Buchbesprechung:
Mariana Mazzucato: Das
Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum, Verlag Antje Kunstmann, München, August
2014.
Wir leben in einer Zeit, in der
der Staat immer schlanker werden soll. In der schwersten Rezession seit der
Great Depression in den 1930er Jahren wird in Europa derzeit gespart. Das
Spardiktat ist die Folge der rigiden Austeritätspolitik, die die EU-Behörden trotz
der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit durchsetzen, um einen ausgeglichenen
Haushalt zu erreichen.
Dahinter steckt ein Dogma: Der
Markt ist die Lösung – Der Staat ist das Problem. Der Abbau des Staates wird
öfters mit dem Argument gerechtfertigt, dass die Wirtschaft dynamischer,
wettbewerbsfähiger und innovativer sein müsse. Der Staat gilt als träge.
Noch nie war es also nötiger als
heute, über die Rolle des Staates in der Wirtschaft nachzudenken. Genau das tut
Mariana Mazzucato in ihrem kürzlich
vorgelegten ausgezeichneten Buch.
Die Autorin will zeigen, dass der
Staat als Motor der Innovation und des Wandels agieren kann. Innovation ist
zwar nicht die Hauptaufgabe des Staates, aber vielleicht der wirkungsvollste
Weg, seine Existenzberechtigung zu verteidigen, unterstreicht die an der Universität Sussex lehrende
Wirtschaftsprofessorin.
Zumal die ökonomische
Standardtheorie staatliche Interventionen rechtfertigt, wenn die
gesellschaftliche Rendite aus einer Investition höher ist als die private
Rendite und es daher unwahrscheinlich ist, dass ein privates Unternehmen
investieren wird. Der staatliche Handeln soll den Mut der privaten Unternehmer
verstärken. Im iPhone z.B. steckt
nicht eine einzige Technologie (Internet, Drahtlosenetzwerke, GPS,
Mikroelektronik, Touchscreen-Displays, SIRI), die nicht staatlich finanziert
wurde. Der Staat betreibt aber kein gutes Marketing in eigener Sache.
In der Pharmabranche finanziert
der Staat die riskantesten Forschungen, aber die grossen Pharmafirmen schöpfen
die Gewinne ab, schildert Mazzucato mit konkreten Beispielen aus der
Praxis allgemein verständlich. Das Krebsmedikament Taxol wurde beispielsweise
im den Labors der National Institutes of Health entdeckt. Verkauft wird es von Bristol-Myers Squibb zu einem Preis von
USD 20‘000. Apple wurde mit dem Geld
aus dem staatlichen SBIR-Programm unterstützt, während es kaum Steuern zahlt,
mit denen künftige intelligente Technologien finanziert werden können.
Nach der Finanzkrise kam es zum
Vorschein, dass die Finanzbranche zunehmend die Gewinne aus ihren Geschäften privatisiert
und die Risiken sozialisiert hat, Diese Ungleichheit ist auch bei Innovationen
zu beobachten, argumentiert Mazzucato und will damit vor Augen führen, dass der
Staat bei Innovationsprozessen, die zu Wachstum führen, eine aktive Rolle
spielt. Risiken werden zwar kollektiv getragen, aber Gewinne werden keineswegs
kollektiv verteilt. Die amerikanischen Steuerzahler haben praktisch keine
Vorstellung davon, wie ihre Steuern zu Innovationen und Wirtschaftswachstum in den USA beitragen.
Sie wissen nicht, wie Privatunternehmen mit Innovationen Geld verdienen, die
mit ihren Steuern unterstützt wurden.
Wichtig ist, sich zu
vergegenwärtigen, dass der Staat nicht nur Marktversagen repariert, sondern
Märkte überhaupt erst schafft (im Sinne von Karl Polanyi). Mazzucato legt Wert darauf, das
Problem von Risiko und Gewinn genauer zu betrachten.
Ihr Ansatz ist so beschaffen,
dass das Verständnis für den Zusammenhang zwischen Risiko und Gewinn und damit
für den Zusammenhang zwischen Innovation und Ungleichheit gewonnen werden soll. Der zentrale Punkt in diesem
Rahmen ist ihre Forderung, dass Industrie- und Innovationspolitik Instrumente
zur Umverteilung beinhalten müssen, wenn die „unternehmerischen“ Investitionen
des Staates gerechtfertigt sein sollen: Instrumente, die die unvermeidlichen
Verluste decken, aber auch die Kasse wieder auffüllen, damit neue Investitionen
in Innovationen möglich sind.
Denn wenn man den Staat daran
hindert, Steuern einzunehmen, so beeinträchtigt man seine Möglichkeiten, auch
in Zukunft Risiken zu tragen. Innovationen sind das Ergebnis eines
langfristigen kumulativen, kollektiven und unsicheren Prozesses, hebt Mazzucato
immer wieder hervor. „Eine grosse Herausforderung besteht darin, Institutionen
zu schaffen, die das Verhältnis von Risiko und Gewinn so regulieren, dass
gerechtes, stabiles Wirtschaftswachstum möglich ist.“
Im „Innovations-Ökosystem“ sollen
also Risiko und Gewinn neu ausbalanciert werden. Die Vorstellung, dass der öffentliche
Sektor Anreize für Innovationen des privaten Sektors setzen soll (durch
Subventionen, Steuererleichterungen, technische Standards usw.) ist realitätsfremd.
Es gibt viele Beispiele, die Mazzucato in diesem für Nicht-Ökonomen
geschriebenen hervorragenden Buch präsentiert, bei denen die entscheidende
unternehmerische Initiative vom Staat kam und nicht vom privaten Sektor.
Es ist wichtig, den kollektiven
Charakter von Innovationen anzuerkennen. Innovationen sind nicht nur das
Ergebnis von Investitionen in Forschung und Entwicklung, sondern es kommt auf
die Institutionen an, zu ermöglichen, dass neues Wissen die Volkswirtschaft
durchdringt. Das Fazit des Buches ist, dass die öffentliche Hand vielmehr die
Risiken tragen sollte, die der private Sektor nicht tragen will, aber dann auch
die Früchte seiner Risikobereitschaft ernten. Das Buch ist hammermässig.
Unbedingt lesenswert.
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