Mittwoch, 12. Juni 2013

Finanzialisierung als Ursache von Einkommensungleichheit

Ökonomen suchen Antworten auf die Frage, warum die Erholung der amerikanischen Wirtschaft so träge passiert. Einige richten das Augenmerk nach dem Thema „financialization“ (Finanzialisierung). Unter „financialization“ versteht man den wachsenden Anteil des Finanzsektors am BIP (Wirtschaftsleistung).

Finanzialisierung ist zugleich ein wichtiger Faktor für das Wachstum der Einkommensungleichheit, bemerkt Bruce Bartlett in einem lesenswerten Artikel („Financialization as cause of economic malaise“) in NYTimes. Der ehemalige Berater der Reagan und George W. Bush Regierungen deutet dabei auf mehrere aktuelle Forschungspapiere hin.

Özgür Orhangazi von der Roosevelt University hat z.B. festgestellt, dass die Investitionen in der Realwirtschaft abnehmen, wenn die Finanzialisierung ansteigt. Darüber hinaus reduzieren steigende Gebühren für die nicht-finanzielle Unternehmen in den Finanzmärkten die verfügbaren internen Mittel für Investitionen und verkürzen den Planungshorizont, was die Unsicherheit erhöht.

Adair Turner, der ehemalige Finanzmarkt-Regulierer aus Grossbritannien sagt, dass es keinen eindeutigen Beweis dafür gibt, dass das Finanzsystem, was die Grösse und Komplexität angeht, in den fortentwickelten Industrieländern in den letzten 20 bis 30 Jahren das Wachstum oder die Stabilität angetrieben hätte. Er legt nahe, dass die Gewinne des Finanzsektors vielmehr in Form von ökonomischen Renten (economic rents) erfolgen als Erträge von grösserem ökonomischen Wert.


Finanzialisierung: der wachsende Anteil des Finanzsektor am BIP, Graph: Bruce Bartlett in NYTimes

Eine weitere Möglichkeit, wie der Finanzsektor anderen Sektoren das Blut absaugt, ist die Gewinnung eines steigenden Anteils der „besten und hellsten“ Arbeitskräfte des Landes, was z.B. dem verarbeitenden Gewerbe die Fähigkeiten beraubt.

Während der Anteil des Faktors Kapital steigt, sinkt der Anteil des Faktors Arbeit an der gesamten Wirtschaftsleistung. Wie in der von der Fed St. Louis präsentierten Abbildung zu erkennen ist, ist der Anteil der Arbeit (ausserhalb der Landwirtschaft) von 2001 bis heute um 12% gesunken. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entfällt 46% des Rückgangs des Faktors Arbeit auf die Finanzialisierung, 19% auf die Globalisierung, 10% auf den technologischen Wandel und 25% auf institutionelle Faktoren.



Anteil des Faktors Arbeit schrumpft, Graph: FRED Fed St. Louis via Bruce Bartlett in NYTimes

Dieses Phänomen ist eine der Hauptursachen der steigenden Einkommensungleichheit, die wiederum selbst ein wichtiger Grund für träges Wirtschaftswachstum ist. Das Einkommen der Mittelschicht ist aufgrund der Kaufkraft entscheidend für das Wirtschaftswachstum. Es ist nämlich der private Verbrauch, der das Wachstum fördert. Steigt die Konsumnachfrage, investieren Unternehmen, weil sie mehr Umsatz generieren können und schaffen damit Arbeitsplätze. Die Finanzialisierung ist damit eine der Treibkräfte des steigenden Anteils des Einkommens zugunsten der Ultrareichen, der obersten 0,1% der Einkommensverteilung.

Keine Kommentare: