Sonntag, 11. November 2018

Niedrige Realrenditen in der Eurozone und die Ursachen


In den letzten vier Jahren bewegten sich die Renditen der Anleihen der Kern-Eurozone mit einem Durchschnittswert von 0,38% in einer relativ knappen Bandbreite. Und sie liegen derzeit bei 0,45%, berichtet Bank J. Safra Sarasin in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.

Die realen Renditen für Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit haben sich in diesem Zeitraum stark negativ entwickelt. 

Verschiedene geldpolitische Massnahmen wie Negativzinsen, das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten am offenen Markt sowie die explizite Forward Rate Guidance der EZB haben die Anleiherenditen auf ein Niveau gedrückt, welches mit den aktuellen Entwicklungen der Realwirtschaft nicht im Einklang steht, heisst es in der Analyse weiter.

Was in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt, ist die Tatsache, dass die fatale Kombination von interner Abwertung (internal devaluation) und der rigorosen Sparpolitik (fiscal austerity) der Auslöser ist. 

Die EZB hält die Zinsen auf einem historisch tiefen Niveau nicht aus Jux und Dollerei, sondern sie nimmt (endlich mit der Amtsübernahme von Mario Draghi) ihre Rolle als „lender of last resort“ wahr, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln.

Die Nachfrage ist träge, weil das schwache Lohnwachstum direkt die Einkommen der Konsumenten reduziert, und zwar real, wenn die Preise nicht im Gleichschritt sinken.


Die Entwicklung der Zinsen in der Eurozone, gemessen an Anleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit, Graph: Karsten Junius, Bank Safra Sarasin, Nov 9, 2018


Das Ziel der Politik der internen Abwertung ist die Wettbewerbsposition der Krisenländer zu verbessern. Weil die Mitgliedsländer in der Währungsunion nicht über eine eigene Währung verfügen, gibt es keine Möglichkeit zur Wechselkursanpassung.

Eine interne Abwertung via Lohnmoderation kann aber die negativen Auswirkungen der Austeritätspolitik nicht kompensieren.

Fallen die Löhne, reduziert sich die Binnennachfrage. Damit steigt die reale Last der Schulden. Deswegen geraten nicht nur die Schuldner in Schwierigkeiten, sondern auch die Banken, wo sich die Probleme verstärken (debt deflation).


Inflationserwartungen in der Eurozone, gemessen an 5Jahres5Jahres Swap-Sätzen, Graph: Karsten Junius, Bank Safra Sarasin, Nov 9, 2018


Die EZB kämpft daher mit Null- bzw. Negativzinsen gegen deflationäre Tendenzen in der Eurozone. Was obendrauf ganz grotesk ist, dass die Eurokrise in eine „Staatsschuldenkrise“ umgedeutet wird, wie es im aktuellen Fall Italien deutlich zum Ausdruck kommt.

Fakt ist, dass es keine „expansionary austerity“ gibt.

Denn die interne Abwertung in Verbindung mit Sparpolitik löst auch für die Beschäftigung keine positiven Effekte aus. Kein Wunder, dass die öffentlichen Finanzen unter Druck bleiben. Siehe die hohe Unterbeschäftigung: während die Arbeitszeit der Arbeitnehmer sinkt, werden neu beschäftigten mit niedrigeren Löhnen abgespeist. 

Die deflationäre Wirtschaftspolitik der EU-Behörden, die ganz offensichtlich versagt hat, ist die Ursache für die anhaltend niedrigen Zinsen in der Eurozone, mit der Folge, dass die Wachstumsdynamik gedrosselt wird.

Die EZB versucht zwar, das Ruder herum zu reissen. Aber die Geldpolitik alleine, ohne die Unterstützung der Finanzpolitik, reicht nicht aus, die Dauerkrise in einem erträglichen und überschaubaren Zeitraum zu beenden.

Der Anpassungsprozess kostet vor diesem Hintergrund viel menschliches Leid. Und die extremistischen Parteien und Bewegungen erfreuen sich mit dem wachsenden Zulauf der neuen Positionierung im politischen Spektrum. 

Es ist bitter, zu beobachten, dass Europas Entscheidungsträger das Defizit trotzdem als ein viel wichtigeres Problem betrachten als die Arbeitslosigkeit bzw. die Unterbeschäftigung. Ist Defizitbekämpfung tatsächlich wichtiger als die Verbesserung der Lebensstandards der Menschen? Es ist absurd, daran zu glauben, dass die Märkte die Staaten zwingen, Austeritätspolitik zu verfolgen.



Keine Kommentare: