Dienstag, 5. Juni 2018

Der Fall Italien und Marktdisziplin – von wegen!


Wenn ein Land einer Währungsunion beitritt, verliert es die eigene Landeswährung und übernimmt im Gegenzug die Gemeinschaftswährung. Das ist im Fall der EWU der Euro. 

Die Geldpolitik wird von einer gemeinsamen Zentralbank gestaltet. Das ist die EZB.

Das bedeutet, dass die nationalen Regierungen mit dem Beitritt der EWU die Kontrolle über das Geld verlieren. Und das hat Auswirkungen.

Der Euro ist dann quasi eine fremde Währung für das EWU-Land, das eine Staatsanleihe emittiert, weil es eben keine Kontrolle über das Geld hat. Das heisst, dass das betreffende Land dem Anleihe-Halter die Bedienung der Obligation am Ende der Laufzeit nicht garantieren kann, in Form von Cash (in diesem Fall in Euro).

Nun stellen wir uns einen negativen (wirtschaftlichen oder politischen) Schock vor, z.B. den Wahlsieg der als populistisch präsentierten Bewegungen in Italien. Im Fall von Spanien war es im Jahr 2010 eine tiefe Rezession, und zwar in Verbindung mit einer Banken-Krise.

Der Ausverkauf von Bank-Aktien an den Börsen und der rasante Anstieg der Rendite-Differenz (spread) der italienischen Staatspapiere im Verhältnis zu German Bunds, die weltweit als sichere Benchmark-Anleihen gelten, führt erneut vor Augen, dass der Teufelskreis (doom loop) zwischen Staatsanleihen und Bank-Aktien nicht gebrochen ist.

Denn wenn die Investoren erwarten, dass das italienische Haushaltsdefizit ansteigt, fangen sie an, die Papiere abzustossen. 

Was passiert danach?


Teufelskreis (doom loop) Bank-Aktien versus Staatsanleihen, Graph: BloombergTV 
5y spread ITA over GER (blaue Kurve) und Europe Banken Index (weisse Kurve)

Erstens steigen die Zinsen der betreffenden Anleihen. Das bedeutet aus Sicht des italienischen Staates steigende Kredit-Kosten, was die Finanzierung der (bestehenden) Schulden erschwert. 

Zweitens kaufen die Investoren, die Italiens Staatspapiere verkaufen, mit dem Erlös deutsche Staatspapiere, die ja als sicher und liquide gelten. 

Folglich schrumpft die Liquidität am italienischen Geldmarkt. Die (latente) Mühsal, die Staatspapiere am Ende der Laufzeit nicht bedienen zu können, löst eine Liquiditätskrise aus. Erste Spekulationen schiessen ins Kraut, ob der nächste Schritt wohl ein Zahlungsausfall (default) ist?


Der sich (in den vergangenen Tagen) ausweitende Abstand zwischen dem Geldkurs (bid) und dem Briefkurs (ask) von italienischen Anleihen im täglichen Handel, Graph: FT, June 4, 2018 

Und damit haben wir mit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun. Zur Erinnerung: Das kann Grossbritannien nicht widerfahren, weil die britische Notenbank (BoE: Bank of England) sofort in den Markt eingreifen und britische Staatsanleihen aufkaufen würde.

Im Fall einer Währungsunion wird aber das betreffende Land gezwungen, wenn es sich gegenüber einer Liquiditätskrise gestellt sieht, seine Ausgaben radikal zu senken, weil automatische Stabilisatoren (wegen der restriktiven Fiskalregeln, die ja im Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeschlossen sind) abgeschaltet sind.


Der Verlauf des Abstands zwischen dem Geldkurs (bid) und dem Briefkurs (ask) von italienischen Anleihen mit 2 Jahren Laufzeit im Tageshandel, Graph: BloombergTV, June 4, 2018 

M.a.W. verschärft die Austerität, die vom „Markt“ verhängt wird, die Rezession, mit der Gefahr demnächst in eine Depression zu geraten. Die Arbeitslosigkeit steigt und auch der Schuldenstand des Staates nimmt zu, weil die Wirtschaft (ohne Investitionen) kaum wachsen kann.

Das ist ein strukturelles Problem, wie es von Paul de Grauwe in seinem lesenswerten Buch beschrieben wird: Die Schwäche der Mitgliedstaaten in der Eurozone wird durch die Tatsache untermauert, dass sie im Fall einer Krise nicht mehr von einer Zentralbank gestützt werden. Das bedeutet, dass die Länder dem Diktat der Märkte beugen müssen, wie wir jüngst am Beispiel von Italien erlebt haben. 


Die Anzahl der offenen Positionen in kurzen italienischen Staatspapieren ist auf das höchste Niveau geklettert, Graph: FT, June 4, 2018 

Es gibt aber keine Marktdisziplin, obwohl es öfters beschworen wird. Denn die Märkte liegen üblicherweise falsch: „sie sind zu milde oder zu streng. Im Boom sind Märkte und Ratingagenturen zu euphorisch, niemand sieht die Risiken. Im Crash sieht man überall Risiken. Diese Risikoscheu hat uns zwei tiefe Rezessionen in Europa gebracht“, wie Prof. De Grauwe in einem aktuellen Interview mit der Finanz und Wirtschaft am Wochenende darlegt.



Die Rendite-Prämie der italienischen Anleihen mit 10 Jahren Laufzeit gegenüber German Bunds mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FT, June 4, 2018 

Der Punkt ist demnach, dass es mit der Bildung der Eurozone zu einer dramatischen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten und den Finanzmärkten gekommen ist. Die Vorrangstellung der Märkte zwingt die Mitgliedstaaten am Sparkurs festzuhalten. Und obendrauf steht die EZB über den Regierungen in der Eurozone und kann nicht verpflichtet werden, Ländern, die in eine Krise rutschen, zu helfen.

Die Regierungen sind daher irgendwie völlig auf den guten Willen der nicht-gewählten Amtsleute der Eurozone angewiesen. Der Fall Italien zeigt wie eine Bewährungsprobe („litmus test“), dass das auf lange Sicht nicht haltbar ist.


PS:


EZB hat den Anteil der italienischen Staatsanleihen an ihrem Anleihekaufprogramm im May zurückgefahren, Graph: Kate Allen, FT, June 4, 2018 

Die EZB, die im Rahmen ihres Programms 3,6 Mrd EUR an italienischen Staatsanleihen im May 2018 gekauft hat, hat die Kritik zurückgewiesen: Der Rückgang habe nichts mit der politischen Krise in Italien zu tun.


update


Insgesamt stammten 28% der EZB-Netto-Käufe im letzten Monat aus deutschen Anleihen, während 15% italienische Anleihen waren. Dies war die niedrigste proportionale Zuteilung für Italien seit Beginn des Anleihekaufprogramms im März 2015.




Die EZB hat zuletzt weniger Staatsanleihen aus Italien gekauft als Ende 2017, Graph: Kate Allen, FT, June 4, 2018 

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