Die Volkswirtschaftslehre steht seit dem Platzen der
Immobilienmarkt-Blase unter Anklage. Der Vorwurf ist bekannt: Die mainstream economics kann die
Finanzkrise von 2008 nicht erklären. Die Debatte darüber, dass das, was schief
gelaufen ist, auf die Kappe der Ökonomen geht, ist neulich durch zwei Artikel
in The Guardian (hier „Mainstream
economics is in denial“ und hier „Orthodox economists have failed
their own market test“) wiederbelebt worden.
Studenten fordern nach Alternativen zu dem Dogma der
freien Marktwirtschaft, die eine katastrophale Bilanz hat, schreibt der eine
Kolumnist. Der andere meint, dass mainstream
economics daran schuld sei. Was ist aber
„mainstream economics“ (orthodoxe
Volkswirtschaftslehre)?
Simon
Wren-Lewis nimmt in seinem Blog
mainstream economics in Schutz. Die Kritik ist weit gefehlt, schreibt der an
der Oxford University lehrende
Wirtschaftsprofessor.
Ein häufiger Vorwurf, der von heterodoxen Ökonomen
wiederholt vorgetragen wird, ist, dass die mainstream
economics und neoliberale Ideen untrennbar miteinander verbunden seien. Die
Volkswirtschaftslehre wurde natürlich verwendet, um Neoliberalismus zu
unterstützen. Die Mainstream Ökonomie ist aber voller Ideen und Analysen, die
eine breite und tiefe Kritik an diesen gleichen Positionen innehat. Die
Ansicht, dass die beiden zusammenhängen, ist daher einfach dumm, unterstreicht
Wren-Lewis.
Die Absurdität, die Mainstream Ökonomie mit allen
aktuellen Problemen in Verbindung zu bringen, ist auch offensichtlich, wenn man
an die Austerität denkt. Wren-Lewis
sagt, dass er nicht müde wird, zu betonen, dass die Vorstellung, in dieser
Krise harsche Sparmassnahmen zu treffen, eine verrückte Sache ist, was die
Mainstream Ökonomie ohnehin zu sagen pflegt, und was von den Notenbanken
praktiziert wird. Es gibt aber einige einflussreiche Ökonomen, die die
Lehrbücher manchmal zu ignorieren oder zu vergessen scheinen, um eine bestimmte
parteipolitische Linie zu unterstützen. Es ist und bleibt jedoch der Fall, dass
die wirksamste Kritik an Austerität hauptsächlich von der orthodoxen Ökonomie ausgeübt
wird.
Es ist ferner auch offensichtlich nicht wahr, warum
die mainstream economics nicht in der
Lage ist, zu verstehen, was zu der Finanzkrise geführt hat. Viele Argumente im
aktuellen Buch („The Bankers‘ New Clothes“) von Anat Admati
und Martin Hellwig stammen aus der mainstream economics, erklärt Wren-Lewis.
Ein Teil des Problems mit der Volkswirtschaftslehre
ist, in welcher Weise sie unterrichtet wird, und wie Ökonomen sich selbst sehen.
Die Vision, an der viele Ökonomen hängen, veranlasst, die Wirtschaft wie Physik
wahrzunehmen. Dieser Ansatz verharmlost jedoch den Kontext, wie das Wissen sich
bisher entwickelt hat. Das kann im Unterricht etwas Ablenkung hervorrufen. Aber
es ist nicht wesentlich.
Eine alternative Sicht wäre daher, Wert darauf zu
legen, wie sich die Volkswirtschaft entwickelt: Die Geschichte der
Volkswirtschaftslehre kann so betrachtet werden, wie sie auf historische
Ereignisse und Prozesse reagiert. Es war z.B. deutlich nützlich, die Theorie
von Keynes auf die Great Recession anzuwenden, wie der
Ablauf der Krise bisher unter Beweis gestellt hat.
Die Regierungen mögen aber angesichts der Verbindung
zwischen der Wirtschaftstheorie und der Ideologie nicht immer auf die Weisheit
der Ökonomen eingehen. Die Ökonomen sind daher gehalten, den politischen und
den sozialen Zusammenhang zu berücksichtigen. Die Methodologie ist deshalb laut
Wren-Lewis im Angesicht der begrenzten experimentellen und der ökonomischen
Beweise (aber mit einer axiomatischen Struktur) ein wichtiges Thema in der
Volkswirtschaftslehre.
