Sonntag, 7. November 2010

Wirtschaftswissenschaft und Schibboleths

Jeder hasst mengenmässige Lockerung. Die Inflationistas glauben, dass sie das Ende der westlichen Zivilisation bedeutet. In der Zwischenzeit ist der Rest der Welt wütend auf die Massnahmen der Fed. „Natürlich muss Ben Bernanke etwas richtig tun. Alle Einwände, die derzeit gegen die mengenmässige Lockerung (QE = quantitative easing) erhoben werden, wären gleichermassen auch gegen die konventionelle Geldpolitik anwendbar“, bemerkt Paul Krugman in seinem Blog. Und wie kann man angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und schlaffen Inflation argumentieren, dass die monetäre Expansion ungerechtfertigt ist? „Was jetzt weltweit zu sehen ist die Unfähigkeit, über die Wirtschaft klar nachzudenken. Insbesondere macht die unkonventionelle Art der Situation es deutlich, wie viele Menschen sich nicht an einem Modell orientieren, wie die Wirtschaft funktioniert, sondern darauf, was Paul Samuelson shibboleths genannt hat, womit er Slogans meinte, welche den Platz des harten Denkens übernehmen“, erklärt Krugman.


Angebot und Nachfrage nach Geldmitteln, GraphProf. Paul Krugman

Die grundlegende Situation der Weltwirtschaft ist einfach: Wir haben einen Überschuss an (gewünschten) Ersparnissen über (gewünschte) Investitionen, und das selbst bei Zinsen nahe Null. „Es sieht so aus, dort, wo die Formen der Ersparnisse und Investitionen jetzt sind, die Formen wären, wenn wir Vollbeschäftigung hätten“, fasst Krugman zusammen. Wie konnte das geschehen? Die Antwort ist v.a., dass „die übermässige Kreditaufnahme in der Vergangenheit grosse Teile der Welt kredit-gebunden belassen hat, zum Schuldenabbau zwingend, indem Ausgaben gekürzt werden müssen. Selbst ein Zinssatz von Null reicht dabei nicht aus, um die nicht-eingeschränkten Spieler davon zu überzeugen, die Ausgaben genug zu erhöhen, um auf diese Weise die Kürzungen auszugleichen“, erklärt Krugman.

Doch die Zinsen können nicht unter Null fallen, was ein Problem darstellt. Denn in der Welt als Ganzes müssen Einsparungen gleich Investitionen sein, oder äquivalent Ausgaben gleich Einkommen. Also der anfängliche Überschuss an Ersparnissen (excess of savings) führt zu einer depressiven Wirtschaft, in welcher der Einkommenrückgang mit dem Betrag, den die Leute auszugeben bereit oder in der Lage sind, übereinstimmen müssen.

So, was kann die Politik tun? (1) Die Politik kann versuchen, negative Realzinsen zu erreichen, indem sie Inflationserwartungen steigert. „Das ist eigentlich mehr oder weniger markt-freie Lösung“, argumentiert Krugman. Wie würde eine hypothetisch vollkommene Welt, in der die Preise flexibel und die Geldmenge (Geldangebot) fest sind, darauf reagieren? Die Antwort ist: Die Preise würden abstürzen, dass die Leute (im Rahmen der Inflationserwartungen, was heute erforderlich ist) erwarten würden, dass die in Zukunft wieder zulegen würden. Da die Preise nicht vollkommen flexibel sind und die Existenz der nominalen Schulden massive Deflation verschlimmert, ist die bevorzugte Alternative, Inflationserwartungen einfach steigen zu lassen. (2) Alternativ können Regierungen eingreifen, während der private Sektor nicht einschreiten kann. (3) Die Zentralbanken können versuchen, Null Zinsen zu umgehen, indem sie langlaufende Staatsanleihen kaufen, beschreibt der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor. Der Punkt ist hier, dass wir nur am kurzen Ende Nullsätze haben  und es möglich ist, obwohl nicht sicher, dass wir zumindest eine Zugkraft bekommen, wenn die Zentralbank langlaufende Anleihen kauft, erläutert Krugman weiter.

Aber jetzt, wo die Welt sich in dieser Situation befindet, widersprechen Very Serious People (VSP) diese Massnahmen: „Inflationssteuerung ist schrecklich, weil wir Preisstabilität haben müssen. Fiskalpolitik ist unannehmbar, weil wir ausgeglichene Haushalte haben müssen. QE ist empörend, weil es nicht das ist, was die Zentralbanken tun sollten“. Wenn man beachtet, beruht jeder Einspruch auf ein Schibboleth. Preisstabilität wird wie eine absolute Tugend behandelt, ohne dass es mit einem Modell erklärt wird, warum. Dasselbe gilt auch fürs Haushaltssaldo. Und diejenigen, die von der Idee der expansiven Geldpolitik entsetzt sind, haben in Eile ein Konzept erfunden, um ihre eigene Position zu rechtfertigen.

Fazit: „Die einfache Tatsache ist, dass wir einen globalen Überschuss an Ersparnissen haben, welcher Arbeitnehmern schreckliche Dinge antut. Das Vernünftigste ist, etwas dagegen zu unternehmen und es ist zutiefst unangemessen und zutiefst unverantwortlich, nicht zu handeln, weil man sich an vereinfachenden Parolen klammert“, schlussfolgert Krugman.

2 Kommentare:

endless.good.news hat gesagt…

"Doch die Zinsen können nicht unter Null fallen, was ein Problem darstellt. "

Warum sollte das nicht möglich sein. Die schwedische Zentralbank hat es vorgemacht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/144808

Acemaxx-Analytics hat gesagt…

In diesem Blog:

Schweden und negative Zinsen (Eintrag von 02. Okt. 2009)

und

Der ideale Zinssatz: Minus 5% (Eintrag von 27. April 2009)