Samstag, 26. Juli 2014

Wie die neoklassische Arbeitsmarkttheorie im Euro-Raum scheitert

Die Euro-Krise ist nicht durch unverantwortliche Haushaltsführung zustande gekommen. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 wurde deutlich vor Augen geführt, dass das eigentliche Problem der EU-Peripherie darin bestand, Kosten und Preise nach unten anzupassen (wegen des deutschen Unterschiessens der Lohnstückkosten).

Während die Löhne an der Peripherie kräftig zulegten, stagnierten sie im Kern. Die Lohnstückkosten sind folglich dramatisch auseinander gelaufen. Südeuropa verlor an Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere hat Deutschland sich damit einen Wettbewerbsvorsprung verschafft.

Da die Schuldner-Länder keine eigene Währung haben, hat die EU-Kommission zur Senkung der Kosten internal devaluation (interne Abwertung) verordnet.

Die Austeritätspolitik würde nach der angebotsorientierten Konzeption der EU-Behörden die gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduzieren und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Die höhere Arbeitslosigkeit würde im Gegenzug die Lohnforderungen mässigen und zu einer Verringerung des Wachstums der Nominallöhne führen.


Inflation und Geldmenge M3 in der Euro-Zone, Graph: Morgan Stanley
Die Inflation dürfte demnächst im Juli 2014 mit 0,3% (im Juni 0,5%) einen neuen Tiefstand erreichen.

Der Ansatz zielte darauf ab, das Preisniveau in den Schuldner-Ländern (mit Leistungsbilanzdefizit) im Verhältnis zu den Gläubiger-Ländern (mit Leistungsbilanzüberschuss) zu senken und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit in den Kreditnehmer-Ländern zu verbessern.

Die Realität ist, dass die Nominallöhne an der Peripherie aus vielen Gründen (Marktsegmentierung, verschiedene institutionelle Regelungen über nationale Grenzen hinweg, Rigiditäten in den Güter- und Arbeitsmärkten) mehr als die Preise gesunken sind. Der Rückgang der Reallöhne hat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter abgeschwächt.

Das Problem ist nun, dass Deutschland die preisliche Wettbewerbsfähigkeit im Exportgeschäft auf einem so hohen Niveau im Vergleich zu vielen Ländern an der EU-Peripherie aufrechterhält, dass die Löhne in den Schuldner-Ländern eigentlich weiter fallen müssten.

Fazit: Die Austeritätspolitik (*) in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft und die interne Abwertung waren von Anfang an ein Fehler, um es milde auszudrücken. 

Da die Basis der harschen Sparmassnahmen die neoklassische Arbeitsmarkttheorie ist, steht damit wiedereinmal fest, dass das von Brüssel und Berlin praktizierte Wirtschaftsmodell im Euro-Raum tendenziell zu Deflation führt und der Arbeitsmarkt nicht wie der Kartoffelmarkt funktioniert. 

Die marktwirtschaftliche Vorstellung, dass Lohnsenkungen zu mehr Beschäftigung führen, ist eine Illusion. Angebot und Nachfrage funktionieren auf dem Arbeitsmarkt nicht unabhängig voneinander.


(*)
Prof. Peter Bofinger sagt in einem aktuellen Interview mit der taz, dass 80% der sog. Strukturreformen in Europa faktisch Lohnzurückhaltung oder Lohnkürzung bedeuten.

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