Freitag, 29. April 2016

Scheinheilige Politik und EZB als Sündenbock

Aus Deutschland hagelt es Kritik an der gegenwärtigen Geldpolitik der EZB. Die deutschen Sparer werden enteignet und Mario Draghi ist schuld daran, weil er die Zinsen nicht erhöht, so die Klagen.

EZB-Präsident hat neulich in einem lesenswerten Interview mit dem Bild aus Deutschland dazu Stellung genommen. Auf die Frage, wann die Zinsen wieder steigen werden, gibt Draghi eine deutliche Antwort:

„Es ist ganz einfach: Wenn die Wirtschaft wieder etwas stärker wächst und die Inflation wieder näher dem Zielwert der EZB kommt“.

Die Zinsen sind niedrig, weil das Wirtschaftswachstum niedrig ist. Und auch die Inflation ist zu niedrig. Das ist ein Faktum:

Die EZB unternimmt, was sie kann, um das Wachstum anzukurbeln. Aber die Austeritätspolitik hat bisher alle Bemühungen gebremst, schreibt The Economist aus London: 

Wenn Wolfgang Schäuble höhere Zinsen für deutsche Sparer wünscht, soll er anfangen, die Ausgaben zu erhöhen. Die deutsche Regierung verkündet aber stattdessen einen höheren Haushaltsüberschuss.


Euro-Raum Inflation, Graph: The Economist

Donnerstag, 28. April 2016

Sparkurs der Regierungen bringt Niedrigzinsen

Die Inflationserwartungen im Euro-Raum sind zuletzt etwas gestiegen. Gemessen an Forward Inflation Swap-Sätzen für 5 Jahre in 5 Jahren (5y5y forward inflation-swap rates) sind sie gestern auf 1,42% geklettert.

Das ist bemerkenswert, da Mario Draghi vor acht Tagen gesagt hat, dass die Inflation in nächster Zeit ins Negative fallen könnte, bevor das inzwischen ausgeweitete Anleihekaufprogramm zur Entfaltung kommt.

Interessant ist natürlich, zu beobachten, dass die langfristigen Inflationserwartungen immer noch um mehr als 0,5% unter der Zielinflationsrate der EZB verweilen. Und sie liegen nicht weit von dem rekordtiefen Wert von 1,361%, der am 29. Februar verbucht wurde.

Auch in Deutschland betragen die Inflationserwartungen gemessen an sog. Breakeven-Sätzen mit rund 1% deutlich unterhalb des EZB-Zielwertes.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Rendite der Staatsanleihen, die sicher, liquid und hochwertig gelten, auf beiden Seiten des Atlantiks auf historisch tiefen Niveaus gehandelt werden.

Das deutet auf eine Knappheit (scarcity) hin: Die Nachfrage nach Staatspapieren ist wesentlich grösser als das Angebot. Das Angebot ist knapp, weil die Regierungen sich mit Anleihe-Ausgaben zurückhalten. Warum? Weil sie trotz der Gefahr von Stagnation und Deflation am Sparkurs festhalten. Das gilt v.a. für die Eurozone.



Inflationserwartungen im Euro-Raum (gemessen an Forward Inflation Swap-Sätzen für 5 Jahre in 5 Jahren), Graph: Bloomberg

Mittwoch, 27. April 2016

Multiplikatoreffekt in Depression

Es gibt eine weit verbreitete Vereinbarung („Estimating Fiscal Multipliers“) unter Ökonomen, dass die fiskalischen Multiplikatoren in Rezessionen grösser sind als in normalen Zeiten.

Zum Beispiel sagen Lawrence Christiano, Martin Eichenbaum und Sergio Rebelo in einer Forschungsarbeit („When is the Government Spending Multiplier Large?“), dass die Multiplikatorwirkungen der Staatsausgaben grösser als eins sein können, wenn die nominalen Zinsen nahe null (zero lower bound) liegen.

