Montag, 1. November 2010

„Nipponization“ der US-Wirtschaft: Domo arigato, Bernanke-san!

Regelmässige Leser wissen, dass Paul Krugman sich seit zwei Jahren mit Parallelen zwischen den USA und Japan engagiert auseinandersetzt. Die Möglichkeit einer Parallele war das Haupthema der ursprünglichen Version seines Buches „The Return of Depression Economics“, welches er im Jahre 1999 schrieb. Mit Bezug auf einen lesenswerten Artikel („US Hears Echo of Japan’s Woes“) in NYT unternimmt der Nobelpreistäger in seinem Blog einen aktuellen Versuch, die Stagflation der 1970er Jahre zu schildern. Stagflation hatte einen enormen Einfluss auf wirtschaftliches Denken. Warum? Vor allem, weil es vorausgesagt war: Die Friedman-Phelps Hypothese der natürlichen Arbeitslosigkeit (natural rate hypothesis) sagt aus, dass der offensichtlich positive Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit nur vorübergehend gelten würde, und dass, sobald die Inflation für eine Weile verschwunden ist, Disinflation eine Phase von hoher Inflation und hoher Arbeitslosigkeit einbeziehen würde.



The Natural Rate Hypothesis and Acceleration, Graph: newschool, The Inflation Acceleration Controversy

„Als die Bedingung sich tatsächlich materialisiert hat, gab es ein riesiges Prestige für das ganze Programm des Fundaments makroökonomischer Modelle in mikroökonomischen Grundlagen“, hält Krugman fest. Damals, als sich die Kluft zwischen dem Salzwasser- und Süsswasser-Ökonomen („saltwater-freshwater divide“) auszuweiten begann, glaubten einige Ökonomen, dass das, was die Chicago-Schule sagte, insofern richtig war, beschreibt der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor. „Natürlich gab die Stagflation damals den politischen Rechten einen Schub, wenn auch mit viel weniger Begründung, hoben die Rechten das blutige Hemd der Stagflation hoch, um jegliche Opposition gegen staatliche Programme zu rechtfertigen“, legt Krugman weiter dar. Was ist aber die Parallele zu der „Nipponization“ der US-Wirtschaft? „Nun, wie die Stagflation der 1970er Jahre war auch unsere derzeitige schwere Situation im Vorfeld prognostiziert“, so Krugman. Theoretiker der Liquiditätsfalle, Krugman zählt dazu mit einer grossen und Anfangsrolle, sagten, was geschehen würde, wenn die Wirtschaft einen ausreichend starken negativen Schock erlitten hatte: Die Zinsen würden gegen die Untergrenze von Null geschleust. Krugman sagte damals im Speziellen voraus: (1) Der Anstieg der monetären Basis würde nicht zu einem Anstieg der breiteren Geldmengen führen, geschweige denn, die Wirtschaft ankurbeln, (2) Trotz der Expansion der Geldbasis würde die Wirtschaft in Richtung Deflation rutschen, nicht Inflation, und (3) Trotz des grossen Haushaltsdefizits würden die Zinsen niedrig bleiben, da die kurzfristigen Zinsen nahe Null aufgesteckt blieben. All dies war, wie die Hypothese der natürlichen Arbeitslosigkeit (oder auch Sockelarbeitslosigkeit genannt) auf einem grundlegend theoretischen Ansatz niedergelegt ist, eingebettet in einfachen Modellen, erklärt Krugman. Alles, was in den vergangenen zwei Jahren passiert ist, passt in dieses Grundmodell. Mittlerweile liegen diejenigen, die die Implikationen der Liquiditätsfalle nicht akzeptiert haben, falsch und wieder falsch.

„Aber hier ist das Ding: Es gibt bei den meisten Spielern noch keine Anzeichen für ein Umdenken. Der Abrutsch in Richtung Deflation trotz des enormen Anstiegs der Geldbasis hat weder die Paleomonetaristen, die immer noch Hyperinflation vorhersagen noch die Menge, die „es-ist-die-Schuld-der-Fed“ rufen, geschüttelt“, so Krugman. Das Versagen der Zinzen, zu klettern, hat die Defizit-Falken nicht erschüttert. Stattdessen nehmen die üblichen Verdächtigen das Scheitern der unzureichenden Stimulierung (Konjunkturpakett) zum Anlass, eine solide Verbesserung in Beschäftigungssituation auszumachen, damit sie recht haben. Auch das war von Krugman vorausgesehen worden. Es ist, gelinde gesagt, entmutigend. Daher muss man sich fragen, ob die Ökonomie sich von Beweisen vollständig losgesagt hat, fasst Krugman zusammen.


Exkurs:

Saltwater economists vs. Freshwater economists

Die Bezeichnungen „saltwater“ und „freshwater“ wurden von Robert Hall geprägt, um die zwei Positionen zu beschreiben: Neue Keynesianer waren an der Ost- und West-Küste der USA konzentriert, in Harvard, Berkeley und in anderen. Die intellektuellen Widersacher waren im Umfeld des Sees von Chicago und Minnesota lokalisiert. Die Salzwasser-Ökonomen argumentierten, dass die wirtschaftliche Stabilität nur erreicht werden kann, wenn die Zentralbanken Output und Beschäftigung genau wie Inflation Aufmerksamkeit schenken würden. Auf der anderen Seite favorisierten die Süsswasser-Ökonomen einen ausschliesslichen Fokus auf die Preisstabilität.

1 Kommentar:

endless.good.news hat gesagt…

"Daher muss man sich fragen, ob die Ökonomie sich von Beweisen vollständig losgesagt hat, fasst Krugman zusammen."

Ich denke schon. Es wird sehr wenig versucht zu beweisen. Stattdessen werden Think Tanks genutzt um die eigene Ideologie zu verkaufen. Ich hatte auf dem INSM Blog eine Diskussion über ökonomische Modelle. Da wird dann nicht mit Fakten (so weit Studien Fakten sein können) oder Zahlen gearbeitet, sondern die Logik bemüht. Die Logik hatte mehr als 1500 Jahre die Erde in den Mittelpunkt des Universums gestellt. Mir fällt bei der Diskussion mit neoliberalen Gläubigen auf, dass sie eher Mises oder Hayek bemühen, als sich selber gedanken zu machen. Hayek hat sich alles aus der Logik hergeleitet, so weit ich das überblicke. Bei Mises bin ich mir nicht sicher. Somit sind diese Quellen zwar Nutzbar, aber sicher nicht auf einer wissenschaftlichen Ebene.