Die EZB ist an den EU-Vertrag gebunden und unterliegt damit nicht dem deutschen Grundgesetz. Dennoch hat sich das Bundesverfassungsgericht in einer zweitägigen Verhandlung mit der Frage befasst, ob das OMT-Programm (Anleihekauf) der EZB gegen den Artikel 123 („Verbot der monetären Staatsfinanzierung“) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verstösst.
Die Kläger (politische Gruppen, Professoren und Politiker mit Sitz im Parlament) behaupten, dass die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen nicht nur Geld-,
sondern auch Fiskalpolitik betreibe.
Paul De Grauwe erläutert in einem lesenswerten Artikel („Fiscal implications of the ECB’s bond-buying
programme“) gemeinsam mit Yuemei Ji in voxeu die fiskalischen Auswirkungen der Anleihekäufe durch die EZB.
Eine der wichtigsten Lehren aus
der Finanzkrise von 2008 ist, dass die Banken über mehr Eigenkapital verfügen
müssen. Die Aufsichtsbehörden plädieren deswegen für strengere
Eigenmittelvorschriften. Zugleich gibt es aber im Sog der Eurokrise
Befürchtungen, dass die EZB demnächst negatives Eigenkapital ausweisen würde:
Die EZB müsste rekapitalisiert werden und die Verluste müssten von der
Öffentlichkeit getragen werden.
Eine Zentralbank ist aber mit
einer Geschäftsbank oder einem privaten Unternehmen nicht zu vergleichen.
Notenbanken können nicht illiquid werden. Die Handlungsfähigkeit einer Zentralbank wird nicht
eingeschränkt, wenn ihr Eigenkapital vorübergehend negativ wird. Eine
Zentralbank hat aufgrund ihres Notenmonopols gegenüber anderen Unternehmen
einen Finanzierungsvorteil.
Es gibt aber in der Öffentlichkeit
eine Verwirrung darüber. Die Medien können irgendwie auch nicht Abhilfe
schaffen, weil auch die Bundesbank Verwirrung stiftet. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann will das Mandat der EZB
einschränken lassen und bittet daher Karlsruhe um Hilfe. Die Bundesbank steht
nämlich mit der Anklage gegen die EZB auf derselben Linie.
De Grauwe betont, dass die Befürchtungen, dass die deutschen Steuerzahler die
Verluste der EZB tragen müssten, völlig unangebracht sind. Die Ängste beruhen laut
dem an der London School of Economics
lehrenden Wirtschaftsprofessor auf Missverständnisse in Bezug auf die
Zahlungsfähigkeit der Zentralbanken. In der Tat sind die deutschen Steuerzahler
die Hauptnutzniesser eines solchen Anleihekauf-Programms.
Eine Zentralbank muss kein Eigenkapital
haben. Die Behauptung, dass eine Zentralbank mit negativem Eigenkapital durch das Finanzministerium (Schatzamt)
rekapitalisiert werden muss, ist sinnlos, bemerkt De Grauwe und zieht die folgenden zwei Schlüsse: (1) Die Zentralbank, die nicht
Zahlungsunfähigkeit (default)
erklären kann, braucht keine fiskalische Unterstützung durch den Staat, der default erklären kann. (2) Die einzige
Stützung, die die Zentralbank von der Regierung braucht, ist, dass sie das
Notenmonopol beibehält.
Nun überprüft De Grauwe die praktischen Auswirkungen dieser beiden Schlussfolgerungen aufgrund
des Anleihekauf-Programms erstens im Fall der Zentralbank in einem Land und
zweitens im Fall der Zentralbank in einer Währungsunion wie der EWU.
(1) Durch den Ankauf von Anleihen
transformiert die Zentralbank die Art der öffentlichen Verschuldung. Wenn die Zentralbank
die Anleihen des Staates kauft, werden die Anleihen „umgewandelt“. Eine
Staatsanleihe, die Zinsen abwirft und ein Ausfallrisiko trägt, wird dadurch zu
einer monetären Verbindlichkeit der Zentralbank (money base), was nun default-frei
wird, aber dem Inflationsrisiko unterliegt, argumentiert De Grauwe.
