Sonntag, 1. November 2015

Between Debt and the Devil

Buchbesprechung:

Adair Turner: Between Debt and the Devil. Money, Credit, and Fixing Global Finance, Princeton University Press, New Jersey, London, 2016.

Der wichtigste Grund, warum die Finanzkrise von 2008 zu einer tiefen Rezession und einer schwachen Erholung der Wirtschaft geführt hat, ist die übermässige Kreditschöpfung im Privatsektor in den vorangegangenen Jahrzehnten.

Die Kreditvergabe an Privatpersonen in fortentwickelten Volkswirtschaften ist viel schneller gewachsen als das nominale Wirtschaftswachstum. Damit nahm auch die Fremdkapitalaufnahme (leverage) zu.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die übermässige Hebelwirkung die Wirtschaft insgesamt verletzlich gemacht und auf diese Weise Krisen, Nach-Krisen mit Schuldenüberhang (debt overhang) und Rezession (mit Deflation) ausgelöst hat.

Eine Frage ist, ob wir tatsächlich ein rasches Kredit-Wachstum benötigen, um ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu erreichen?

Eine der Hauptaussagen dieses hervorragenden Buches ist, dass das Bankensystem, sich selbst überlassen, praktisch dazu vorprogrammiert ist, zu viel von der falschen Sorte von Schulden (debt contracts) zu kreieren und damit Instabilität und Krisen zu erzeugen.

Was nicht vergessen werden darf, ist die historische Entwicklung, dass der profunde Wandel des weltweiten Kredit-Intermediation-Systems ( mit Verbriefungen und Derivaten) als Plattform dazu dient. Das Shadow Banking System und der Interbanken-Markt wirken dabei wie ein Schmierstoff.

Insbesondere zählen Verbriefung von Forderungen (securitization) und Shadow Banking System zu den begleitenden Instrumenten der ganzen Geschichte.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die intrafinancial Aktivitäten im Asset Management ein Null-Summen-Spiel sind, mit null Vorteil für die Gesellschaft und unnötigen Kosten für die Allgemeinheit.

Queen Elizabeth hat im Frühjahr 2009 bei einem Besuch im Economics Department der London School of Economics die Frage aufgeworfen, warum niemand die Krise hat kommen sehen?

Es war die vorherrschende ökonomische Lehre, die, was das Verständnis von finanzieller und makroökonomischer Instabilität betrifft, die irreführende Notion verbreitete, dass die Menschen rational handeln und die Finanzmärkte effizient sind. Die theoretische Basis lieferten die Efficient Market Hypothesis (EMH) und die Rational Expectations Hypothesis (REH), die längst überholt sind.

Die vor der Krise dominierende Orthodoxie der wirtschaftspolitischen Ausgestaltung widerspiegelte das Übervertrauen in die Macht der freien Finanzmärkte, die angeblich optimale Lösungen bieten würden.

Im Kern der makroökonomischen Instabilität der modernen Volkswirtschaften liegt aber die Interaktion zwischen der grenzenlosen Kapazität der uneingeschränkt agierenden Banken sowie des Shadow Bankings, um Kredit, Geld und Kaufkraft zu schöpfen und dem unelastischen Angebot und der steigenden Nachfrage nach ortspezifischen städtischen Grundstücken, erklärt Turner.

Da kein rationaler, mathematischer Plan für die gesamte Wirtschaft möglich ist, muss der ökonomische und soziale Fortschritt am besten durch Prozesse von markt-basierenden Explorationen erreicht werden, welche inhärent unvollkommen sind und sich über Zeit verändern, argumentiert Turner.

Während die fiat-money Schaffung nachteilig auswirken kann, so haben auch private Kreditvergabe und Geldschöpfung gefahrvolle Konsequenzen: Die Märkte für Kredit-Schöpfung müssen daher durch strenge konstante Regeln eingeschränkt werden, wie z.B. durch höhere Eigenkapitalanforderungen.

Um einen stabilen und nachhaltigen Wachstumspfad zu erlangen, müssen allerdings die drei fundamentale Antreiber des unnötigen Kreditwachtums angegangen werden: Immobilien, wachsende Ungleichheit und globale Leistungsbilanzungleichgewichte.

Leverage verschwindet nicht einfach: Es verschiebt sich vom Privatsektor zum öffentlichen Sektor. Wenn der Wandel erst einmal erfolgt ist, ist es einfacher, um über Umschuldung und Default zu verhandeln, ohne nachteilige Schocks fürs Vertrauen im Allgemeinen.

Worauf der Author immer wieder hindeutet, ist, sich zu vergegenwärtigen, was in Sachen nachteilige Konsequenzen überwiegt: fiat money-Schaffung durch die öffentliche Hand oder die Kreditschöpfung durch den Privatsektor. Wann kommt es zu mehr Schaden?

Wie Milton Friedman einst erläutert hat, ist die mangelhafte nominale Nachfrage ein Problem, wofür es immer eine mögliche Lösung gibt.

Mit einem durch Geld finanzierten Konjunkturprogramm (money finance of increased fiscal deficit) lässt sich unzulängliche Nachfrage immer ankurbeln. Die Frage ist aber, wie die vorgeschlagene Abhilfe in einer modernen Volkswirtschaft mit fractional reserve banks auf lange Sicht zu schaffen ist, da die fiat money-Schöpfung durch die öffentliche Hand die Kreditschöpfung durch den privaten Markt anregen kann. Doch das Modell von 100% reserve banks legt nahe, dass jede Gefahr eines übermässigen langfristigen Nachfrage-Stimulus durch Anforderung von Reservebeständen wettgemacht werden kann.

Adair Turner ist Vorsitzender des Vorstands des Instituts für New Economic Thinking (INET). Er wurde am Vorabend der Finanzkrise von 2008 zum Vorsitzenden der britischen Financial Services Authorities.

Er legt nahe, dass wir manchmal offen sein müssen, Haushaltsdefizite einzufahren und die Finanzierung mit dem von der Zentralbank geschaffenen Geld zu bewerkstelligen, auch wenn es sich dabei um ein Tabu-Bruch handelt.

Das Buch ist eine gründliche Beleuchtung des gegenwärtigen Finanzsystems aus makroökonomischer Sicht mit unerlässlicher Orientierungshilfe für eine zeitgemäss angemessene Geldpolitik (als makroprudenzielle Autorität), wo manchmal inmitten von Unsicherheiten Ermessensentscheidungen getroffen werden müssen, weil es an einer genauen Wissenschaft fehlt und wir nicht wissen, wieviel private leverage “zu viel” ist. Alle komplexen Systeme sind potential instabil.

Der geldpolitische Rahmen mit einem Ziel (niedrige und stabile Inflation) und einem Instrument (Zins) war eine elegante Lösung, die die Rechenschaftspflicht der unabhängigen Zentralbanken gewährleistete. 

Aber die Entwicklung mündete in eine wirtschaftliche Katastrophe. Sieben Jahre nach dem Ausbruch der Krise hat das BIP in Europa immer noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht. Ein starkes Buch von erlesen provokotiver Sorte.

Keine Kommentare: