Samstag, 31. Oktober 2009

Die Grosse Rezession

Buchbesprechung

Nikolaus Piper: Die Grosse Rezession. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft. Carl Hanser Verlag, München, 2009.


Vor der Krise hatten viele Wirtschaftsexperte in Europa die abwägige Theorie der „Entkopplung“ der Weltkonjunktur von den USA auf ihre Fahnen geschrieben. Das hat sich, wie gesehen, als vollkommen fatal erwiesen. Denn keine Rezession in der Geschichte hat die Welt so synchron erfasst wie die, die seit Herbst 2008 anhält. Die EU hat bekanntlich zu träge und zögernd auf die Krise reagiert. Die EZB hat sogar im Sommer 2008 die Leitzinsen erhöht, anstatt sie kräftig zu senken. Das Ausmass der Krise zeigt, dass die Staaten auf eine Zusammenarbeit angewiesen sind, um die Folgen der Krise gemeinsam einzudämmen, obwohl die USA bisher alleine eine Pionierrolle übernommen und mit ihrem 800 Mrd. $ schweren Konjunkturprogramm ein Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Depression verhindert haben. Ausserdem mussten die deutschen und schweizerischen Banken ja wissen, welche Produkte sie gekauft haben. Es wurde also auch diesseits des Atlantiks auf der Suche nach kurzfristigen Gewinnen gestützt auf die Hebelwirkung mächtig spekuliert. Die Krise kam nicht über Nacht aus den USA hierher.

Nikolaus Piper ist Wirtschaftskorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in New York. Von 1999 bis 2006 war er Wirtschaftschef der „SZ“. Piper ist Träger des Ludwig-Erhard-Preises und Autor mehrerer Sach- und Kinderbücher. Für seine „Geschichte der Wirtschaft“ bekam er den Jugendliteraturpreis. Er schildert in diesem Buch die diversen und vielschichtigen Etappen der Krise in historischer Zeittafel in einer angenehmen Sprache und ohne Pathos.

Er zeigt auf, dass es nicht nur um fehlerhaftes Risikomanagement oder mangelhafte Aufsicht, sondern darüber hinaus um den ideologisch angetriebenen Wandel der Struktur der Finanzwelt und der Gesellschaft insbesondere in den vergangenen 30 Jahren geht. Der Ursprung der Krise ist Marktfundamentalismus (die Laissez-faire Politik), wonach der Markt die Lösung ist, während der Staat das Problem darstellt. „Ein Vierteljahrhundert hatten Politiker auf die Kraft des Marktes gesetzt , sie hatten liberalisiert und dereguliert“. Piper veranschaulicht die epochalen Umbrüche (wie z.B. Börsenkrach von 1929) in der Finanzwelt von der Gründung der USA bis heute eindrücklich u.a. mit gelungenen Hinweisen auf bekannte Kinofilme und populäre Songs, welche die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Scheiterns an Wall Street und der Rezessionen thematisieren. Besonders lesenswert ist das Kapitel 2, wo der Autor den „Minsky-Moment“ beschreibt. Das Verlaufmuster der Krisen, die zu Katastrophen geführt haben, ist über Jahre hinweg, verblüffend ähnlich. Deregulierung, ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, übermässige Schuldenaufnahme, Spekulationsblasen und ein dramatischer Einbruch der Konjunktur. In den 1930er Jahren hiessen die Protagonisten „Investment Trust“. Heute heissen sie „Private Equity Gesellschaften“ und „Hedge Fonds“. Der gemeinsame Nenner war der hemmungslose Hang zu kurzfristigen Profits mit Hebelwirkung in einem Marktumfeld mit möglichst laxer Regulierung. Piper stellt am Schluss des Buches die „Lehren aus der Krise“ vor, indem er sieben Elemente hervorhebt. (1) Kreditwesen, (2) Staatsfinanzen, (3) Energiekrise, (4) Neue Rolle Amerikas, (5) globale Ungleichgewichte, (6) die (neue) soziale Frage und (7) Kapitalismus. Notwendig ist nach Pipers Ansicht nach dem Schock der Krise eine Revitalisierung des Kapitalismus und nicht dessen Abschaffung. Seine Schlussfolgerungen sind vernünftig: „Eine Wirtschaft, in der niemand mehr Risiken eingeht, erstarrt; Reformen sollen nicht die Risiken verbannen, sondern es Unternehmen und Verbrauchern ermöglichen, auf verantwortliche Weise Risiken einzugehen“.

Am 8. Oktober wurde Piper mit dem „Deutschen Wirtschaftspreis 2009“ ausgezeichnet. Den Preis erhielt der Autor mit diesem im September erschienenen Buch. Der Leser erlebt hautnah die spannende Reise durch die amerikanische Finanzwelt, wie sie von krisenverstärkenden falschen, dogmatischen Politiken ruiniert wurde. Eine überzeugende Zusammenfassung der Ursprünge der gegenwärtigen Finanzkrise vor dem Hintergrund der historischen Umwälzungen.

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