Nach der Transformation durch die
Zentralbank neutralisieren sich die Staatsanleihen: Ein Vermögenswert (bei der
Zentralbank) steht einer Verbindlichkeit (bei der Regierung) gegenüber. Als
Ergebnis heben sie sich auf.
Wenn eine Zentralbank also eine
Staatsanleihe ankauft, entfaltet der Rückgang im Wert dieser Staatsanleihen im
Markt keine fiskalischen Auswirkungen. Ein Beispiel: Wenn die Zentralbank eine
Staatsanleihe im Wert von 1 Mrd. Euro mit einem Kupon von 4% kauft, bekommt sie
jährlich Zinseinnahmen in Höhe von 40 Mio. Euro. Am Ende des Jahres überträgt
die Zentralbank die Zinserträge (mit Grenzkosten von null) an das Schatzamt (bzw.
an die Regierung). Es ergibt sich daraus kein Gewinn für die öffentliche Hand.
Der Gewinn der Zentralbank wird durch einen Verlust der Regierung ausgeglichen.
Was passiert aber, wenn die
Zentralbank die Zinseinnahmen von 40 Mio. Euro nicht bekommt, weil die
Regierung die Anleihe platzen lässt (default)?
Der Zahlungsausfall würde zu
Verlusten bei privaten Gläubigern der Anleihe führen. Aber es ist für die
Zentralbank irrelevant. Da die Zentralbank keine Zinseinnahmen bekommt, muss
sie auch keine an das Schatzamt übertragen. Der Verlust der Zentralbank hat im
Fall von Zahlungsausfall keine fiskalischen Auswirkungen.
(2) Das Ganze wird komplizierter,
wenn man die Frage in einer Währungsunion die keine Fiskalunion ist,
überprüft, da es nicht nur ein Land, sondern mehrere Länder (zur Zeit 17) gibt.
Da die Eurozone keine Fiskalunion ist, führt das Anleihekauf-Programm zu Transfers unter den Mitgliedsländern.
Beispiel: Wenn die EZB eine
spanische Staatsanleihe im Wert von 1 Mrd. Euro mit einem Kupon von 4% kauft,
ergeben sich laut De Grauwe folgende fiskalische Auswirkungen: (a) Die EZB
bekommt vom spanischen Schatzamt Zinserträge in Höhe von 40 Mio. Euro im Jahr. (b)
Die EZB überträgt die Zinseinnahmen jedes Jahr an die Zentralbanken der Länder
in der Eurozone. Die Verteilung erfolgt pro rata mit dem jeweiligen Anteil der
Länder an der EZB. Die Zentralbanken übertragen dann die Gelder weiter an die
eigene Regierung (d.h. das Schatzamt). Die EZB überträgt konkret 11,9% der
Zinserträge (40 Mio. Euro) an die Zentralbank Spaniens (Banco de Espana). Der Rest geht an die Zentralbanken der anderen
Länder. Die grösste Empfängerin ist die deutsche Bundesbank, ihrem Anteil von 27,1% entsprechend: 10,8
Mio. Euro (in diesem Zahlenbeispiel).
In einer Währungsunion (in
Ermangelung einer Fiskalunion) führt ein Anleihekauf-Programm zu Finanztransfers
zwischen den Ländern, aber nicht in dem Sinne, wie in Deutschland durch die
Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ein Anleihekauf-Programm der EZB führt
jährlich zu einem Transfer von Ländern, denen die Anleihe abgekauft wird, zu
den Ländern, denen keine Anleihe abgekauft wird.
Nun könnte die EZB ein
Anleihekauf-Programm durchführen, welches Finanztransfers vermeidet, dadurch
dass der Ankauf von Anleihen im gleichen Verhältnis zu den Anteilen der
teilnehmenden Zentralbanken erfolgt. Damit würde aber das „Problem von Transfers“
nicht gelöst, weil die Verzinsung der ausstehenden Staatsanleihen nicht gleich
ist.
In der Tat ist es so, dass die
Länder mit der höchsten Kuponzahlungen (auf Staatsanleihen) Netto-Zahler sind,
zu Gunsten von Ländern mit den niedrigsten Kuponzahlungen auf Staatsanleihen.
Die Finanztransfers erfolgen tatsächlich von Kreditnehmer-Ländern (debtor) in Richtung zu den Kreditgeber-Ländern (creditor).
Was aber passiert, wenn die
Zentralbank die Zinseinnahmen von 40 Mio. Euro nicht bekommt, weil die eine Regierung
in der Währungsunion die Anleihe platzen lässt (default)?
Wenn also in unserem Beispiel
Spanien seine Staatsanleihe nicht bedienen würde, würde die EZB damit aufhören,
Zinseinnahmen pro rata an die Zentralbanken der anderen Mitglieder der Eurozone
zu übertragen. Die deutschen Steuerzahler würden also jährlich keine 10, 8 Mio.
Euro bekommen. In keiner Weise würde man jedoch daraus schliessen, dass die
deutschen Steuerzahler oder die Steuerzahler eines anderen Mitgliedstaates der
Eurozone den Zinsausfall der spanischen Staatsanleihen ausgleichen bzw.
übernehmen müssten.
De Grauwe vertritt jedoch die
Ansicht, dass es die Möglichkeit von Inflationssteuer (inflation tax)
gibt, d.h. einem wirtschaftlichen Nachteil. Im Moment der Umsetzung des
Anleihekaufprogramms werden verzinsliche Papiere in monetäre Verbindlichkeiten
der EZB (money base) transformiert, was laut De Grauwe zu Inflation führen könnte, womit eine Inflationssteuer von allen
Menschen, die Euro halten, getragen werden würde. Die Frage ist am Schluss laut
De Grauwe, wie gross der Umfang des Anleihekauf-Programms sein kann, ohne
zusätzliche Inflation zu erzeugen, weil mit dem Anleihekauf-Programm die
Notenbankgeldmenge (money base)
ausweitet werde. Die entscheidende Frage sei, wie der Anstieg der Notenbankgeldmenge (Giroguthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank +
Notenumlauf) zur Geldmenge übertragen werde. De Grauwe betont zwar, dass es nicht auf die
Notenbankgeldmenge, sondern auf die Geldmenge ankomme, was die Inflation
betreffe. Aber ich kann genau hier De Grauwe nicht ganz folgen. Der Geldmultiplikator ist zwar in den vergangenen Wochen in der Eurozone etwas
angestiegen, aber der Anstieg hat nicht mit einer vermehrten Geldschöpfung im Banken-Sektor zu tun, sondern damit dass die
Notenbankgeldmenge zurückgegangen ist. Dennoch: Ein ausgezeichneter
Artikel. Unbedingt lesenswert.
PS: In der Schweiz ist die Notenbankgeldmenge im Sog der Eurokrise von 45 Mrd. CHF auf mehr als 250 Mrd.
CHF gestiegen. Aber die Inflation ist negativ. Es gibt keine Inflation, sondern Disinflation mit Deflationsgefahr. Die SNB kauft keine Staatspapiere, aber dafür Devisen, v.a. Euro am Markt auf.
1 Kommentar:
"Notenbanken können nicht illiquid werden."
Dazu kann man aber auch eine andere Meinung haben:
"Zugleich bleibt Ben Bernanke auf dem Chefposten der FED, obwohl er mit der Verstiegenheit verblüfft, dass eine Zentralbank nicht bankrott gehen könne. Ihm bleibt die essentielle Basis ihres durchaus verlierbaren Eigentums für die Besicherung des Geldes und die Nachhaltigkeit der Kreditnetze dunkel."
Aus: Heinsohn/Steiger, Eigentumsökonomik
Ein nicht nur für den Blogbetreiber empfehlenswertes Werk - meines Erachtens das einzige, welches die Entstehung und das Wesen von Geld fugenlos darstellt.
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