Samstag, 27. November 2010

Instabilität der Moderation

Nachdem Brad DeLong in einem lesenswerten Essay bemerkt hat, wie unsere Wahrnehmung der Geschichte in Folge der „Great Recession“ sich verändert hat, nimmt auch Paul Krugman in seinem Blog dieses interessanten Themas an. „Wir hatten Mitleid mit unseren Grossvätern, denen das Wissen und das Mitgefühl für die wirksame Bekämpfung der „Great Depression“ fehlten. Jetzt sehen wir uns aber alten Fehlern gegenüber“, bemerkt Krugman dazu. Der Nobelpreisträger denkt jedoch, dass das Versagen der Politik, wie die Erfahrung der vergangenen drei Jahre zeigt, tiefe Wurzeln hat, sodass wir verdammt sind, das durchzumachen. Konkret vermutet Krugman nun, dass die Art der moderaten Wirtschaftspolitik, die er und Brad DeLong unterstützen, ein Regime ist, welches im Grossen und Ganzen die Märkte frei funktionieren lässt, aber wo der Staat bereit steht, Exzesse und Abschwünge wirksam zu bekämpfen. Dieses Regime ist aber inhärent instabil, was eine Generation anhalten kann, aber nicht viel länger. Mit der Instabilität meint Krugman allerdings nicht eine finanzielle Instabilität à la Minsky, obwohl auch etwas davon vorhanden ist. Ebenso wichtig sind die intellektuelle und politische Instabilität.

Intellektuelle Instabilität

Die Norm der Ökonomie, die von Krugman in seiner täglichen Arbeit verwendet wird, ist die Norm, die auf Paul Samuelson zurückgeht. Der bei weitem sinnvoller Ansatz ist von Samuelson bereits im Jahr 1948 in der ersten Auflage seine klassischen Lehrbuchs vorgestellt worden. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, der die grosse Tradition der Mikroökonomie (mit der Betonung, wie die unsichtbare Hand zu allgemein wünschenswerten Ergebnissen führt) mit der Keynesian Makroökonomie (mit der Betonung, wie die Wirtschaft "magneto trouble“ entwickeln kann und wirtschaftspolitische Interventionen benötigt) kombiniert.

In Samuelson Synthese muss man sich auf den Staat verlassen können, dass dieser für mehr oder weniger Vollbeschäftigung sorgt. Es ist ein tief vernünftiger Ansatz, hebt Krugman hervor. Aber es ist intellektuell instabil. Denn es erfordert einige strategische Inkonsequenz, wenn man über die Wirtschaft nachdenkt. In der Mikroökonomie wird angenommen, dass die Individuen rational sind und die Märkte sich schnell räumen. Und in der Makroökonomie wird davon ausgegangen, dass Unstimmigkeiten und ad hoc-Verhaltensannahmen unerlässlich sind. Was soll’s! Inkonsistenz bei der Verfolgung von nützlicher Orientierungshilfe ist kein Laster, argumentiert Krugman. Aber Ökonomen fühlen sich gebunden, die Trennlinie zwischen Mikro und Makro zu verschieben, was in der Praxis bedeutet, dass aus Makro mehr Mikro wird, mit der Folge, dass man sich mehr auf die Optimierung und Markträumung bezieht.

Was aber, wenn die Versuch, „microfoundations“ zu schaffen, scheitert? Ein wesentlicher Teil der Ökonomen denkt dann die Realitäten von Konjunkturzyklen einfach weg, weil sie nicht in die Modelle passen. Das Ergebnis ist „Dark Age of macroeconomics“, wie Krugman es nennt.

Politische Instabilität

Es ist möglich, sowohl konservativ als auch keynesianisch zu werden, beschreibt Krugman. Immerhin hat Keynes selbst seine Arbeit als „moderat konservativ in seinen Auswirkungen“ dargelegt. Aber in der Praxis betrachten die Konservativen die Geltendmachung, dass der Staat eine nützliche Rolle in der Wirtschaft spielen kann, als den dünnen Rand eines sozialistischen Keils. Krugman sieht den Monetarismus immer als einen Versuch, konservative politische Vorurteile zu beschwichtigen, an, ohne makroökonomische Realititäten zu leugnen. Was Friedman sagte, war in der Tat so, dass wir die Politik zur Stabilisierung der Wirtschaft brauchen, aber wir die Politik technisch und weitgehend mechanisch gestalten, sodass wir sie von allem anderen abriegeln können: Sag der Zentralbank, M2 zu stabilisieren und lass die Freiheit erschallen!

Als der Monetarismus fehlschlug, war er durch den Kult der unabhängigen Zentralbank ersetzt: Eine Gruppe von Männern legen die monetäre Basis fest und isolieren sich vom politischen Druck und gehen mit dem Konjunkturzyklus so um, dass alles andere durch den Markt durchgeführt wird. Und das hat für eine Weile funktioniert, grob gesagt von 1985 bis 2007, die Ära der „Great Moderation“, argumentiert Krugman weiter. Es funktionierte seiner Einschätzung nach, weil die politische Isolation den Zentralbanken auch ein wenig intellektuelle Isolation gab. Wenn wir aber in einer „Dark Age“-Makroökonomie lebten, wären die Zentralbanken ihre Klöster, die die antiken Texte, die im Rest der Welt verloren gegangen sind, horten und studieren. Aber auch das war instabil, hält Krugman fest. Es war ein Schock, ein zu grosser Schock für die Zentralbanken, zu handeln, ohne Hilfe von Fiskalpolitik in Anspruch zu nehmen. Früher oder später würden die Barbaren kommen und die Klöster verjagen, wie die aktuelle Aufregung über die mengenmässige Lockerung (quantitative easing) zeigt, schildert Krugman.

Finanzielle Instabilität

Der Erfolg der zentralbank-geführten Stabilisierung, kombiniert mit der Deregulierung der Finanzmärkte, was selbst ein Nebenprodukt der Wiederbelegung des Marktfundamentalismus ist, hat den Weg für eine Krise, die zu gross war, von den Zentralbanken behandelt zu werden, bereitet, erläutert der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor. Das ist Minskyism: Die lange Phase relativer Stabilität führt zu mehr Risikobereitschaft, zu mehr Leverage (Schuldenaufnahme) und schliesslich zu einem Deleveraging-Schock (Schuldenabbau). Und Milton Friedman lag falsch. Angesichts eines wirklich grossen Schocks, der die Wirtschaft in eine  Liquiditätsfalle schickt, kann die Zentralbank eine Depression nicht verhindern. Am Schluss kommt die Ära Samuelson Synthese, wie Krugman befürchtet, zu einem bösen Ende. Das Ergebnis ist das Wrack, was wir überall sehen.

PS: Brad DeLong meint zu Analyse und Folgen der „Great Moderation“ durch Krugman, dass er vor Neid gelb werde. Er wünsche, er hätte sie geschrieben. Ferner: Auch Mark Thoma hat sich mit dem Thema in einem lesenswerten Essay („The Return of the Laissez Faire Economy“) in The Fiscal Times befasst.

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