Dienstag, 21. Juni 2016

Karlsruhe versus Liquiditätsfalle

Die europäische Wirtschaft steckt tief in der Liquiditätsfalle. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist so schwach, dass nicht einmal die Zinsen, die nahe null Prozent liegen, Investitionen und Ausgaben ankurbeln können, was notwendig wäre, um die Vollbeschäftigung wiederherzustellen.

Mario Draghi versorgt die Geschäftsbanken via Anleihekaufprogramm (einer Art Offenmarktpolitik als ein Instrument der Geldpolitik) mit Liquidität. Die EZB kauft am offenen Markt Wertpapiere. Wenn eine Geschäftsbank Wertpapiere an die EZB verkauft, bekommt sie im Gegenzug (trade-off) Zentralbankgeld gutgeschrieben; elektronisch.

Es ist insofern ein trade-off (d.h. ein Tausch), als die Banken für das Geld, das keine Zinsen abwirft, Liquidität erhalten. Je mehr Liquidität aber die Zentralbank zur Verfügung stellt, desto mehr davon halten die Banken zurück, wegen der entgangener Gewinne, womit die Zinsen noch tiefer gedrückt werden.

Wenn die Zinsen aber nahe null Prozent liegen, kostet die Haltung von Liquidität nichts. Und die Banken halten das Geld als Wertaufbewahrungsmittel, was im Wesentlichen einem kurzfristigen Schuldtitel gleichkommt. Und das Offenmarktgeschäft der Zentralbank, Geld für Wertpapiere zu tauschen, ändert nichts. Die (konventionelle) Geldpolitik verliert also an Zugkraft.

Die Kehrseite ist, dass sich das ganze Gerede darüber, dass die Inflation durch die Decke schiesst, weil die Zentralbank mit QE-Policy (Anleihekaufprogramm) Geld druckt, als falsch erweist.



Die von der EZB gepumpte Liquidität im Euro-Raum, Graph: Bloomberg



Das war die japanische Erfahrung in den 1990er Jahren. Die Ausweitung der Bilanz der japanischen Zentralbank (BoJ: Bank of Japan) hat nicht zu einem Anstieg der Inflation geführt.

Einige Akademiker, Politiker und ein paar empörte Bürger in Deutschland haben aber das Gefühl, dass die EZB mit dem OMT gegen das „Verbot der monetären Staatsfinanzierung“ verstosst. Deshalb wurde der Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt.

Peinlich ist, dass das OMT-Programm gar nicht zur Anwendung kam und die erwartete Inflation nicht aufgetaucht ist. Ganz im Gegenteil ist die Rendite der deutschen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit vergangene Woche unter null gefallen.


Was die Geschäftsbanken mit der Liquidität machen; parken, in Deposit Facility and Current AccountGraph: Morgan Stanley

Die von Draghi mit dem Satz „whatever it takes“ unterstrichene Bereitschaft hat aber gewirkt. Weil EZB-Präsident damit deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die EZB die Rolle als „lender of last resort“ übernehme, wie es sich für eine moderne Zentralbank gehört, wenn die Wirtschaft in eine schwere Depression gerät. Das nennt man im Übrigen u.a. auch „Chuck Norris-Effekt“ der Geldpolitik.

Es sieht nun so aus, wie wenn die Karlsruher Richter heute darüber befinden müssten, ob die Geldpolitik wirksam ist oder nicht, wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound). M.a.W. steht die Theorie der Liquiditätstheorie auf dem Prüfstand. Dass das Bundesverfassungsgericht über ein makroökonomisches Modell ein Urteil fällen muss, spricht Bände. Es ist schmerzhaft zu sagen, dass es peinlich ist.

Was die vergangenen Jahre seit dem Ausbruch der Finanzkrise zeigen, ist, dass (1) Haushaltsdefizite nicht zu einem Anstieg der Zinsen führen, (2) die Ausdehnung der Notenbankgeldmenge (monetary base) kaum Auswirkungen auf die Inflation hat, (3) kein „crowding-out“ stattfindet und (4) Fiskalmultiplikatoren grösser sind als sonst, wenn die Wirtschaft schwer angeschlagen ist. Was soll ein Gerichtsurteil daran ändern?












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