Sonntag, 6. Oktober 2013

Soziale Distanz und Auswirkungen auf die Politik

Ein Auge zudrücken. Jemandem die kalte Schulte zeigen. Herabsehen. Diese Metaphern für eine herablassende oder ablehnende Verhaltensweise sind mehr als nur eine Beschreibung.

Sie deuten auf die soziale Distanz zwischen den Menschen mit Macht und solchen Menschen mit weniger Vermögen hin; eine Distanz, die über den Bereich der zwischenmenschlichen Interaktionen hinausgeht, was wahrscheinlich die steigende Ungleichheit in den USA verschärft, schreibt Daniel Goleman in einem lesenswerten Artikel („Rich People Just Care Less“) in NYTimes am Sonntag.

Eine wachsende Anzahl der jüngsten Forschung zeigt, dass die Menschen mit der meisten gesellschaftlichen Macht kaum Aufmerksamkeit für diejenigen mit wenig Vermögen schenkt, unterstreicht der einst an der Harvard University lehrende Psychologe. Menschen mit einem höheren Status sind eher geneigt, Missachtung zum Ausdruck zu bringen, durch Mimik und sind eher bereitwillig, das Gespräch an sich zu reissen oder zu unterbrechen und an anderen am Gespräch teilnehmenden Menschen vorbeizusehen.

Der Versuch, die Mikropolitik der zwischenmenschlichen Aufmerksamkeit dazu zu bringen, um die soziale Macht (social power) zu verstehen, hat Auswirkungen auf die öffentliche Politik, hebt Goleman hervor.

Natürlich ist die soziale Macht in einer Gesellschaft relativ; jeder von uns kann in einer Interaktion höher oder tiefer sein. Die Forschung zeigt, dass der Effekt noch vorherrscht. Dennoch schenken die Menschen mit viel Macht weniger Aufmerksamkeit für uns als wir für sie. Eine Voraussetzung für die Empathie ist einfach die Aufmerksamkeit für eine Person in Not.

Der finanzielle Unterschied mündet in Schaffung eines Unterschieds im Verhalten. Arme Menschen sind besser in zwischenmenschlichen Beziehungen als die reichen Menschen.


Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Verhalten und die Regierungspolitik. Mit Bedürfnissen und Gefühlen einer anderen Person auf einer Wellenlänge zu liegen, ist eine Voraussetzung für die Empathie, was wiederum zum besseren Verständnis, zur Anteilnahme und, wenn die Umständen stimmen, zum mitfühlenden Handeln führen kann, erklärt Goleman.

In der Politik können bereitwillig abweisende, unangenehme Menschen sich ganz einfach zu abweisenden unangenehmen Wahrheiten hinreissen lassen. Das Beharren der einigen republikanischen Politiker im Kongress, die Finanzierung von Essensmarken zu kürzen und die Umsetzung von Obamacare zu verhindern, dürfte laut dem Autor des Buchen "Emotional Intelligence" auf die Lücke der Empathie (empathy gap) zurückgehen.

Wie die Politikwissenschaftler bemerkt haben, hat die Neueinteilung der Wahlkreisgrenzen und die Wahlkreisverschiebungen zur Schaffung von mehr und mehr sicheren Wahlkreisen geführt, wo gewählte Vertreter nicht einmal mit vielen Wählern der rivalisierenden Partei in Berührung kommen müssen, geschweige denn mit ihnen mitzufühlen. 

Seit den 1970er Jahren hat sich die Kluft zwischen reich und arm ausgeweitet. Die Einkommensungleichheit ist auf dem höchsten Niveau seit einem Jahrhundert. Abgesehen von den finanziellen Ungerechtigkeiten befürchtet Goleman aber eine ganz andere Lücke: Die Kluft in Empathie (gap in empathy). Die Verringerung der wirtschaftlichen Kluft kann unmöglich angegangen werden, ohne die Lücke im Hinblick auf die Empathie anzupacken.

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