Samstag, 16. September 2017

18% Unterbeschäftigung im Euroraum


Peter Praet hat in einem Referat in Frankfurt am Main am Mittwoch darauf hingewiesen, dass die Arbeitslosigkeit trotz des Anstiegs der Erwerbsbeteiligung weiter gesunken ist und sich derzeit auf dem niedrigsten Niveau seit acht Jahren befindet.

Der EZB-Volkswirt ist zuversichtlich, dass die anhaltende Erholung der Wirtschaft das Vertrauen stärken werde. Die reflationären Kräfte werden am Ende dazu beitragen, dass die Inflation auf den von der EZB angestrebten Zielwert von 2% klettert.

Es sei jedoch zu früh, den Sieg zu erklären, da die Inflationsdynamik gedämpft bleibe.

Nach dem die Inflation in den vergangenen drei Jahren um die Werte unterhalb von 1% geschwebt hat, ist sie nun nach einer Schätzung von Eurostat im Euroraum im August auf 1,5% gestiegen.

Ein wichtiges Element, das den zugrundeliegenden Preisdruck untermauert, ist die gedämpfte Lohndynamik, die durch viele Faktoren geprägt ist, erklärt Praet weiter.


Die Tariflohnentwicklung in der Eurozone, Graph: Heiner Flassbeck in Makroskop, Sept 2017



Neben der schwachen Produktivitätsentwicklung zählt das Mitglied des EZB-Direktoriums auch „das beträchtliche Mass an Flaute am Arbeitsmarkt“ dazu, die das Lohnwachstum zurückhalte.

Will man die Flaute am Arbeitsmarkt („slack in the labor market“) angemessen angehen, muss man alternative Kriterien für die Erwerbslosigkeit in Betracht ziehen; wie z.B. die

Redet man von „slack in the labor market“, meint man eigentlich, dass die Arbeitslosenquote über dem längerfristigen Normalniveau liegt. 


Unterbeschäftigung in der Eurozone, Graph: FT, July 5, 2017


Die U6 umfasst die Arbeitslosigkeit, die Unterbeschäftigung (das sind Arbeitnehmer, die gern mehr Stunden arbeiten würden) und die „marginale Bindung“ (marginal attachment), nämlich diejenigen Arbeitnehmer, die am Arbeitsmarkt nicht aktiv mit konkurrieren, weil sie nicht zur Verfügung stehen, um kurzfristig eine Arbeit aufzunehmen.

Gemessen daran beläuft sich die Unterbeschäftigung (underemployment) im Euroraum laut Praet auf 18% und liegt damit doppelt so hoch wie die gesamte Arbeitslosigkeit (headline unemployment): 9.1%.



Die meisten jungen Arbeitnehmer haben temporäre Beschäftigung, (Unterbeschäftigung in der Eurozone), Graph: FT, July 5, 2017.

Fazit: Eine niedrige Arbeitslosenquote ist kein gutes Mass für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wenn v.a. die Nachfrage für eine lange Weile niedrig verläuft. 

Abgesehen davon erfasst die Arbeitslosenquote nur diejenigen Arbeitnehmer, die aktiv einen Arbeitsplatz suchen. 

In der Schweiz beläuft sich die Anzahl der Personen, die im Verlauf eines Monats ihr Recht auf Arbeitslosenentschädigung verlieren (ausschöpfen), im Durchschnitt auf rund 3'500 Personen (die sog. Aussteuerung).

Niedrige Arbeitslosigkeit bedeutet daher nicht unbedingt eine höhere Inflation.

Wenn ein Anstieg der Beschäftigung (z.B. via Teilzeit- und befristete Verträge) kein Wachstum im Lebensstandard bedeutet, dann gibt es keinen Anlass zum Jubeln.

Man kann sich leider des Eindrucks nicht erwehren, als ob die Unterbeschäftigung in der Eurozone das Ergebnis einer bewusst geführten fiscal austerity wäre, die darauf hinaus ist, den Lohn der gewöhnlichen Arbeitnehmer unter Druck zu setzen.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Man kann sich leider des Eindrucks nicht erwehren, als ob die Unterbeschäftigung in der Eurozone das Ergebnis einer bewusst geführten fiscal austerity wäre, die darauf hinaus ist, den Lohn der gewöhnlichen Arbeitnehmer unter Druck zu setzen."

Richtig:

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/arbeitsmarkt-europas-neue-reservearmee/20301470.html