Richard Murphy schreibt, dass die britische Regierung und OBR davon ausgehen, dass die Austerität Wirtschaftswachstum auslöst und das Haushaltsdefizit daher gekürzt werden müsse. Das Problem ist, dass alle Beweise zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist: Ausgabenkürzungen schränken das BIP ein. Und Ausgabenerhöhungen steigern das BIP.

Chris Dillow meint dazu, dass Vorsicht geboten ist, weil der Zusammenhang manchmal für falsche Schlussfolgerungen interpretiert werden kann. Denn es gibt ökonomische, aber auch politische Aspekte, die mit berücksichtigt werden müssen.



Europa und Haushaltskonsolidierung, Graph: Olivier Blanchard and Daniel Leigh: IMF Working PaperGrowth Forecast Errors and Fiscal Multipliers“, Jan 2013

Dienstag, 26. April 2016

Eine geldpolitische Transmission im deutschen Parlament

Mario Draghi soll dem deutschen Bundestag die Niedrigzinsen erklären. Das meldet Reuters heute gestützt auf einen nicht näher genannten „Sprecher der EZB“.

EZB-Präsident war bereits vor vier Jahren von Berlin eingeladen, Bundestagsabgeordneten seine Geldpolitik zu erläutern.

Es ist im Grunde genommen ganz einfach. Wie das Lehrbuch nahelegt, reflektieren die Niedrigzinsen derzeit nicht in erster Linie die Geldpolitik, sondern die Marktkräfte. Es mangelt an Nachfrage im gesamtwirtschaftlichen Sinne.

Die Ära der Wirtschaftsschwäche, die mit dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 begonnen hat, hält noch an. Manche Experten bezeichnen die Situation als secular stagnation. Unabhängig davon: was auffällt, ist, dass das gesamte Umfeld der Wirtschaft derzeit von Risiken der Deflation und Depression geprägt ist und Haushaltsdefizite und Inflation dabei keine Herausforderung darstellen.

Montag, 25. April 2016

Mehr Liquidität und Mehr Niedrigrenditen

Die japanischen Staatsanleihen (JGB) haben vergangene Woche für alle Laufzeiten (bis auf 40 Jahre eine Rendite) von weniger als 0,4% abgeworfen.

So tief ist also das Rendite-Niveau in Japan entlang der gesamten Ertragskurve (yield curve), inzwischen besonders geprägt durch die Einführung von Negativ-Zinsen durch die japanische Notenbank (BoJ) am 29. Januar 2016.

Nachdem auch die EZB im März und Riksbank aus Schweden im April die mengenmässige Lockerung der Geldpolitik ausweitete, hat sich das Volumen der Staatsanleihen mit Negativ-Rendite inzwischen deutlich erhöht.

Derzeit beläuft sich der Wert der Staatspapiere mit einer Rendite von weniger als Null Prozent auf rund 7,800 Mrd. USD, wie Bloomberg meldet.




Der gesamte Wert der Staatsanleihen mit Negativ-Rendite, Graph: Bloomberg

Sonntag, 24. April 2016

Zweifel an Deutschlands Wirtschaftspolitik für Europa

Der offene politische Vorwurf aus Deutschland gegen die gegenwärtige Geldpolitik der EZB hat in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble beschuldigt Mario Draghi, ohne mit der Wimper zu zucken, die Sparbuch-Zinsen zu stehlen.

Doch wurde in den letzten Tagen auch die Kritik an der von Brüssel und Berlin für die Eurozone verordneten Wirtschaftspolitik lautstark.

Wenn Deutschland den Einsatz von Fiscal Stimulus zulassen würde, würde sich die Wirkungskraft der EZB-Anleihekäufe verbessern und die Effektivität der geldpolitischen Massnahmen, um die Rezession in der Eurozone zu bekämpfen, steigen, schreibt George L. Perry im Brookings Blog.

Seiner Meinung nach gibt es keinen Zweifel daran, dass die Eurozone eine expansive Fiskalpolitik braucht.

Auch Hans-Helmut Kotz beschreibt in diesem Sinne in einem lesenswerten Artikel („Mario Draghi and Germany’s Fiscal Fetish“) in Project Syndicate die Obsessison der „Schwarzen Null“-Politik als kostenträchtig.