Auch Paul
Krugman verteidigt in seinem Blog die
mainstream economics. Es ist
ungerecht, die Lehrbücher wegen der Finanzkrise zu beschuldigen. Die Manie für
die Deregulierung der Finanzmärkte kommt nicht aus der Analyse der
Standard-Volkswirtschaftslehre (VWL). Ganz im Gegenteil legt Diamond-Dybvig, das kanonische Modell des Banking nahe, wie wichtig die
Rolle des Staates ist, was die Garantien (Einlagensicherung usw.) betrifft, um
sich selbst erfüllenden Bank-Runs zu
verhindern und wie entscheidend die Regulierung des Finanzmarktes ist, um die Moral-Hazard-Problematik, die mit
Garantien der öffentlichen Hand einhergehen, zu bekämpfen, erläutert der an der
Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Es stimmt, dass einige Ökonomen den Aufstieg des
Schatten Bankensystems (shadow banking)
verschlafen haben. Aber es ist ein Thema der Umsicht, nicht der Wirtschaftstheorie,
so Krugman weiter.
Die Theorie der effizienten Märkte (EMT) verdient viel mehr Tadel für das
Scheitern der Ökonomen, die Immobilienmarkt-Blase nicht erkannt zu haben. Die
EMT wird im Übrigen in den Lehrbüchern immer als Baseline vorgestellt, nicht als offenbarte Wahrheit.
Was in der Antwort auf die Krise auffällt, ist die
Entschlossenheit der politischen Entscheidungsträger, genau das Gegenteil zu
machen, was die Lehrbücher der VWL nahelegen, was hätte getan werden sollen.
Die Kürzung der Staatsausgaben, auch wenn die nominalen Zinsen nahe Null liegen
(zero lower bound) oder die
Vorstellung, die Zinsen schnell wieder zu erhöhen, obwohl die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach wie vor schwach ist, hat mit der orthodoxen
VWL nichts zu tun, hebt Krugman hervor. In der Tat war es erstaunlich, zu beobachten,
wie die Verbreitung von neu erfundenen Modellen genau das Gegenteil von dem,
was die herkömmlichen Lehrbücher empfehlen, rechtfertigen.
Das Problem ist natürlich, dass viele renommierte
Ökonomen der Standard-Lehre den Rücken kehren, im Namen ihrer politischen
Neigungen, auch wenn die herkömmliche Theorie gut funktioniert hat.
Was ferner interessant ist, zu erfahren, welche Kritik Krugman und Wren-Lewis mit dem Schutz der mainstream economics auslösen, worauf Francesco Saraceno in seinem Blog hindeutet.
An Krugmans Argumenten ist was dran, dass die
Standard-Lehrbuch-Analyse fast alles bietet, um die aktuelle Krise zu verstehen
und die richtigen wirtschaftspolitischen Lösungen unterbreitet. Es kommt aber
darauf an, was wir unter „textbook analysis“ verstehen, so Saraceno. Krugman
deutet auf das IS-LM-Modell hin. Aber das Modell ist in den 1980er Jahren aus
den Lehrbüchern praktisch verschwunden, mit der Begründung, dasss es nicht auf optimization beruht und nicht intertemporal ist usw. usw., erläutert
Saraceno.
Fazit: Das IS-LM Modell mit wenigen kleinen Änderungen
bleibt ein leistungsfähiges Werkzeug, um aktuelle Phänomene zu verstehen. Im
Grunde genommen ist gegen neue Ideen nichts einzuwenden, die das Verständnis
erweitern sollen. Aber solche Idee kommen nicht so leicht daher. Mark Thoma hat einmal festgehalten, dass wir unterdessen
gelernt haben, was das new economic
thinking bedeutet: alte Bücher lesen. Es scheint also, dass wir keine neue
Ökonomie, sondern neue Ökonomen brauchen.
PP: Es gibt neue Lehrbücher, die versuchen, das IS-LM-Modell zu ersetzen, durch ein Modell um IS,
Phillipskurve und geldpolitische Regeln, wo die nicht-vollkommene Konkurrenz
eine entscheidende Rolle spielt, wie das Buch von Wendy Carlin und David Soskice, wie Simon
Wren-Lewis darlegt.
PPS: Auf dieser Seite des Atlantiks wird der Begriff „Mainstream Ökonomie“ in den Medien u.a. oft
für die Bezeichnung von konservativen Ökonomen (als Anhänger der neoklassischen
Theorie, als Gegenpol zu Keynes) verwendet, was in der aktuellen Debatte etwas
Verwirrung stiften kann. Das sollte im gesamten Zusammenhang deshalb
mitberücksichtigt werden.
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