Mario Draghi, der EZB-Präsident sagt in einem Interview („Q&A: ECB President Mario Draghi“) mit dem WSJ, dass das europäische Sozialmodell (siehe auch hier) ausgedient habe, wenn man sich v.a. die Jugendarbeitslosigkeit in einigen EU-Staaten anschaue.
Reflektiert aber die Euro-Krise tatsächlich das Scheitern des europäischen Sozialstaates? Das ist nämlich der Eindruck, den Draghi hinterlassen will. Mit der Aussage wird aber suggestiv unterstellt, dass die Euro-Krise auf die Last der hohen Staatsausgaben zurückzuführen ist.
Sind aber die zur Zeit notleidenden EU-Staaten Wohlfahrsstaaten? Nein, wie Paul Krugman in seiner Kolumne („Legends of the Fail“) in NYT im vergangenen Jahr beschrieben hat.
Die Euro-Krise besagt gar nichts darüber, ob das Sozialstaatsmodell nachhaltig ist oder nicht. Was heute feststeht, ist, dass die Sparpolitik (fiscal austerity) sich als Fehlschlag erwiesen hat.
Sozialausgaben in der Eurozone, Graph: Prof. Paul Krugman
GIPSI: Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien sind mit roten Balken besonders gekennzeichnet.
Es gibt im Wesentlichen drei Geschichten über die Euro-Krise, bemerkt Krugman in seinem Blog: die der Republikaner, der Deutschen und die Wahrheit,
(1) Der Geschichte der Republikaner nach hat das alles mit übermässigen Wohlfahrsstaaten zu tun. Stimmt es? Nein, wie man in der Abbildung oben sieht, wo der Träger des Wirtschaftsnobelpreises die öffentlichen Sozialausaben als Anteil am BIP 2007 (d.h. vor der Krise) darstellt. Es handelt sich dabei um die Daten der OECD.
Nur Italien befindet sich in den Top Fünf. Und Deutschlands Wohlfahrtsstaat war sogar grösser.
(2) Die deutsche Geschichte lautet, dass das alles mit schlechter Haushaltsführung (fiscal profligacy) zu tun hat. In der Abbildung unten ist das durchschnittliche Haushaltsdefizit zwischen 1999 (Einführung der Gemeinschaftswährung) und 2007 in der Euro-Zone geschildert.
Haushaltsdefizit (im Durchschnitt) in der Eurozone, Graph: Prof. Paul Krugman
Wer ist dabei? Griechenland und Italien (obwohl Italiens Haushaltsdefizit nicht so gross war und die Staatsquote, d.h. das Verhältnis der Schulden zum BIP im Zeitraum gesunken ist). Portugal fällt nicht auf. Spanien und Irland galten damals als Modelle der Tugend.
(3) Der Blick auf die Zahlungsbilanz, bzw. das Leistungsbilanzdefizit, was die Kehrseite der Kapitalzuflüsse ist. Die Daten stammen vom IWF.
Hier sieht die Abbildung besser aus.
Leistungsbilanzdefizit (im Durchschnitt) in der Eurozone, Graph: Prof. Paul Krugman
Was ins Auge sticht, ist das Problem der Zahlungsbilanz. Die Kapitalzuflüsse aus dem Kern in die Peripherie (nach der Euro-Einführung) führten zu einer Überbewertung im Süden Europas.
Der entscheidende Punkt ist, dass die beiden falschen Diagnosen (1 und 2) das reale Problem gar nicht angehen. Man kann den Wohlfahrtsstaat kürzen, wie man will. Aber es hat wenig mit der Wettbewerbsfähigkeit im Aussenhandel zu tun, wie Krugman hervorhebt.
Man kann eine lähmende Sparpolitik verfolgen. Aber es verbessert das Gleichgewicht im Aussenhandel nur durch die Schrumpfung der Wirtschaft und damit der Importnachfrage, vielleicht mit einer schrittweise erfolgenden „internen Abwertung“ (internal devaulation), was durch die hohe Arbeitslosigkeit verursacht wird, erläutert Krugman.
Als Schlussfolgerung fasst Krugman zusammen, dass der Kern der Eurozone erkennen soll, dass, was die GIPSI wirklich braucht ist, eine allgemeine europäische Reflation. Ansonsten haben die Länder an der EU-Peripherie keine Wahl ausser der nuklearen Option des Austritts aus der Eurozone, was sie in Kürze an einen Balkan-Staat in der Nähe bringen würde.
Dragi mahnt ferner an, dass die EU-Länder am strikten fiskalpolitischen Sparkurs festhalten müssen, da sich sonst die Renditeabstände zwischen den Anleihen des Kerns und der Peripherie der Eurozone ausweiten würden.
Die Höhe der Staatsverschuldung ist aber kein grosser Bestimmungsfaktor für die Zinsen, wie der Verlauf der Renditen der US-Treasury Bonds zeigt. Es kommt nämlich darauf an, ob ein Staat sich das Fremdkapital in der eigenen Währung leisten kann oder nicht.
Das Fazit lautet, dass die Ideologen versuchen, das „Gebot der Stunde“ für die eigene politische Agenda einzuspannen.
1 Kommentar:
Europäisches Sozialstaatsmodell?
Leider ist zu befürchten, dass es überhaupt kein europäisches Sozialstaatsmodell gibt, jedenfalls nicht offiziell und schon gar im Sinne des deutschen Sozialstaats.
Für die neoliberale Ausprägung der Europäischen Union ist das Soziale im Sinn von Wohlfahrt und Fürsorge eher eine nette Zugabe, wünschenswert wohl, aber unter Haushaltsvorbehalt. Es gibt nicht einmal ein europäisches Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Allenfalls mit Anstrengung lässt sich eine europäische Erwartung auf eine Mindest-Überlebensration (survival kit) ausmachen. Doch nicht einmal dazu haben einige Mitgliedsstaaten ausreichende Ressourcen. Dass Europa keine wesentlichen Kompetenzen zur Schaffung eines Sozialstaates hat, beruht auf einer politischen Entscheidung. Bei der Gründung der EG diskutierte man soziale Regelungen unter dem Blickwinkel von Wettbewerbsnachteilen bzw. Standortvorteilen. Frankreich fürchtete, dass seine Sozialgesetzgebung französische Produkte verteuere und damit deren Absatzchancen auf dem gemeinsamen Markt verringere. Deutschland hingegen vertrat die Position, dass Sozialleistungen als „natürliche“, standortbedingte Kosten keine Wettbewerbsverfälschung zeitigen könnten. Letztendlich führte diese „Theorie der komparativen Kosten“ dazu, dass das Recht der europäischen Union bis heute keine Harmonisierung von Sozialvorschriften vorsieht. Dabei ist es geblieben, obwohl sich die deutsche Politik seit etwa dem Lambsdorff-Papier von1982 deutlich dem früheren französischen Standpunkt annäherte. Solidarität avancierte zur Belastung der Wirtschaft und Profitmaximierung verlangte nach spürbarer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge.
So kann es nicht verwundern:
Die Weiterentwicklung des Binnenmarktes wird den Druck auf die Sozialsysteme in Richtung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verstärken.
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Dr. Axel Schwarz
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