Europas Wirtschaftsleistung ist heute immer noch tiefer als sie vor 2008 war, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 23. April 2016

China’s Double Deflation

Nach einer tatkräftigen Lockerung der Fiskal- und Geldpolitik in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres mehren sich Anzeichen, wie wenn China das Schlimmste vom Deflationsdruck hinter sich bringen würde.

Während die Wirtschaft nach wie vor mit der Deflation (PPI zuletzt -4,3% nach -5,9%) ringt, ist der BIP-Deflator im ersten Quartal 2016 erstmals seit vier Quartalen in Folge wieder in den positiven Bereich zurückgekehrt.



China: BIP-Deflator kehrt nach vier Quartalen, Graph: Morgan Stanley

Freitag, 22. April 2016

Nachfrageschock und Flashdance der EZB

Es wurde viel darüber debattiert, dass die Finanzkrise keine herkömmliche Rezession ausgelöst hat, die i.d.R. von einem Problem auf der Kreditgeber-Seite geprägt ist.

Womit wir heute noch zu tun haben, ist eine Bilanzrezession (balance sheet recession), wie Richard Koo es beschreibt: ein Problem auf der Kreditnehmer-Seite. Das heisst, dass der Privatsektor mit dem Schuldenabbau (deleveraging) beschäftigt ist und die Nachfrage nach Kapital fehlt.

Wenn aber die Politik trotzdem einen harschen Sparkurs diktiert, was auch die öffentliche Hand einschliesst, gerät die Wirtschaft tiefer in Rezession und sogar in Depression. Weil, wenn alle, privaten Haushalte, Unternehmen und der öffentliche Sektor Netto-Sparer werden, fehlt es an Nachfrage, um Wirtschaftswachstum zu fördern.

Die geringere Nachfrage senkt dann die Produktion (output) und die Beschäftigung. Werden obendrauf die Löhne gesenkt (internal devaluation), siehe die Eurozone, folgen Unternehmen mit Preissenkungen.

Wegen des Rückgangs der Inflation sieht sich die Notenbank gezwungen, die Realzinsen zu senken, was die Nachfrage anregen soll, damit die Beschäftigung und die Produktion wieder auf den Vor-Rezession-Trend zurückkehren.



EZB Leitzinsen, Graph: FT

Donnerstag, 21. April 2016

Strukturreform in Europa: Das Märchen der Märchen

Die Aussage, dass Europa Strukturreformen braucht, ist ein allgegenwärtiges Mem (*) in der Eurozone, zumindest seit dem Ausbruch der Krise. Es mag sein, oder auch nicht. Aber die Tatsache ist, dass Europas Wirtschaft unter ihrem Potential wächst, mit einer enormen Unterbeschäftigung, die nicht unterschätzt werden kann.

Die Produktionslücke (output gap) bedeutet Unterauslastung. Es mangelt also an Nachfrage. Da die Strukturreformen die Angebotsseite betreffen, bedarf es nach dem Lehrbuch eines Stimulus auf der Nachfrageseite. Und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann via Geld- oder Fiskalpolitik, oder durch einen Mix von beiden angekurbelt werden.

Wenn man aber die lockere Geldpolitik der EZB heftig kritisiert und zugleich einen Fiskalstimulus vehement zurückweist, wie Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble es tut, ist es nicht zu erstaunen, dass die Wirtschaft sich nicht erholen kann und noch lange in der Liquiditätsfalle steckt.

Wer keine expansive Geldpolitik will, braucht einen massiven fiskalischen Stimulus. Andernfalls ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kleiner als das Angebot. Und die Wirtschaft fällt in eine Depression, wie Nouriel Roubini in einem lesenswerten Interview in FuW beschreibt.




Produktionslücke (output gap) im Euro-Raum, Graph: Bloomberg

Mittwoch, 20. April 2016

(Monopol-Macht) Hohe Gewinnmargen versus schwache Investitionen

Trotz der historisch niedrigen Zinsen wird kaum investiert, weder im Privatsektor noch im öffentlichen Sektor. Im Saarland wird eine Autobahnbrücke über Nacht gesperrt, weil sie einsturzgefährdet ist.

Dass die deutsche Infrastruktur in einem maroden Zustand ist, ist offensichtlich. Was erstaunt, dass niemand fragt, warum?

Es ist die Ideologie: Haushaltskonsolidierung, bemerkt Simon Wren-Lewis in seinem Blog. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für Grossbritannien, wie der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor betont.

Eine interessante These zum Thema der fehlenden Investitionen hat Larry Summers vor ein paar Wochen geliefert: Monopolmacht.

Der ehemalige US-Finanzminister (1999-2001) erklärt, dass die hohen Gewinne der Unternehmen nicht eine erhöhte Produktivität des Kapitals reflektieren, sondern einen Anstieg der Monopolmacht der Unternehmen. Da die Unternehmen nicht investieren, nimmt die Produktion nicht zu. Und die fehlende Nachfrage nach Kapital führt zu Niedrigzinsen.

Die wachsende Monopolmacht der Unternehmen war im Grunde genommen vor rund vier Jahren („Robots and Robber Barons“) von Paul Krugman aufgegriffen worden.



Staatsanleihen mit Negativ-Rendite, Graph: BloombergTV 

Dienstag, 19. April 2016

Was war zuerst da: Austerität oder Niedrigzinsen?

Die Debatte über die Zinspolitik der EZB setzt sich in den deutschen Medien ungestüm fort. Eine Aussage, die immer weiter in den Mittelpunkt rückt, ist, dass Deutschlands Sparer durch Mario Draghi, den EZB-Präsidenten enteignet werden.

Schliesslich ist die Notenbank für die Zinsen, zumindest am kurzen Ende, verantwortlich. Warum die Zinsen aber so niedrig, wird im Wesentlichen selten erforscht.

Präsentiert wird ständig eine horrende Summe, wie viel Zinseinnahmen den Bürgern entgehen. Dass auch die Soll-Zinsen gesunken sind, findet kaum eine Erwähnung.

Doch fordert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble neuerdings lautstark höhere Zinsen von der EZB. 

Die nominalen Zinsen liegen aber nahe Null-Zinsgrenze (zero lower bound), weil es an Nachfrage mangelt und die Inflation nicht steigt, weil die Löhne stagnieren. Das grösste technische Problem ist eine Besessenheit mit der unangemessenen Haushaltskonsolidierung (austerity), schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog.

Die EZB wird in der Eurozone gezwungen, die Zinsen bis in den Negativ-Bereich zu senken, um die Auswirkungen der Austeritätspolitik abzuwehren. Und der Mann, der für diese Besessenheit verantwortlich ist, ist Wolfgang Schäuble, argumentiert der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor aus London.




Negativ-Zinsen in der Eurozone, Graph: Bloomberg

Montag, 18. April 2016

Negativzinsen und Finanzierungskosten im Bankensektor

Ein Newsticker ohne eine Meldung über die unkonventionelle Massnahme Negativ-Zinsen ist heute mittlerweile kaum vorstellbar.

Andrea Maechler, SNB hat am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Singapur gesagt, dass die Negativ-Zinsen keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit sind.

Und Adam Posen hat neulich in einem Gespräch mit dem Bloomberg TV erklärt, dass die Negativzinsen nur in kleinen und offenen Volkswirtschaften wie der Schweiz und Dänemark funktionieren.

Die Negativzinsen wirken i.d.R. über Wechselkurs-Kanäle (via Nominal- und Realzinsdifferenzen) dadurch, dass die Währung abwertet. In Schweden zum Beispiel scheinen die Inflationserwartungen via SEK-Abschwächung wieder zu steigen.

Ein wichtiger Faktor ist allerdings, wie die Analysten von Morgan Stanley unterstreichen, dass der Bankensektor nicht vollkommen auf die Kundeneinlagen angewiesen ist, sondern sich am Interbankengeldmarkt (wholesale funding) refinanzieren kann.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund der Fall Japan (3-tier system): Die japanischen Banken richten sich zur Geldbeschaffung an die Einlagen der Sparer, wie in der Abbildung zu sehen ist:



Länder-Vergleich: Kundeneinlagen im Verhältnis zu Vermögensbeständen der Banken, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 16. April 2016

Die Geldpolitik-Crasher

Die harsche Kritik gegen die EZB und die von Mario Draghi verfolgte Geldpolitik hat in der deutschen Politik in den vergangenen Tagen drastisch zugenommen. Heiner Flassbeck redet in seinem Blog treffend von blindwütigen Angriffen auf die Zinspolitik.

Wie Martin Wolf neulich in seiner Kolumne in FT dargelegt hat, sind die Negativzinsen aber nicht die Schuld der Zentralbanken.

Und warum die Niedrigzinsen ein Symptom, und nicht die Ursache in dieser Angelegenheit sind, erklärt Brad de Long in seinem Blog noch einmal aus makroökonomischer Sicht.

Wenn die Zinsen niedrig sind und die Inflation nicht steigt, ist es nicht so, weil die Geldpolitik zu locker ist, sondern weil der neutrale Zins (r*) niedrig ist. Und der neutrale Zins kann niedrig sein, wenn

Verbraucher sich mit Ausgaben zurückhalten (C ist niedrig),
Animal Spirits der Anleger angeschlagen ist (I ist niedrig),
Nachfrage des Auslands nach unseren Exporten schwach ist (NX ist niedrig) und
die Fiskalpolitik zu kontraktiv ist (G ist niedrig)

(für alle vier Aspekte gilt es: im Verhältnis zum Potentialwachstum Y* der Wirtschaft)



Leitzinsen der Zentralbanken, Graph: FT

Freitag, 15. April 2016

Banken aus Deutschland fahren Kreditvergabe zurück

Die deutschen Banken bauen Kredit-Risiken (Forderungen minus Verbindlichkeiten) im Euro-Raum weiter ab.

Die sog. Finanzierungslücke (funding gap) der deutschen Banken in Südeuropa ist von einem Spitzenwert von ca. 513 Mrd. EUR im Jahr 2009 auf rund 186 Mrd. EUR per heute geschrumpft.




Die sog. Finanzierungslücke der deutschen Banken an der EU-Peripherie, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 14. April 2016

Warum der niedrige Ölpreis die Wirtschaft nicht stimuliert

Der Ölpreis hat sich seit Jahresbeginn deutlich erholt. Nach jüngsten Spekulationen, wonach Russland sich mit Saudi-Arabien auf eine Senkung der Ölproduktion geeinigt hätte, kam es in den vergangenen Tagen zu einem wesentlichen Preisauftrieb. Die Inflationserwartungen sind aber nicht gestiegen, wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist.

Billiges Öl hätte eigentlich das Wirtschaftswachstum fördern sollen. Das ist aber nicht passiert. Warum?

Wegen der Null-Untergrenze (zero lower bound), sagt Maury Obstfeld, der neue IWF-Chefökonom. Der Rückgang des Ölpreises führt zu einem Rückgang der Inflationserwartungen, weil die Zinsen nicht weiter fallen können. Realzinsen hingegen steigen und lasten damit auf der Wirtschaft, erklärt der Wirtschaftsprofessor von der University of California, Berkeley.

Matt O’Brien teilt aber die Ansicht nicht. Wie er im Wonkblog von WaPo bemerkt, hat Japan Null-Zinsen viel länger als jedes andere Land auf der Welt. Da es Öl importiert, ist die Erwartungshaltung die einzige Möglichkeit, dass teureres Öl helfen könnte. Das ist aber nicht der Fall.

Warum? Weil Ölschocks die Beschäftigung, Industrieproduktion und die Verbraucherausgaben vielmehr beeinträchtigen als sonst, wenn die Zinsen nahe null liegen. Mit anderen Worten sind höhere Ölpreise laut O’Brien immer kontraktiv. Und sie sind bei Null-Untergrenze am meisten kontraktiv.



