Buchbesprechung:
Adair
Turner: Between Debt and the Devil. Money, Credit, and Fixing Global
Finance, Princeton University Press, New Jersey, London, 2016.
Der wichtigste Grund, warum die Finanzkrise von
2008 zu einer tiefen Rezession und einer schwachen Erholung der Wirtschaft
geführt hat, ist die übermässige Kreditschöpfung im Privatsektor in den
vorangegangenen Jahrzehnten.
Die Kreditvergabe an Privatpersonen in
fortentwickelten Volkswirtschaften ist viel schneller gewachsen als das
nominale Wirtschaftswachstum. Damit nahm auch die Fremdkapitalaufnahme (leverage) zu.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die übermässige
Hebelwirkung die Wirtschaft insgesamt verletzlich gemacht und auf diese Weise
Krisen, Nach-Krisen mit Schuldenüberhang (debt
overhang) und Rezession (mit Deflation) ausgelöst hat.
Eine Frage ist, ob wir tatsächlich ein rasches
Kredit-Wachstum benötigen, um ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu
erreichen?
Eine der Hauptaussagen dieses hervorragenden Buches
ist, dass das Bankensystem, sich selbst überlassen, praktisch dazu
vorprogrammiert ist, zu viel von der falschen Sorte von Schulden (debt contracts) zu kreieren und damit Instabilität
und Krisen zu erzeugen.
Was nicht vergessen werden darf, ist die
historische Entwicklung, dass der profunde Wandel des weltweiten
Kredit-Intermediation-Systems ( mit Verbriefungen und Derivaten) als Plattform
dazu dient. Das Shadow Banking System
und der Interbanken-Markt wirken dabei wie ein Schmierstoff.
Insbesondere zählen Verbriefung von Forderungen (securitization) und Shadow Banking System zu den begleitenden Instrumenten der ganzen
Geschichte.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die intrafinancial Aktivitäten im Asset
Management ein Null-Summen-Spiel sind, mit null Vorteil für die Gesellschaft
und unnötigen Kosten für die Allgemeinheit.
Queen Elizabeth hat im Frühjahr 2009 bei einem
Besuch im Economics Department der London
School of Economics die Frage aufgeworfen, warum niemand die Krise hat
kommen sehen?
Es war die vorherrschende ökonomische Lehre, die,
was das Verständnis von finanzieller und makroökonomischer Instabilität
betrifft, die irreführende Notion verbreitete, dass die Menschen rational
handeln und die Finanzmärkte effizient sind. Die theoretische Basis lieferten
die Efficient Market Hypothesis (EMH) und die Rational Expectations Hypothesis
(REH), die längst überholt sind.
Die vor der Krise dominierende Orthodoxie der
wirtschaftspolitischen Ausgestaltung widerspiegelte das Übervertrauen in die
Macht der freien Finanzmärkte, die angeblich optimale Lösungen bieten würden.
Im Kern der makroökonomischen Instabilität der
modernen Volkswirtschaften liegt aber die Interaktion zwischen der grenzenlosen
Kapazität der uneingeschränkt agierenden Banken sowie des Shadow Bankings, um
Kredit, Geld und Kaufkraft zu schöpfen und dem unelastischen Angebot und der
steigenden Nachfrage nach ortspezifischen städtischen Grundstücken, erklärt
Turner.
Da kein rationaler, mathematischer Plan für die
gesamte Wirtschaft möglich ist, muss der ökonomische und soziale Fortschritt am
besten durch Prozesse von markt-basierenden Explorationen erreicht werden,
welche inhärent unvollkommen sind und sich über Zeit verändern, argumentiert
Turner.
Während die fiat-money
Schaffung nachteilig auswirken kann, so haben auch private Kreditvergabe und
Geldschöpfung gefahrvolle Konsequenzen: Die Märkte für Kredit-Schöpfung müssen
daher durch strenge konstante Regeln eingeschränkt werden, wie z.B. durch
höhere Eigenkapitalanforderungen.
Um einen stabilen und nachhaltigen Wachstumspfad zu
erlangen, müssen allerdings die drei fundamentale Antreiber des unnötigen
Kreditwachtums angegangen werden: Immobilien, wachsende Ungleichheit und
globale Leistungsbilanzungleichgewichte.
Leverage verschwindet nicht einfach: Es verschiebt sich vom
Privatsektor zum öffentlichen Sektor. Wenn der Wandel erst einmal erfolgt ist,
ist es einfacher, um über Umschuldung und Default
zu verhandeln, ohne nachteilige Schocks fürs Vertrauen im Allgemeinen.
Worauf der Author immer wieder hindeutet, ist, sich
zu vergegenwärtigen, was in Sachen nachteilige Konsequenzen überwiegt: fiat money-Schaffung durch die
öffentliche Hand oder die Kreditschöpfung durch den Privatsektor. Wann kommt es
zu mehr Schaden?
Wie Milton Friedman einst erläutert hat, ist die
mangelhafte nominale Nachfrage ein Problem, wofür es immer eine mögliche Lösung
gibt.
Mit einem durch Geld finanzierten
Konjunkturprogramm (money finance of
increased fiscal deficit) lässt sich unzulängliche Nachfrage immer
ankurbeln. Die Frage ist aber, wie die vorgeschlagene Abhilfe in einer modernen
Volkswirtschaft mit fractional reserve
banks auf lange Sicht zu schaffen ist, da die fiat money-Schöpfung durch die öffentliche Hand die Kreditschöpfung
durch den privaten Markt anregen kann. Doch das Modell von 100% reserve banks legt nahe, dass jede Gefahr eines übermässigen
langfristigen Nachfrage-Stimulus durch Anforderung von Reservebeständen wettgemacht
werden kann.
Adair Turner ist Vorsitzender des Vorstands des
Instituts für New Economic Thinking (INET).
Er wurde am Vorabend der Finanzkrise von 2008 zum Vorsitzenden der britischen Financial Services Authorities.
Er legt nahe, dass wir manchmal offen sein müssen,
Haushaltsdefizite einzufahren und die Finanzierung mit dem von der Zentralbank
geschaffenen Geld zu bewerkstelligen, auch wenn es sich dabei um ein Tabu-Bruch
handelt.
Das Buch ist eine gründliche Beleuchtung des gegenwärtigen
Finanzsystems aus makroökonomischer Sicht mit unerlässlicher Orientierungshilfe
für eine zeitgemäss angemessene Geldpolitik (als makroprudenzielle Autorität),
wo manchmal inmitten von Unsicherheiten Ermessensentscheidungen getroffen
werden müssen, weil es an einer genauen Wissenschaft fehlt und wir nicht
wissen, wieviel private leverage “zu
viel” ist. Alle komplexen Systeme sind potential instabil.
Der geldpolitische Rahmen mit einem Ziel (niedrige
und stabile Inflation) und einem Instrument (Zins) war eine elegante Lösung,
die die Rechenschaftspflicht der unabhängigen Zentralbanken gewährleistete.
Aber die Entwicklung mündete in eine wirtschaftliche Katastrophe. Sieben Jahre
nach dem Ausbruch der Krise hat das BIP in Europa immer noch nicht das
Vorkrisenniveau erreicht. Ein starkes Buch von erlesen provokotiver Sorte.
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