Buchbesprechung:
Charles A.
Kupchan:
No One’s World. The West, the Rising
Rest and the Coming Global Turn. Oxford
University Press, Oxford, New York 2013.
2010 haben die Weltbank und der IWF sich einverstanden
erklärt, das Stimmrecht der Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Südamerika
zu erhöhen. Eine Veränderung, die auf Kosten des entwickelten Westens zustande
kam. Eine Mehrzahl der Experten ist sich mittlerweile einig, dass die Welt an
der Schwelle zu einem Global Turn
steht.
In den vergangenen 200 Jahren haben Europa und die USA
die Natur der modernen Welt geprägt. Die westliche Vorrangstellung scheint aber inzwischen zu vergehen. Brasilien, China, Indien,
die Türkei, um die meist zitierten Protagonisten zu nennen, erheben sich.
Zum ersten Mal in der Geschichte entsteht eine unabhängige Welt ohne ein
Zentrum als Anziehungskraft.
Das 21. Jahrhundert wird nicht den USA, China oder
Asia gehören, sondern niemandem, schreibt Charles
A. Kupchan in seinem neuen Buch. Eine globale Ordnung, wenn sie sich
entwickelt, wird eine Mischung aus diversen politischen Kulturen und zueinander
in Konkurrenz stehenden Konzeptionen von einheimischen und internationalen
Ordnungen sein, argumentiert der an der Georgetown
University lehrende Professor für internationale Beziehungen.
Der Autor verfolgt mit diesem Werk zwei Ziele: (1) ein
analytisches Ziel, um die Ursachen und die Folgen der bevorstehenden globalen
Wende (global turn) zu erkunden, und
(2) ein verordnendes Ziel in Form eines Entwurfs, wie der Westen sich auf das
21. Jahrhundert einstellen kann.
Zunächst erklärt Kupchan, wie der Westen einem einzigartigen und
bedingten Weg gefolgt ist: Der Haupttreiber des Aufstiegs des Westens war das
sozioökonomische Ferment: Europa und Amerika haben gemeinsam eine politische
Ordnung geschmiedet, die von den Grundsätzen wie „liberal democracy, industrial
capitalism“ und „secular nationalism“ definiert war.
Die Bewahrung der westlichen Ordnung verlangt vor
diesem Hintergrund, dass der Vorstoss der Modernisierung in den
Entwicklungsländern eine homogene Gemeinschaft der Nationen entlang der
westlichen Linien ermöglicht, so Kupchan. Die meisten aufsteigenden Mächte
folgen aber heute nicht dem Entwicklungsweg des Westens: sie haben ein
unterschiedliches kulturelles und sozioökonomisches Fundament, weshalb sie ihre
eigene interne Ordnung und ideologische Orientierung suchen.
Der Aufstieg des Westens war dadurch gekennzeichnet,
dass Europa fragmentiert war (man denke an die Topographie: hohe Berge, Hügel,
Flüsse usw.) und aus konkurrierenden Zentren der Autorität bestand. Es war die
Reformation, die in diesem Zusammenhang zum religiösen und politischen
Pluralismus beigetragen hat, was den Aufstieg von neuen Akteuren wie Händlern
und Handwerkern förderte. Mit der Zeit ist daraus eine bürgerliche Gesellschaft hervorgegangen.
Da es an einer wohlhabenden und gut organisierten
Bürgerschaft gefehlt hat, hat der Osten mit dem Westen nicht Schritt halten
können. Es gab keine religiöse und politische Transformation ausserhalb des
Westens. Während der Christentum eine Religion des Glaubens ist und nicht das
Gesetz und die Politik darstellt, ist der Islam nicht nur eine Religion des
Glaubens, sondern auch das Gesetz und die Politik zugleich. Der Sultan im
Osmanischen Reich war beispielsweise Kaiser und in gleicher Weise Papst.
Mit anderen Worten hat die Zentralisierung der
Autorität im Osmanischen Reich die Entstehung einer gesellschaftlichen Vitalität,
der wirtschaftlichen Dynamik und des notwendigen politischen und religiösen
Pluralismus verhindert, um Europa folgen zu können. Im Westen hingegen ermöglichten
politische Fragmentation, kommerzielle Innovation, Verstädterung,
sozio-ökonomische Differenzen zwischen Stadt und Land das Aufkommen einer
Bürgerschaft, die sich allmählich als Gegengewicht zu Monarchie, Aristokratie
und die Kirche formte, was einen politischen Spielraum für verfassungsrechtliche
Ordnung auf einem fruchtbaren Boden schuf.
Wenn sich jetzt eine neue, auf Regeln basierende
Ordnung entwickelt, muss sich der Westen der politischen Vielfältigkeit annehmen,
anstatt darauf zu bestehen, dass die liberal
democracy die einzig legitime Form der Staatsführung ist, erklärt Kupchan
weiter. Terrorismus, Weitergabe von Atomwaffen, Klimawandel, Energiesicherheit,
Wasser- & Nahrungsmittel-Sicherheit und Finanzkrise stellen
Herausforderungen dar, die nur in Partnerschaft mit einem breiten Spektrum von
Ländern angegangen werden können. Es bedarf daher einer neuen, mehr inklusiven
Vorstellung der Rechtmässigkeit (legitimacy),
so Kupchan.
Solange andere Länder vernünftige Standards für
verantwortungsvolle Governance
einhalten, sollte ihre politische Wahl vom Westen als eine Angelegenheit von
nationaler Verfügungsfreiheit respektiert werden. Es gilt aber sicherlich, sich
gegen die Länder, die ihre Bevölkerung quälen und plagen, wie Sudan, Nordkorea
und Zimbabwe, zur Wehr zu setzen. Die USA
sollen dabei als die weltbeherrschende Macht die Führung in Bezug auf die
Gestaltung dieses mehr pluralistischen Ansatzes für die Gesetzmässigkeit
übernehmen.
Kompromisse, Toleranz und Pluralismus waren
entscheidend für den Aufstieg des Westens. Die kommende politische Ordnung
sollte deshalb eine Sorte von Globalisierung fördern, wo die Prosperität mehr
gleichmässig verteilt ist. Die globalisierte Wirtschaft hat die
Vermögensungleichheit vergrössert, innerhalb und untereinander von Ländern. Auch
die Milderung der Vermögensungleichheit erfordert also eine wesentliche
Anpassung der liberalen ökonomischen Ordnung, die durch den Westen errichtet
wurde, hält der Autor fest.
So können Grundprinzipien bewahrt werden, um den „West
und den aufsteigenden Rest“ zu gleiten, in Richtung eines neuen, auf Regeln
beruhenden Systems zur Förderung des globalen Wachstums, was der Autor als „multiple versions of modernity“ nennt
und hinzufügt, dass z.B. Deutschland
dabei die Binnennachfrage ankurbeln und mehr Güter aus dem Rest der Welt
importieren muss.
Politische Vielfalt und Pluralismus kommen noch. Der
Aufstieg des Westen war schliesslich in
vielerlei Hinsicht das Produkt der Bereitschaft der Europäer Veränderungen zu
billigen und die religöse sowie politische Vielfältigkeit zu begrüssen, was den
ökonomischen, politischen und ideologischen Status Quo umkippte. Das Buch
bietet für alle, die an der Schwelle zum Globalen
Turn das ganze Grosse im vergleichenden geschichtlichen Schaubild im
Überblick behalten wollen, einige nicht neue, aber Aufmerksamkeit erregende
Denkanstösse.
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