Ökonomen suchen Antworten auf die Frage, warum die Erholung der amerikanischen Wirtschaft so träge passiert. Einige richten das Augenmerk nach dem Thema „financialization“ (Finanzialisierung). Unter „financialization“ versteht man den wachsenden Anteil des Finanzsektors am BIP (Wirtschaftsleistung).
Finanzialisierung ist zugleich
ein wichtiger Faktor für das Wachstum der Einkommensungleichheit, bemerkt Bruce Bartlett in einem lesenswerten
Artikel („Financialization as cause of
economic malaise“) in NYTimes. Der ehemalige Berater der Reagan und George
W. Bush Regierungen deutet dabei auf mehrere aktuelle Forschungspapiere hin.
Özgür Orhangazi von der Roosevelt University hat z.B. festgestellt, dass die
Investitionen in der Realwirtschaft abnehmen, wenn die Finanzialisierung
ansteigt. Darüber hinaus reduzieren steigende Gebühren für die
nicht-finanzielle Unternehmen in den Finanzmärkten die verfügbaren internen
Mittel für Investitionen und verkürzen den Planungshorizont, was die
Unsicherheit erhöht.
Adair Turner, der ehemalige Finanzmarkt-Regulierer aus Grossbritannien sagt,
dass es keinen eindeutigen Beweis dafür gibt, dass das Finanzsystem, was die
Grösse und Komplexität angeht, in den fortentwickelten Industrieländern in den
letzten 20 bis 30 Jahren das Wachstum oder die Stabilität angetrieben hätte. Er
legt nahe, dass die Gewinne des Finanzsektors vielmehr in Form von ökonomischen
Renten (economic rents) erfolgen als
Erträge von grösserem ökonomischen Wert.
Finanzialisierung: der wachsende Anteil des Finanzsektor am BIP, Graph: Bruce Bartlett in NYTimes
Eine weitere Möglichkeit, wie der
Finanzsektor anderen Sektoren das Blut absaugt, ist die Gewinnung eines
steigenden Anteils der „besten und hellsten“ Arbeitskräfte des Landes, was z.B.
dem verarbeitenden Gewerbe die Fähigkeiten beraubt.
Während der Anteil des Faktors
Kapital steigt, sinkt der Anteil des Faktors Arbeit an der gesamten Wirtschaftsleistung.
Wie in der von der Fed St. Louis präsentierten Abbildung zu erkennen ist, ist
der Anteil der Arbeit (ausserhalb der Landwirtschaft) von 2001 bis heute um 12%
gesunken. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entfällt 46% des Rückgangs des Faktors Arbeit auf die Finanzialisierung,
19% auf die Globalisierung, 10% auf den technologischen Wandel und 25% auf
institutionelle Faktoren.
Anteil des Faktors Arbeit
schrumpft, Graph: FRED Fed St. Louis via Bruce Bartlett in
NYTimes
Dieses Phänomen ist eine der Hauptursachen der steigenden Einkommensungleichheit, die wiederum selbst ein wichtiger Grund für träges Wirtschaftswachstum ist. Das Einkommen der Mittelschicht ist aufgrund der Kaufkraft entscheidend für das Wirtschaftswachstum. Es ist nämlich der private Verbrauch, der das Wachstum fördert. Steigt die Konsumnachfrage, investieren Unternehmen, weil sie mehr Umsatz generieren können und schaffen damit Arbeitsplätze. Die Finanzialisierung ist damit eine der Treibkräfte des steigenden Anteils des Einkommens zugunsten der Ultrareichen, der obersten 0,1% der Einkommensverteilung.
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