahren erläutert hat.

Auch Gloomy European Economist will das Argument von Gros nicht gelten lassen, dass Deutschland in der globalen Wirtschaft ein kleiner Player sei, und daher mit seinen Handlungen keine Auswirkungen entfalten könne.

Laut OECD-Daten beläuft sich der deutsche Überschuss im Handel im Jahr 2013 auf rund 191 Mrd. Euro. Angenommen Deutschland würde Exporte und Importe gleichermassen reabsorbieren. Das heisst, dass ein deutsches Rebalancing der Hälfte von 191 Mrd. Euro gleichkäme: ca. 95 Mrd. Euro. Wenn auf die Peripherieländer der Eurozone „nur“ 10% der deutschen Importe entfallen, wie Gros meint, dann würde sich daraus 9,5 Mrd. Euro ergeben. Ist die Zahl für die Peripherie irrelevant? Kaum.

Hätte Deutschland eine ausgeglichene Leistungsbilanz, würde es ein Anstieg der Exporte von Griechenland, Portugal, Irland und Spanien jeweils einen halben Prozentpunkt des BIP bedeuten. Deutschlands „Anteil“ an den makroökonomischen Ungleichgewichten ist also doch nicht so klein, wie Gros darstellen möchte. Die Kritik ist daher berechtigt.


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