Mittwoch, 30. Oktober 2013

Schulden-Apokalypse und linke Blogger

Die Hardliner sind besessen von der These, dass zu viel Staatsverschuldung schreckliche Sachen auslöst: Zinsen schiessen (wegen Crowding out) durch die Decke und die Inflation steigt kräftig an. Die Wirtschaft wird lahmgelegt. Der Marktkapitalismus kommt zum Erliegen.

Die Defizit-Falken, die ständig den Teufel an die Wand malen, werden von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart akademisch unterstützt. Die Ökonomie-Professoren behaupten in einer im Jahr 2010 veröffentlichten Forschungsarbeit, dass die Volkswirtschaft  in einem Land, wo die Staatsverschuldung 90% des BIP übersteigt, deutlich langsamer wächst als in einem Land mit weniger Staatsschulden. Die Aussage „nimmt die Staatsverschuldung zu, bricht das Wachstum zusammen“ dient seither als intellektuelle Grundlage für die Austeritätspolitik, v.a. in Europa.

Die Protoganisten der harschen Sparmassnahmen haben damit einen kritischen Schwellenwert festgemacht. Wird die Marke von 90% überschritten, droht die Verschuldung hohe wirtschaftlichen Schäden anzurichten.

Stimmt es? Nein. Paul Krugman zeigt in seinem Blog anhand einer bemerkenswerten Abbildung mit neu verfügbaren Daten der britischen Notenbank (BoE: Bank of England) auf, dass die Schuldenstandsquote (debt-to-GDP) in England von 1700 an stetig gestiegen ist und 1825 mehr als das zweifache des BIP erreicht hat. Im Gegensatz zu den Warnungen von Rogoff und Reinhart fielen die britischen Zinsen zwischen 1800 und 1900 stetig. 

Die Zinsen schnellten im späten 20. Jahrhundert in die Höhe, zusammen mit denen der USA und dem Rest der Welt, obwohl die britische Staatsverschuldung von ihren Höchstständen im Zweiten Weltkrieg abgestürzt ist.




Staatsschulden versus Zinsen. Die 300-jährige Entwicklung in Grossbritannien, Graph: Prof. Paul Krugman

Man könnte meinen, dass diese Daten und die Beziehung, die sie zeigen, eigentlich einen gewissen Einfluss auf die derzeitige Debatte (über die Austeritätspolitik) nehmen sollte, v.a. angesichts des Hangs vieler Spieler, die sich weigern, ihre Argumentation anhand eines Wirtschaftsmodells mit empirischen Hinweisen aus der Geschichte zu belegen, fasst Krugman als Fazit zusammen.

Die Defizit-Schimpfer greifen dennoch weiter hart durch. Otmar Issing hofft, dass das OMT-Programm der EZB nie zum Einsatz kommt. Das frühere Mitglied der EZB hat keine Hemmungen, von „monetärer Staatsfinanzierung“ zu reden, statt von "lender of last resort" à la Bagehot. Der ehemalige Chef-Ökonom der EZB hält ferner in einem Interview mit der Finanz und Wirtschaft „forward guidance“ für einen Irrweg.

Allan Meltzer wiederholt in einem Gespräch mit der Finanz und Wirtschaft seine Warnungen, die er seit fast fünf Jahren wider besseren Wissens vorträgt. Der Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) werde zu kräftig steigenden Zinsen führen und hohe Inflation auslösen. Die ausländischen Investoren werden nicht mehr US-Staatsanleihen kaufen. 

Die Schulden-Apokalypse findet aber (immer noch) nicht statt. Die Renditen sind in den vergangenen Jahren gesunken. Die Inflation verläuft seit geraumer Zeit unterhalb der Zielmarke der Fed. Die globalen Investoren haben sogar während des Government Shutdown vermehrt US-Treasury Bonds gekauft.

Kenneth Rogoff sagt jetzt in einem kürzlich mit der FAZ geführten Gespräch, dass er sich von „linken Bloggern“ angegriffen fühlt. Er redet sogar von einer „Hexenjagd“.

Gnome der Austerität singen immer dasselbe Lied: „Das Vertrauen der Investoren kommt abhanden. Wir werden zu Griechenland“.


2 Kommentare:

Heinrich Elsigan hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anonym hat gesagt…

Der Staat hat Einnahmen und Ausgaben. Diese sind beide von der Konjunktur abhängig. Dann zahlt der Staat im Bereich der Ausgaben noch den Schuldendienst. (Zinsen für die Staatsschulden). Ob der Staat über eine eigene Zentralbank verfügt ist ebenfalls von Relevanz.
Wurde nur an Bürger des Staats im Inland Staatsanleihen ausgegeben, dann kann er auch zu z.B. 400% verschuldet sein. Bei Auslandsschulden gerät der Staat unter folgenden Bedingungen in Schwierigkeiten:

Sobald ein Staat ohne eigener Zentralbank mit Fremdwährungsschulden die Zinsen für die aufgenommenen Staatsschulden nicht mehr zahlen kann oder mit eigener Zentralbank nicht drucken will, kommt es zu Problemen. Seine Bonität wird durch die Ratingagenturen schnell abgewertet!
Alle wollen die Staatsanleihen loswerden und durch das schlechtere Rating zahlt der Staat noch höhere Risikozinsen.
Es hängt von der Wirtschaftsleistung, den privaten Guthaben, der Verschuldung des privaten Sektors, u.s.w. ab, ob der Staat Steuern weiter erhöhen kann, aber das geht nicht unendlich lang. Auch bei den Ausgaben kann der Staat nur gewisse Dinge einsparen.

Im Fall einer eigenen Notenbank könnte der Staat theoretisch Geld drucken, Gesetze wie Schuldenobergrenze oder Lobbies wie Tea-Party könnten dem aber entgegen wirken.