Die Mainstream-Medien bejubeln den Rückgang der Arbeitslosigkeit in den westlichen Volkswirtschaften. Was aber dabei in Vergessenheit zu geraten scheint, ist, dass ein grosser Teil der neu beschaffenen Stellen auf Teilzeit entfällt.
Es handelt sich dabei zumeist um atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, d.h. Arbeitsplätze mit zu geringer Einkommenssicherheit.
Es mag deshalb dahingestellt sein, ob die grossen Volkswirtschaften per Definition der Vollbeschäftigung nahestehen oder nicht. Eine wichtige Frage, die sich stellt, ist, ob wir uns auf die Benchmark „Arbeitslosenquote“ weiter wie bisher verlassen können, während die Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen immer grösser wird.
Vor diesem Hintergrund unterstreichen David Bell und David Blanchflower in einem neulich vorgelegten NBER Working Paper ("Underemployment in the US and Europe") August 2018, dass es seit der GFC (Global Financial Crisis) vor allem auf die Unterbeschäftigung (als neues Mass für die Arbeitslosigkeit) ankommt. Die Unterbeschäftigung ist sozusagen die neue Arbeitslosenquote.
Die Unterbeschäftigung sei zudem auch der Grund dafür, warum die Löhne in den USA und Europe trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit langsamer wachsen als in der Zeit vor der GFC, so die Autoren weiter.
Unterbeschäftigung in den USA und Europe, Graph: David Bell and David Blanchflower, in: voxeu, Sept 24, 2018
In einigen Volkswirtschaften mit einer laxen Arbeitsmarktregulierung (z.B. im Vereinigten Königreich und den Niederlanden) befinden sich mehr Menschen in prekären Teilzeitarbeitsverträgen als arbeitslos, wie Bloomberg kommentiert.
Und Politiker erlauben es sich, darauf gestützt, lediglich auf die Headline-Arbeitslosenzahlen hinzuweisen, ohne auf die Qualität der Arbeitsplätze einzugehen, die die Menschen ertragen müssen.
Arbeitslosigkeit versus Unterbeschäftigung in manchen gewählten Volkswirtschaften, Graph: Bloomberg, Sept 27, 2018
Es steht fest, dass die Suche nach alternativen Erklärungen für ein schwaches Lohnwachstum die Aufmerksamkeit auf die Unterbeschäftigung gelenkt hat. Wie messen aber Bell und Blanchflower die Unterbeschäftigung?
Unterbeschäftigung wird an der Bereitschaft derjenigen Arbeitnehmer, die sich mehr Arbeitszeit wünschen, ohne mehr Lohn zu fordern, gemessen, erklären die beiden Professoren. Im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit ist die Unterbeschäftigungsquote insbesondere in den USA und in Grossbritannien noch immer nicht auf das Niveau vor der Rezession zurückgekehrt.
Bei der von den statistischen Ämtern am meisten ermittelten Unterbeschäftigung geht es um den Anteil der unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigten an der Gesamtbeschäftigung. Die Daten erfassen nur die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit verlängern möchten.
Aber sie enthalten keine Informationen über die Anzahl zusätzlicher Arbeitsstunden, die die befragten Arbeitnehmer ausüben wollen, auch nicht, wenn einige (andere) Arbeitnehmer, einschliesslich freiwilliger Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigter, die es vorziehen würden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren.
Die weitverbreitete Verwendung dieses Masses der Unterbeschäftigung spiegelt jedoch das Fehlen von Alternativen wider. In Europa werden unfreiwillige Teilzeitbeschäftigte als Teilzeitbeschäftigte beschrieben, die eine Vollzeit-Beschäftigung anstreben (PTWFT: part-timers who want full-time jobs), während sie in den USA als Teilzeitkraft aus wirtschaftlichen Gründen bezeichnet werden (PTFER: part-time for economic reasons).
Im Konzept der Autoren hingegen impliziert die Unterbeschäftigung Arbeitnehmer, die von ihren „Arbeitsangebotskurven abgeschnitten“ sind, im Gegensatz zum sog. kanonischen Modell, das davon ausgeht, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsstunden frei wählen können, und damit „auf der Arbeitsangebotskurve liegen“.
Das vorherrschende neoklassische Modell setzt also voraus, dass die Arbeitnehmer aus einem Kontinuum von Stunden auswählen können, während die Löhne als exogen gegeben gelten.
Fazit: Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie der Kartoffelmarkt. Der einfache Ansatz von Angebot und Nachfrage trifft auf den Arbeitsmarkt für die Wirtschaft als Ganzes nicht zu, was nichts anderes heisst, als dass die Arbeitslosigkeit mit „flexiblen Löhnen“ nicht bekämpft werden kann. Die Beschäftigung hängt von dem Produktionswachstum bzw. der aggregierten Nachfrage ab, nicht von Lohnkürzungen.
1 Kommentar:
> Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie der Kartoffelmarkt. <
Das wusste Wolfgang Stützel schon. Stützel 1981 in aller Kürze:
Wegen der „anomalen Reaktion“ — auf die Lohn — oder
Faktorpreis-Senkung hin wird die angebotene Menge (an
Arbeitszeit) nicht verringert, sondern vermehrt —, verliert
das freie Spiel des Marktpreises seine sonst so segensreiche
Funktion, einen menschenwürdigen Ausgleich herbeizu-
führen.
Des Weiteren gab es eine interessante Darlegung des Arbeitsmarktes auf dem Blog von Jörg Buschbeck (der leider auf privat umgeschaltet ist). Aus Archive:
https://web.archive.org/web/20140711151108/http://guthabenkrise.wordpress.com/2012/12/28/arbeitsmarktgleichgewicht-in-abhangigkeit-vom-sozialsystem/
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