Buchbesprechung:
Heiner
Flassbeck and Costas
Lapavitsas: Nur Deutschland kann den
Euro retten. Der letzte Akt beginnt. Westend
Verlag, Frankfurt, 2015.
Seit der Lehman-Pleite sind mittlerweile sieben Jahre
verstrichen. Europa hat es nicht geschafft, das Vor-Krisen-Produktionsniveau zu
erreichen.
Die merkantilistische Politik der EWU flankiert durch die
Austerität und Lohnmoderation hat Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit, Deflation
und einen Aufstieg der rechtsextremistischen Parteien hervorgerufen.
Die bittere Bilanz zeigt, dass die soziale Gerechtigkeit
ernstlich bedroht ist, eine umfassende Wohlfahrt der Gesellschaft abhanden
geht. Der Kern der Eurozone steckt in einer Sackgasse im historischen Ausmass, heben
Heiner Flassbeck and Costas Lapavitsas in diesem lesenswerten
Buch
mit Nachdruck hervor.
Die Orientierung an der neoliberalen Wirtschaftslehre
mit verheerenden Folgen ist der Grund,
warum auch die EZB gescheitert ist.Die EZB hat unter der Regie von Jean-Claude Trichet 2011 in einer von Depression
heimgesuchten Wirtschaft die Zinsen zweimal erhöht. Begründung: Die angeblich um die Ecke lauernde
Inflationsgefahr.
Tatsache ist, dass sich die Inflation ohne Ausweitung
der Geldmenge nicht beschleunigen kann. Daraus folgt aber nicht, dass jede
Geldmengenausweitung zu einem Anstieg der Inflation führt. Die
Geldmengenausweitung ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für
Beschleunigung der Inflation ist. Zumal die europäische Wirtschaft in einer
Bilanz-Rezession steckt, wo es gilt, die Nachfragelücke zu füllen, während der
Prozess des Schuldenabbaus (deleveraging)
im Privatsektor anhält. Zur Erinnerung: Es war der Neoliberalismus,der als
Ideologie des Finanzkapitalismus mit dem Streben nach Finanzprofiten eine hohe
Verschuldung der Haushalte verursacht hat.
Doch die EZB hat sich sogar bis vor einem Jahr
geweigert, in der EWU die Rolle des lender of last resort zu spielen. Die grundsätzlichen Fehler liegen im
neoklassischen Verständnis der Ersparnisse, wie die Autoren weiter erläutern.
Wenn in schlechten Zeiten alle sparen (öffentliche
Hand, private Haushalte und Unternehmen), dann sinkt die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage, wodurch auch die gesamten Ersparnisse abnehmen, weil der Verbrauch
eingeschränkt und das Wirtschaftswachstum gedämpft wird. Was für einen
einzelnen Haushalt sinnvoll ist, muss also nicht unbedingt der gesamten
Wirtschaft zugute kommen. Das ist das sog. Sparparadoxon.
Doch Wolfgang Schäuble hat vor zwei Wochen in einem wunderlichen Meinungsartikel in NYTimes
erneut bekräftigt, dass die Austerität zu Vertrauen führe, und Vertrauen
Wachstum schaffe. Sollte es nicht funktionieren, liege es daran, dass das betreffende
Land es nicht richtig anpacke. Das ist natürlich Quatsch oder höflich
formuliert „eine pauschale Verneinung all dessen, was wir über die
Volkswirtschaft wissen“ , wie Paul Krugman kurz danach darauf (wiederum in
NYTimes) geantwortet hat.
Die europäische Austeritätspolitik hat zu einem
dramatischen Schwund der Inlandsnachfrage geführt. Die durch die deutsche
Politik der Lohnmoderation verursachte Divergenz der Lohnstückkosten hat die
Situation so verschlimmert, dass der Rest der Eurozone v.a. an der Peripherie
gezwungen wurde, um den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnsenkungen und
Sozialabbau wieder auszugleichen.
Lohnstückkosten in der Eurozone, Graph: Prof. Heiner Flassbeck in: flassbeck-economics, März 2015
Die entscheidende Frage ist, wie lange die Demokratie
funktionieren kann, wenn eine Regierung nach der anderen die Fähigkeit
einbüsst, die Wirtschaft zu stimulieren und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?
Die Autoren nehmen vor diesem Hintergrund kein Blatt
vor den Mund, zu unterstreichen, dass die von Deutschland verordnete Politik
den Geist des „vereinten Europas“ zerstört und in mehreren Ländern zu heftigen
sozialen und politischen Spannungen
geführt hat. Und die unbeschönigten und direkten Aussagen machen die Qualität dieses
Buches aus.
Damit keine grosse Unterschiede bei der Inflation
entstehen, die zu Wettbewerbsdiskrepanzen bei den Mitgliedsländern führen, muss
der Lohnzuwachs dem Produktivitätswachstum plus dem Inflationsziel der EZB
entsprechen. Denn die Lohnstückkosten sind der entscheidende Faktor für die
allgemeinen Preisbewegungen.
Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion steuert
auf ein Desaster zu. Im Kern des Scheiterns der EWU liegt Deutschlands
Wirtschaftsmodell, lautet die Klage der Autoren. Dazu kommt, dass andere
europäische Länder unfähig waren, das deutsche Modell offen infrage zu stellen.
Tatsächlich hat
der schrankenlose Neoliberalismus in Europa alles andere als Wohlstand
gebracht. Soziale Verwerfungen gehen eindeutig auf die neoklassische Kappe der
EU-Behörden zurück.
Flassbeck und Lapavitsas legen einen Austritt aus der Währungsunion als realistische und
progressive Option, zu den nationalen Währungen zurückzukehren, die Demokratie
zu verteidigen und die nationale Souveränität zu schützen, nahe. Das alte
Europäische Währungssystem wiederzubeleben, wäre technisch nicht problematisch.
Die „unmögliche Triade“ lässt sich nämlich nicht
umgehen: das Problem der Umschuldung, das allgemeinere Problem der Aufhebung der Sparpolitik und die Konditionalität der
Rettungspakete. Die Autoren fassen einen „geordneten Austritt“ einer Gruppe von
Ländern ins Auge, um den Neoliberalismus als politischen Rahmen aufzugeben, wo
die Finanzialisierung aller Lebensbereiche hemmungslos vorangetrieben wurde.
Ein weiterer Schuldenschnitt bleibt erforderlich. Nur
indem man Griechenland die Schuldenfesseln abnimmt, kann das Land zu Wachstum
und einem würdigen Lebensstandard zurückfinden. Dieses Buch ist als Referenz
für einen vernüftigen wirtschaftspolitischen Weg im Sog der europäischen Krise mit
einem starken makroökonomischen Unterbau unerlässlich.
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