Die vorherrschende Annahme, zunehmend sowohl von der rechten als auch von der linken Seite des politischen Spektrums zu hören ist, dass wir zu viel Staatsverschuldung haben und jede weitere deutliche Steigerung uns wahrscheinlich ruinieren wird, ist irreführend und steht auch im Widerspruch mit der Geschichte der US-Finanzpolitik, schreibt Simon Johnson in einem lesenswerten Essay („Is There Too Much Federal Debt?“) in NYT .
Die wichtige Frage, die die Verteilung betrifft, wird hier verdeckt, insbesondere, wie viel relativ wohlhabende Amerikaner bereit sind, an relativ arme Amerikaner zu übertragen, bemerkt der ehem. Chefökonom des IWF. Um über die aktuelle Grösse der Schulden nachzudenken, beginnt Johnson am Anfang der amerikanischen Republik. Am ersten Tag von 1791 hatte das kürzlich gegründete US-Finanzministerium (US-Treasury: Schatzamt) Schuldtitel in Höhe von fast 75,5 Mio. $ ausstehend. Das entsprach rund 40% des BIP. Eine grosse Menge an Schulden im Verhältnis zur Grösse der Wirtschaft, aber nicht ausserhalb der Proposition, an die wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben, legt der an der MIT Sloan lehrende Wirtschaftsprofessor dar.
Allerdings im Verhältnis zu den Einnahmen sind die US-Schulden enorm, ca. 20-fache Menge, was der Staat in der Lage ist, einzunehmen, beschreibt Johnson. Im Gegensatz schwanken die ausstehenden Schuldtitel des Schatzamtes seit 1950 zwischen 30 und 90 des BIP. Aber das Schulden-Einnahmen-Verhältnis war nie schlechter als 5-fache. Und es lag in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich von 2-3 mal. Das Verhältnis von Ausgaben-Einnahmen ist entscheidend, weil es dafür wichtig ist, ob ein Land ohne weiteres seine Schulden bedienen kann oder nicht.
Zu Beginn der amerikanischen Republik war der zentrale Streitpunkt in Sachen Fiskalpolitik, ob es dem Alexander Hamilton mit der Auferlegung eines Importzolls gelingen würde, die Einnahmen der öffentlichen Hand zu steigern und damit einen Weg zu finden, die Ausgaben zu finanzieren, d.h. die Zinsen abzudecken und das Kapital zurückzuzahlen. Der Streit um die Zolleinnahmen war bösartig und langwierig: Nord gegen Süden in einer Weise, dass Ressentiments und Spannungen durch das 19. Jahrhundert erzeugt wurden, beschreibt Johnson.
Der Hauptunterschied zwischen der Debatte damals und heute ist im Hinblick auf die Ausgaben. In den frühen 1790er Jahren, wie nach dem Bürgerkrieg, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, fand die Ausgabensteigerung bereits statt und die Frage war, wie der Staat wieder einen Überschuss erzielt und die Schulden senkt.
Die früheren Debatten über die Haushaltslage betrafen daher viel mehr die Verteilung der Steuerlast innerhalb eines pro-Wachstum-Systems, beschreibt Johnson. Das muss wieder oben auf der politischen Agenda stehen, weshalb Johnson gegen eine Verlängerung der Bush-Ära-Steuersenkungen war. Heute stehen wir direkter als je zuvor der Frage der Umverteilung durch Staatsausgaben gegenüber, hält der Autor des Buches 13 Bankers fest.
Heute finden wir uns wieder gegenüber den grundlegenden Fragen der Hamilton-Debatte gestellt: Wer zahlt auf Bundesebene wie viel, an wen und für was genau?
Die meisten unserer Staatsausgaben, jetzt wie immer, gehen auf Kriege und Transfers an relativ arme Menschen und an ältere Menschen. Die Militärausgaben fallen zurück, wenn wir die Kriege beenden können. Die sozialen Transferleistungen wurden in einer mehr offenen Weise konstruiert, schildert Johnson.
Bei der eigentlichen Debatte geht es nicht um ein paar Milliarden Dollar oder um die Schuldenobergrenze (debt ceiling), sondern darum, dass wir „der Sache entwachsen können“, argumentiert Johnson. Die eigentliche Frage ist daher, wie viel relativ reiche Leute bereit sind, zu zahlen und auf welcher Basis in Form von Transfers an relativ arme Leute und wie die steigenden Kosten im Gesundheitswesen solche Transferleistungen beeinträchtigen dürfen.
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