Freitag, 19. November 2010

Schulden, Schuldenabbau und Liquiditätsfalle

Paul Krugman und Gauti Eggertsson stellen ein neues Modell („A Fisher-Minksy-Koo approach“) vor. In einer relativ informellen Zusammenfassung („Debt, deleveraging, and the liquidity trap“)  in Vox EU erklärt Krugman die Kernlogik des neuen Modells, welches Verschuldungsschocks und wirtschaftspolitische Reaktionen darauf untersucht. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften gilt das Hauptaugenmerk derzeit dem Thema Verschuldung. Während einige für eine expansive Fiskalpolitik plädieren, um die Rezession und die Deflation abzuwehren, behaupten andere, dass man die Verschuldung nicht mit mehr Schulden lösen kann. Unter Berufung auf heterogene Agenten fertigt das neue Modell das Sparparadoxon (paradox of thrift), aber es findet neue Paradoxon der Angebotspolitik (supply-side paradoxes) heraus, wie z.B.  paradox of toil” und “paradox of flexibility”. Das Modell regt an, dass die meisten Ökonomen die Probleme falschdenken und die konkrete Politik in den USA und in der EU falsch deuten.

Die Wirtschaft, die Kopf steht, Graph: Prof. Paul Krugman & Prof. Gauti Eggertsson

Zwischen 2000 und 2008 stieg die Verschuldung der privaten Haushalte in den USA von 96% des persönlichen Einkommens auf 128%. In Grossbritannien von 105% auf 160% und in Spanien von 69% auf 130%. Der starke Anstieg der Schulden, so wird weithin argumentiert, habe den Weg für die Krise bereitet. Und der Überhang an Verschuldung gilt weiterhin als Hemmschuh für die Erholung der Wirtschaft. Die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Verschuldung geht auf eine lange Tradition in der ökonomischen Analyse von Fisher’s (1933) Theorie der Debt-Deflation über Minky’s (1986) „zurück-in-Mode“-Arbeit für finanzielle Stabilität bis Koo’s (2008) Konzept der Bilanz-Rezessionen (balance-sheet recessions) zurück, erklärt Krugman. Die Verschuldung ist ein entscheidender Faktor für die Kontraktion in den wichtigsten Volkswirtschaften, zumal es einen erstaunlichen Mangel an Wirtschaftsmodellen gibt, v.a. an Modellen der Geld- und Fiskalpolitik, welche eng mit den Sorgen um Schulden korrespondieren, so Krugman. Selbst das von ihm und Eggertsson entwickelte Modell sei mit representative-agent models erstellt, welches per Definition mit den Folgen der Tatsache, dass einige Leute Schuldner sind, während andere Gläubiger, nicht fertig werden kann.

Das neue Modell betrachtet die Wirtschaft entlang der Linien neukeynesianischer Modelle, mit einem Unterschied: Anstatt im Sinne von repräsentativen Agenten zu denken, stellt sich das Modell zwei Akteure vor: „geduldig“ und „ungeduldig“. Der ungeduldige Mensch borgt sich das Geld vom geduldigen Menschen. Es gibt jedoch eine Grenze für die Schulden. Modelliert wird eine Krise, wie die, mit der die Welt gegenwärtig konfrontiert ist, als Ergebnis eines Deleveraging-Schocks. Ferner: Aus welchem Grund auch immer gibt es plötzlich eine Abwärtskorrektur des akzeptablen Verschuldungsgrads: d.h. ein „Minsky Moment“. Das zwingt die Schuldner, ihre Ausgaben stark zu kürzen. Wenn die Wirtschaft einen Abschwung vermeiden will, müssen andere Agenten mehr ausgeben, sagen wir durch einen Rückgang der Zinsen. Wenn aber der Deleveraging-Schock schwer genug ist, kann nicht einmal ein Zinsniveau bei nahe Null nicht niedrig genug sein. So ein grosser Schock des Schuldenabbaus kann die Wirtschaft in eine  Liquiditätsfalle schicken. Fisher’s (1933) Ausdruck der  Debt-Deflation entsteht aus dieser Analyse. Wenn Preise fallen, steigt der reale Wert der Schulden. Das geschieht auch mit dem Abbau der Ausgaben der Schuldner, was den anfänglichen Schock verstärkt. Das fallende Preisniveau führt zu einem Rückgang der Nachfrage nach Waren und Dientsleistungen. In dieser Situation gelten die üblichen Regeln der Wirtschaft nicht mehr. Das traditionelle, aber lange vernachlässigte paradox of thrift (wo der Versuch, mehr zu sparen, zu einer Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse führt) wird mit dem paradox of toil (wo, erhöhtes Potenzialwachstum den tatsächlichen Output reduziert) udn paradox of flexibility (wo eine erhöhte Bereitschaft der Arbeitnehmer, Lohnkürzungen anzunehmen, die Arbeitslosigkeit tatsächlich erhöht) verbunden.

In der gegenwärtigen Debatte über die Verschuldungsproblematik wird die expansive Fiskalpolitik mit dem Argument zurückgewiesen, dass man das Schuldenproblem nicht mit mehr Schulden lösen kann. Die privaten Haushalte seien hochverschuldet. Soll sich jetzt auch noch der Staat hoch verschulden? Das Argument nimmt einfach an, dass Schulden gleich Schulden sind und es keine Rolle spiele, wer Geld schuldet. Es stimmt aber nicht. Wenn es wahr wäre, wäre Verschuldung in erster Linie kein Problem. Nach allem handelt es sich dabei ums Geld, das wir uns selbst schulden, erläutert Krugman. OK, die USA schulden China Geld. Aber das ist ja nicht der Kern der Problematik. Die Nicht-Beachtung der ausländischen Komponente oder der Blick auf die Welt als Ganzes macht für die gesamte Höhe der Verschuldung keinen Unterschied im Verhältnis zum aggregierten Netto-Vermögen aus. Die Schulden eines Menschen sind immer die Vermögen eines anderen. Daraus folgt, dass die Höhe der Verschuldung nur dann entscheidend ist, weil es auf die Verteilung der Verschuldung ankommt, weil hochverschuldete Spieler verschiedenen Zwängen von anderen Spielern mit niedriger Verschuldung gegenüberstehen. Das  heisst, dass alle Schulden nicht gleich sind, weshalb Kreditaufnahme des einen Akteurs jetzt helfen kann, die Probleme, die durch die übermässige Kreditaufnahme eines anderen Akteurs in der Vergangenheit verursacht wurden, zu lösen, hält Krugman fest. Das zeigt das Modell klar, so dass defizitfinanzierte Staatsausgaben, zumindest im Prinzip, helfen können, die Arbeitslosigkeit zu vermeiden, während die hoch verschuldeten Akteure des Privatsektors ihre Bilanzen bereinigen können, und der Staat seine Schulden abbaut, sobald die Deleveraging-Krise vorbei ist.


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