Ein Auge zudrücken. Jemandem die kalte Schulte zeigen. Herabsehen. Diese Metaphern für eine herablassende oder ablehnende Verhaltensweise sind mehr als nur eine Beschreibung.
Sie deuten auf die soziale
Distanz zwischen den Menschen mit Macht und solchen Menschen mit weniger
Vermögen hin; eine Distanz, die über den Bereich der zwischenmenschlichen
Interaktionen hinausgeht, was wahrscheinlich die steigende Ungleichheit in den
USA verschärft, schreibt Daniel Goleman
in einem lesenswerten Artikel („Rich
People Just Care Less“) in NYTimes am Sonntag.
Eine wachsende Anzahl der
jüngsten Forschung zeigt, dass die Menschen mit der meisten gesellschaftlichen
Macht kaum Aufmerksamkeit für diejenigen mit wenig Vermögen schenkt,
unterstreicht der einst an der Harvard
University lehrende Psychologe. Menschen mit einem höheren Status sind eher
geneigt, Missachtung zum Ausdruck zu bringen, durch Mimik und sind eher
bereitwillig, das Gespräch an sich zu reissen oder zu unterbrechen und an
anderen am Gespräch teilnehmenden Menschen vorbeizusehen.
Der Versuch, die Mikropolitik der
zwischenmenschlichen Aufmerksamkeit dazu zu bringen, um die soziale Macht (social power) zu verstehen, hat
Auswirkungen auf die öffentliche Politik, hebt Goleman hervor.
Natürlich ist die soziale Macht in
einer Gesellschaft relativ; jeder von uns kann in einer Interaktion höher oder
tiefer sein. Die Forschung zeigt, dass der Effekt noch vorherrscht. Dennoch
schenken die Menschen mit viel Macht weniger Aufmerksamkeit für uns als wir für
sie. Eine Voraussetzung für die Empathie ist einfach die Aufmerksamkeit für
eine Person in Not.
Der finanzielle Unterschied
mündet in Schaffung eines Unterschieds im Verhalten. Arme Menschen sind besser
in zwischenmenschlichen Beziehungen als die reichen Menschen.
Dies hat tiefgreifende Auswirkungen
auf das gesellschaftliche Verhalten und die Regierungspolitik. Mit Bedürfnissen
und Gefühlen einer anderen Person auf einer Wellenlänge zu liegen, ist eine
Voraussetzung für die Empathie, was wiederum zum besseren Verständnis, zur Anteilnahme
und, wenn die Umständen stimmen, zum mitfühlenden Handeln führen kann, erklärt
Goleman.
In der Politik können bereitwillig
abweisende, unangenehme Menschen sich ganz einfach zu abweisenden unangenehmen
Wahrheiten hinreissen lassen. Das Beharren der einigen republikanischen
Politiker im Kongress, die Finanzierung von Essensmarken zu kürzen und die
Umsetzung von Obamacare zu verhindern, dürfte laut dem Autor des Buchen "Emotional Intelligence" auf die Lücke der
Empathie (empathy gap) zurückgehen.
Wie die Politikwissenschaftler
bemerkt haben, hat die Neueinteilung der Wahlkreisgrenzen und die Wahlkreisverschiebungen
zur Schaffung von mehr und mehr sicheren Wahlkreisen geführt, wo gewählte
Vertreter nicht einmal mit vielen Wählern der rivalisierenden Partei in
Berührung kommen müssen, geschweige denn mit ihnen mitzufühlen.
Seit den 1970er Jahren hat sich die Kluft zwischen reich und arm ausgeweitet. Die Einkommensungleichheit ist auf dem höchsten Niveau seit einem Jahrhundert. Abgesehen von den finanziellen Ungerechtigkeiten befürchtet Goleman aber eine ganz andere Lücke: Die Kluft in Empathie (gap in empathy). Die Verringerung der wirtschaftlichen Kluft kann unmöglich angegangen werden, ohne die Lücke im Hinblick auf die Empathie anzupacken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen