Buchbesprechung:
Richard Koo: The Escape from Balance Sheet
Recession and the QE Trap, Wiley, Singapore,
2015.
Ich habe dieses Buch geschrieben, um Europa zu retten,
sagt Richard Koo in
einem aktuellen
Interview mit Finanz und Wirtschaft im März 2015.
In seinem neuen Werk
beschreibt Chefökonom
von Nomura Research Institute, was unter
einer Bilanzrezession (balance sheet
recession) zu verstehen ist und welche Erfahrungen Japan in den 1990er
Jahren damit gemacht hat.
Koo unterscheidet zwischen zwei Arten von Rezession.
Die gewöhnliche Rezession ist die Art von konjunkturellem Abschwung, den die
Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennt.
Der Auslöser ist i.d.R. eine
zu restriktive Geldpolitik der Zentralbank. Die seltene, aber gefährlichere Art
von Rezession ist die sog. Bilanzrezession, die durch eine Preisblase entsteht,
welche wiederum von einer übermässigen Kreditübernahme im Privatsektor angetrieben
wird:
Unternehmen und Verbraucher erleiden massive
Vermögenseinbussen. Das ist eine
Situation, in der jeder versucht, seine Vermögenswerte zu verkaufen, um
Schulden abzubauen, und auf diese Weise die eigene Bilanz zu sanieren. Wenn die
Mehrzahl von Wirtschaftssubjekten im Privatsektor gleichzeitig versucht, die
Bilanz durch Schuldenabbau (deleveraging)
in Ordnung zu bringen, kommt es zu einem deflationären Schub, da es an
Nachfrage mangelt.
Die Frage ist aber, welcher Art von Stimulus es
bedarf, um die Nachfragelücke zu schliessen, vor allem während der Prozess des
Schuldenabbaus im Privatsektor anhält. Schliesslich kann eine Volkswirtschaft
als Ganzes nicht sparen. Jemand muss das angesparte Geld aufnehmen, d.h. sich
verschulden, um es zu investieren. Da der Privatsektor für die Ersparnisse
keine Verwendung findet, kann die öffentliche Hand in die Bresche springen,
z.B. mit Ausgaben für die Infrastruktur.
In einer Bilanzrezession sind also staatliche Ausgaben
notwendig, um die Wirtschaft anzukurbeln. Sonst droht eine lang anhaltende
Stagnation. Die Regierung darf daher nicht zu früh versuchen, Haushalt zu
konsolidieren. Japan beging den
Fehler 1997 unter der Regierung Hashimoto.
Die Regierung hat geglaubt, Haushaltskonsolidierung nur mit Strukturreformen
erreichen zu können. Im Ergebnis ist die japanische Wirtschaft in fünf
aufeinander folgenden Quartalen geschrumpft.
Und dann beging Japan denselben
Fehler 2001 nocheinmal unter der
Regierung Koizumi. Auch die USA
machten denselben Fehler 1937 (*). Die Regierung Roosevelt hat die
Stimulierungsprogramme zu früh rückgängig gemacht. Das Konjunkturprogramm (fiscal stimulus) darf also lieber zu
gross als zu klein sein. In Amerika wurde die japanische Lektion jedoch
verstanden. Mit der deutlichen Warnung vor Fiscal
Cliff hat Ben Bernanke eine neuerliche Rezession verhindert.
Und Koo betont daher immer wieder, dass
Strukturreformen kein Ersatz für sofortige Impulse durch Staatsausgaben sind.
Denn der Staat ist der einzige Schuldner, der in einer Bilanzrezession noch
übrig bleibt.
Es gilt vor Augen zu halten, dass es ein „fallacy-of-composition“-Problem
(Trugschluss der Verallgemeinerung) gibt. Die Theorie von paradox of thrift (Sparparadoxon) illustriert im keynesianischen
Modell den Trugschluss wie folgt: Was für einzelne Teile stimmt, trifft nicht
auf das Ganze zu. Spart die ganze Welt, gibt es kein globales Wachstum. Es mag
für den Einzelnen (einzelwirtschaftlich) gut sein, mehr zu sparen. Wenn aber
jeder mehr spart, dürfte es zu einer Rezession (gesamtwirtschaftlich) kommen.
Das einzelwirtschaftliche Denken ist also für die
Gesamtheit falsch.
Weil damit die gesamte Nachfrage zurückgeht. Weil mit steigendem Ersparnis die
Absatzchancen der Unternehmen abnimmt: Die Ausgaben des einen sind nämlich die
Einnahmen des anderen. Sonst drosseln Unternehmen ihre Investitionen und
fallende Investitionen senken das Volkseinkommen, wodurch auch der Konsum
vermindert wird.
Private
sectors of Spain, Portugal and Ireland are large net savers in spite of
near-zero interest rates, Graph: Richard Koo in: Chapter 1 „The Escape from
Balance Sheet Recession and the QE Trap”
Eurozone
private sector savings are greater than their governments’ fiscal deficits Koo’s Gedanken beruhen auf Irving Fisher’s Konzept von
Debt-Deflation,
wonach eine anhaltende Konjunkturschwäche auch ohne wörtliche Deflation erklärt werden kann. Koo argumentiert, dass deficit spending (erhöhte
Staatsausgaben zur Konjunkturbelebung in Zeiten wirtschaftlicher Depression) in
einer Bilanz-Rezession
eine wichtige Rolle spielen und für die Schuldner ein vorteilhaftes Umfeld zum
Schuldenabbau bereitstellen kann. Koo befürwortet nicht nur Fiscal Stimulus, sondern weist den
Einsatz von Geldpolitik entschieden zurück. Er kann keinen Grund finden, die
QE-Politik der Zentralbanken zu unterstützen. Öfters warnt er vor Gefahren der
mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik.
Unabhängig davon, ob man mit den Ideen von Koo einverstanden ist oder nicht. Es lohnt sich auf alle Fälle, das Buch zu
lesen. Es gibt spezielle Abschnitte über die Bilanz-Rezession in den USA, in
Japan und die Euro-Krise. Im letzten Kapitel befasst sich der Autor mit Chinas
wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Abbildungen, über alle Kapitel schön
verteilt sind, sind einfach fantastisch.
(*) Das Konzept der säkularen Stagnation wurde 1938
von Alvin Hansen entwickelt. Nachdem
Präsident Franklin Roosevelt den Fiskalstimulus 1937 aussetzte, kollabierte die
Wirtschaft, und die Arbeitslosigkeit legte kräftig zu. Der Privatsektor war
immer noch mit dem Schuldenabbau (deleveraging)
beschäftigt und konnte daher immer noch nicht Geld leihen. Hansen dachte, dass
die US-Wirtschaft nun (nach vielen Jahren immer noch schwach) in säkulare
Stagnation geraten ist.
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