Der Fall Griechenland lässt aufhorchen. Athens
Erfahrung mit Austerität inmitten einer schwer angeschlagenen Wirtschaft liefert
ein wasserdichtes Datenmaterial für einen Trugschluss der Verallgemeinerung („fallacy of
composition“): Was für einen einzelnen Haushalt oder Unternehmen (einzelwirtschaftlich) sinnvoll ist, muss nicht
unbedingt zum Wohle des Ganzen (gesamtwirtschaftlich) sein.
Lernen die
Ökonomen von dem „natürlichen Experiment“, dass die Sparmassnahmen, die von der
Europäischen Kommission und der EZB von Anfang an Griechenland und den anderen
Ländern in der Eurozone auferlegt wurden, nicht expansiv wirken, um
Haushaltsdefizit zu senken und Wirtschaftswachstum zu fördern?
Keynesianer
hatten davor gewarnt: Die Kürzung der Staatsausgaben wirkt sich kontraktiv aus.
Und es ist eine Tatsache, dass die europäische Austeritätspolitik zu einem
massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat. Das Wachstum wurde abgewürgt
und die Schuldenquote (debt-to-GDP)
ist nicht gesunken.
Griechenland
hat sich an die Weisungen der Troika gehalten und liegt nun am Rande einer
Katastrophe. Die Syriza, die Partei, die die Wahl mit einem überwältigenden
Sieg gewann, will nun den Spiess umdrehen. Und das ist richtig so. Der US-Boxer
Muhammed Ali, einer der
herausragendsten Athleten des 20. Jahrhunderts
sagte einmal: “Inside of a ring or out,
ain’t nothing wrong with going down. It’s staying down that’s wrong.”
Jedes
(fortschrittliche) Land hat erkannt, dass es notwendig ist, dem Einzelnen einen
Neuanfang zu ermöglichen, damit Kapitalismus funktioniert, schreibt Joseph Stiglitz in einem aktuellen
Artikel („A Greek Morality Tale“) in Project Syndicate.
Structural
Budget Deficit, Graph: Prof. Simon Wren-Lewis
Der um die
konjunkturelle Effekte bereinigte Haushaltssaldo
Wenn Europa
zugelassen hat, dass die Schulden der Privatwirtschaft zu Schulden des
öffentlichen Sektors werden, dann sollte Europa, und nicht Griechenland, die
Konsequenzen tragen. Die derzeitige Misere in Griechenland, u.a. der massive
Anstieg der Schuldenquote, ist in erster Linie auf die verfehlten Programme der
Troika zurückzuführen, die Griechenland aufgedrängt worden sind, so der an der Columbia University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Simon Wren-Lewis zeigt in seinem Blog, wie der um die konjunkturelle Effekte bereinigte Haushaltssaldo in
einzelnen Ländern aussieht. Vor allem Deutschland befürwortet und fördert einen
ausgeglichenen Haushaltssaldo in der Eurozone, nach dem Motto: koste es, was es
wolle.
Die entscheidende
Frage ist aber nicht, ob es wünschenswert ist, Staatsverschuldung schrittweise
abzubauen, sondern wann man es anstrebt. Sowohl die Theorie als auch die Praxis
legen unmissverständlich nahe, dass man es während einer Liquiditätsfalle, wenn
die Nominal-Zinsen nahe null liegen (zero
lower bound) nicht tun sollte.
Das reale
BIP wäre heute um 4% höher gewesen, wenn der staatliche Konsum und
Investitionen in den USA, Grossbritannien und der Eurozone auf dem neutralen
Pfad geblieben wären, und nicht gekürzt worden wären, unterstreicht der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Dieses
Ergebnis kommt nicht von der Annahme eines unfassbaren Multiplikators, sondern
von der Widerspiegelung der bereits eingeleiteten harschen Sparmassnahmen in Europa.
Im Vergleich zum neutralen Verlauf wären der Konsum und die Investitionen der
öffentlichen Hand 2014 in den genannten Ländern um 10% oder 15% höher gewesen, erklärt
Wren-Lewis.
Eine Erklärung
für den Umfang der Austerität ist, dass sie politischen Opportunismus
repräsentiert, und zwar von denen, die einen kleineren Staat anstreben. Ihre
Maxime lautet: "Der Staat ist das Problem und der Markt ist die Lösung."
Ein BIP-Verlust
in Höhe von 4% bedeutet auf alle Fälle immense Kosten: ein hohes Mass an Ressourcen-Verschwendung. Die Inflation verläuft heute so niedrig, dass die EZB
den eigenen Zielwert unterbietet. Inzwischen erwartet auch die EU-Kommission Deflation
in der Eurozone 2015. Wegen der Besessenheit von Haushaltskonsolidierung kann heute
sogar die Preisstabilität nicht mehr gewährleistet werden.
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