Samstag, 24. November 2018

Makroökonomische Krisen und politische Entscheidungsträger


Der Streit um Italiens Haushalt sollte zu bedenken geben, und zwar in Sachen überliefertes Wissen der Makroökonomie. 

Gemeint ist eine Art „Mechanismus zur Wissensübertragung“ zwischen Akademikern und politischen Entscheidungsträgern.

Warum hat z.B. die EZB im Jahr 2010 die EU-Mitgliedsstaaten zu restriktiven fiskalpolitischen Massnahmen ermutigt, obwohl ihr Wirtschaftsmodell nahelegt, dass sie (d.h. fiscal austerity) zur Schrumpfung der Produktion (output) führen und einen weiteren Rückgang der Inflation verursachen würde, obwohl sie zu dem Zeitpunkt selbst Mühe hatte, das eigene Inflationsziel zu treffen, was im Grunde genommen heute noch der Fall ist. 

Denn die EZB unterbietet die Zielinflationsrate im Euroraum noch immer.

Warum hat die EZB einfach nicht gesagt, dass die Geldpolitik an Wirksamkeit verliert, wenn die Wirtschaft in eine Liquiditätsfalle gerät und die nominalen Zinsen auf der Nulllinie liegen (zero lower bound) und sie deshalb die Unterstützung durch die Fiskalpolitik benötigt, um die Wirtschaft auf den Vordermann zu bringen.

Es geht wahrscheinlich um Interessen und Ideen in der politischen Ökonomie. Simon Wren-Lewis stellt dazu in seinem neuen Buch zwei Überlegungen an.

Warum ziehen die Eliten Fiscal Austerity vor? Und wie werden solche Interessen durch die Zentralbanken vermittelt?



10y Die Rendite-Differenz ("lo spread") ITA (3,40%) - GER (0,34%), Graph: Bloomberg, Nov 23, 2018 

Die Zentralbanken fürchten wohl um die eigene Unabhängigkeit. Die Fiskalpolitik zu Hilfe zu rufen, dürfte die eigene Position schwächen, so nehmen sie an. Damit geht sicherlich eine Angst vor Fiscal Dominance einher: d.h. dazu gezwungen zu werden, die Schulden zu monetarisieren, als Folge von Verlust der Unabhängigkeit und der Kontrolle über Inflation. 

Der Punkt ist: um makroökonomische Krisen zu verstehen, muss man klarsehen, welche schlechte oder unzulängliche Theorie dazu geführt hat.

Keynesianische Ökonomen haben in Nachwirkungen der Global Financial Crisis (GFC) auf ein paar wichtige Punkte hingewiesen.

Zusätzliche Schuldenaufnahme würde nicht zu einem Anstieg der Inflation führen.
Die mengenmässige Lockerung der Geldpolitik (QE: quantitative easing) würde keine Hyperinflation auslösen.
Und Fiscal Austerity würde den Output reduzieren, während die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound) und die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt.

Da die konventionelle Geldpolitik vor diesem Hintergrund an Zugkraft verlieren würde, müsste die Fiskalpolitik in die Bresche springen. 


Italien und EU, EDP: Executive Deficit Procedure, Graph: Bloomberg, Nov 24, 2018


Die EZB hätte auf überliefertes Wissen der Makroökonomie zurückgreifen können. Aber sie hat es nicht getan. Die Folge war eine zweite Rezession im Euroraum. 

Die neoklassisch geprägte Wirtschaftskonzeption mit Fokus auf Haushaltskonsolidierung (selbst in einer schweren Depression mit historisch tiefen Zinsen) ist gescheitert. Daran festzuhalten, wider besseres Wissen, ergibt keinen Sinn.

Daher liegt der Verdacht nahe, dass die Vertreter der fiskalischen Austerität einem bestimmten Ziel folgen: den Staat zurückzudrängen, d.h. zu verkleinern. Und dies ist unter gegebenen Umständen nicht logisch, sondern ideologisch. Leidtragende sind Millionen von Menschen ohne Job und/oder mit schlecht bezahlten Jobs in Teilzeit.

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