Depression wird zum „new normal“. Das ist der Eindruck, den die Politik in diesen Tagen hinterlässt. Was haben aber die Menschen vor der Finanzkrise als normal betrachtet?
Als normal galt, dass die
Wirtschaft jährlich eine Million oder mehr Arbeitsplätze schafft, um mit dem
Wachstum der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Schritt zu halten. Und normal
bedeutete eine Arbeitslosenquote von nicht viel mehr als 5%, mit Ausnahme in
Zeiten von kurzen Rezessionen. Es gab zwar immer Arbeitslosigkeit, aber unter
normal verstand man, dass nur wenige Menschen für einen längeren Zeitraum
arbeitslos waren, ruft Paul Krugman mit
Nachdruck in seiner lesenswerten Kolumne („The
Big Shrug“) am Montag in NYTimes in Erinnerung.
Wie hätten wir in jenen längst
vergangenen Tagen auf den Arbeitsmarktbericht von Freitag reagiert, dass die
Zahl der Amerikaner mit Jobs noch immer zwei Millionen geringer ist als vor
sechs Jahren? 7,6% der Arbeitskräfte sind ohne Beschäftigung und mehr als vier
Millionen Menschen sind seit mehr als sechs Monaten arbeitslos. Die Politik
reagiert heute so, als ob der Arbeitsmarktbericht gut wäre. Der Bericht wird
sogar als „Beweis“ dafür gefeiert, dass das Budget Sequester keinen Schaden angerichtet hat, legt Krugman dar.
Vor mehr als drei Jahren haben
einige Ökonomen wie Krugman dagegen gekämpft, dass wegen der schädlichen
Besessenheit der politischen Elite von Haushaltsdefiziten die Staatsausgaben gekürzt
wurden, anstatt erhöht zu werden, weshalb Arbeitsplätze vernichtet wurden,
anstatt geschaffen zu werden. Deshalb bemerkt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor zu Recht,
dass er noch nie jemals etwas Ähnliches wie den plötzlichen Zusammenbruch der austerity economics als politische
Doktrin erlebt hat.
Während aber die Insider nicht
mehr entschlossen scheinen, sich über die falschen Dinge Sorgen zu machen,
gehen sie sogar dazu über, sich über die richtigen Dinge Sorgen zu machen,
nämlich die Not der Arbeitslosen und die immense Verschwendung in einer schwer
angeschlagenen (depressiv) Wirtschaft.
Und es geschieht nichts.
Stattdessen scheinen die politischen Entscheidungsträger sowohl in den USA als
auch in Europa von einer Kombination aus Selbstgefälligkeit und Fatalismus
ergriffen, einem Gefühl, dass nichts mehr getan werden muss und kann: Krugman
nennt es das grosse Schulterzucken.
Selbst die Menschen, die Krugman
als die guten Jungs betrachtet, zeigen nicht viel Gefühl der Dringlichkeit in
diesen Tagen. Die Fed z.B. spricht von tapering, dass die Bemühungen, Anleihen am offenen Markt zu kaufen, zurückgefahren werden kann, auch wenn die
Inflation unter dem Zielwert verläuft und die Beschäftigungslage schrecklich
ist.
Warum ist aber die Verringerung
der Arbeitslosigkeit nicht eine wichtige Priorität? Eine Antwort mag sein, dass
die Trägheit (inertia) eine mächtige
Kraft darstellt. Nach dem Motto, solange neue Arbeitsplätze entstehen, d.h.
nicht verloren gehen, und die Arbeitslosigkeit im Wesentlichen stabil
verbleibt, spürt die Politik keinen dringenden Handlungsbedarf.
Eine andere Antwort ist, dass die
Arbeitslosen nicht viel politische Stimme haben. Eine dritte Antwort ist, dass
die monetären Falken, während wir heute von Defizitfalken nicht mehr viel
hören, lautstark werden, argumentiert Krugman. Es scheint keine Rolle zu
spielen, dass die monetären Falken (monetary
hawks) genau wie die fiskalischen Falken (fiscal hawks) falsch liegen. Wo ist denn die vermeintliche Inflation,
die durch die Decke schiesst?
Die Tragödie ist, dass das alles unnötig ist. Man hört von einem „new normal“. Aber es gibt allerlei Gründe dafür, dass das Argument zu kurz greift, wenn es einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen wird. Wenn Washington seine zerstörerischen Haushaltskürzungen rückgängig machen, und wenn die Fed eine Entschlossenheit à la Roosevelt zeigen würde, sodass Ben Bernanke seinem eigenen Rat, den er als unabhängiger Ökonom vor Jahren an Japan erteilt hatte, folgte, dann würden wir rasch feststellen, dass es nichts Normales in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit gibt. Als Fazit legt Krugman der Politik nahe, mit dem Achselzucken aufzuhören und endliche ihre Arbeit zu tun.
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