Im Gefolge der Finanzkrise scheint sich eine neue EU-Realität zu entwickeln. Der Entscheidungsprozess verlagert sich von Brüssel in Richtung nationale Hauptstädte der EU-Mitgliedsstaaten.
Auffallend ist Berlins Gewicht, wesentlich mitzuprägen, wie die Geld- und Fiskalpolitik im Euro-Raum aussehen sollen. Die deutsche Regierung hat die Euro-Krise von Anfang an als Staatssschuldenkrise dargestellt und die Schuldner-Länder als Schuldige erklärt. Die harschen Sparmassnahmen wurden aus dieser ideologischen Agenda hergeleitet.
Der Rest der Welt schläft aber
nicht. Nun wird Kritik laut. Im Mittelpunkt der internationalen Kritik steht
Deutschlands Handelsbilanzüberschuss. Vor allem hat der vor rund einer Woche
veröffentlichte Bericht des US-Schatzamtes an den amerikanischen Kongress für heikle Schlagzeilen
gesorgt.
Jetzt spricht Adam Posen, der renommierte amerikanische
Ökonom in einem Interview mit CNBC Klartext. Das ehemalige Mitglied des
geldpolitischen Ausschusses der britischen Notenbank (BoE: Bank of England)
nimmt kein Blatt vor den Mund. Deutschlands Wirtschaftspolitik ist in vielerlei Hinsicht falsch:
(1) Es zahlt seinen Arbeitnehmern
keinen mit der Produktivität im Einklang stehenden Lohn und prellt damit die
Arbeitskräfte.
(2) Es investiert nicht, weder im öffentlichen Sektor noch in
der Privatwirtschaft.
(3) Das bedeutet, dass Deutschland im internationalen
Wettbewerb als Niedriglohn-Wirtschaft agiert.
(4) Es neppt sowohl Europa als
auch den Rest der Welt, wo es seine Ausfuhren (resultierend aus einem schwächeren
Euro als es mit der D-Mark der Fall gewesen wäre) subventioniert und
(5) Es schnappt sich durch den Export von
Deflation weltweit Marktanteile weg, während in der Welt hohe Arbeitslosigkeit vorherrscht.
Lohnstückkosten: Deutschland
versus Rest der EMU, Graph: Prof.
Heiner Flassbeck
Deutschlands
Handelsbilanzüberschuss hat sehr wenig mit jahrzehntelanger Misswirtschaft in
Griechenland oder langjähriger strukturellen Schwäche in Italien oder
Frankreich zu tun, fasst Posen zusammen.
Fazit: Es ist bestimmt
eine praktische Idee, von jetzt an statt von Exportüberschuss von Importdefizit
zu reden, wie Mark Schieritz nahelegt. So kann die deutsche Öffentlichkeit in Bezug auf die Bedeutung der Problematik mit extrem hohen Handelsbilanzüberschüssen
in einer Währungsunion vielleicht besser sensibilisiert werden, wo bekanntlich besondere
Anstrengungen unternommen werden, jede Art von Defizit möglichst zu vermeiden.
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