Ölpreisanstieg versus Inflationserwartungen, Graph: Morgan Stanley

Mittwoch, 13. April 2016

Wenn alle Sektoren Netto-Sparer sind

Ein Viertel der Weltwirtschaft erleidet derzeit Negativzinsen, wie in der folgenden Abbildung von FT schön zu sehen ist.

Politiker in Deutschland greifen die EZB an, mit Nullzins-Politik die Sparer zu verprellen. Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister unterstellt Mario Draghi, dem EZB-Präsidenten fürs Erstarken der AfD, eine nationalistische Partei in Deutschland mitverantwortlich zu sein. 

Larry Fink, Hedge Funds Manager beklagt, dass Vorsorge für Sparer wegen der Niedrig-Zinsen nicht mehr möglich sei.

Die Weltwirtschaft sieht tatsächlich einer Flut von Einsparungen („glut of savings“) (im Vergleich zu Investitionsmöglichkeiten) gegenüber, schreibt dazu Martin Wolf in seiner Kolumne („Negative rates are not the fault of central banks“) in FT

Und die Notenbanken versuchen, sicherzustellen, dass die Zinsen mit dieser Tatsache im Einklang stehen, erklärt Wolf weiter.

Der Chef-Kommentator der Financial Times aus London sagt m.a.W. nichts anderes, als dass die Negativ-Zinsen nicht auf die Kappe der Notenbanken gehen.

Warum gibt es aber eine Ersparnissschwemme („savings glut“)?

Angesichts eines Leistungsbilanzüberschusses von knapp 9% des BIP muss sich Deutschland fragen, wo die Zinsen im Inland liegen würden, wenn es selbst die gesamten Ersparnisse aufnehmen müsste? 

Leider kann auch der Rest der Welt diese Ersparnisse nicht einfach absorbieren, argumentiert Wolf.


In Deutschland sind alle Sektoren Netto-Sparer, Graph: Heiner Flassbeck

Dienstag, 12. April 2016

Deutschlands Kapitalexporte und Niedrigzinsen

Der Höhenflug der deutschen Bundesanleihen setzt sich fort: Die Umlaufrendite der deutschen Staatsanleihen ist am Montag erstmals auf null Prozent gefallen. Die Laufzeiten bis auf 9 Jahren bieten derzeit eine Negativrendite. Die Staatspapiere mit 10 Jahren Laufzeit werden mit einer Rendite von 0,11% gehandelt.

Da der Einlagensatz der EZB negativ ist, zahlen die Geschäftsbanken, die Geld bei der Notenbank parken, eine Art Gebühr von 0,4%.

Die Anleger sind bereit, für deutsche Staatspapiere eine negative Rendite in Kauf zu nehmen. Minus-Rendite fressen sich aber auch in den Privatsektor:

Berlin Hyp, eine kleine Bank hat im vergangenen Monat eine Anleihe (sog. Pfandbrief, gedeckt durch Immobilien) über 500 Mio. EUR mit einer Negativ-Rendite herausgegeben. Das heisst, dass die Anleger darauf zahlen, statt Zinsen zu bekommen.

Bemerkenswert ist aber, dass Wolfgang Schäuble die EZB beschuldigt, nicht nur für die Niedrigzinsen verantwortlich zu sein, sondern auch am Erstarken der AfD in Deutschland Mitschuld zu tragen.




Rendite der Staatsanleihen mit 2 Jahren Laufzeit im Vergleich: USD vs. EUR, Graph: Morgan Stanley

Montag, 11. April 2016

Spardiktat per Hedge Funds

Negativzinsen beeinträchtigen Konsumausgaben und untergraben das Wirtschaftswachstum. Das sagt Larry Fink, CEO von BlackRock (*) im Jahresbericht an die Aktionäre, wie FT aus London berichtet.

Der Hedge Fund will damit unterstreichen, wie ungünstig die Negativzinsen auf die Spar-Gewohnheiten von Menschen auswirken.

Das ist ohne wenn und aber Spardiktat per Hedge Fund und irgendwie ironisch, dass diejenigen, die sich über zu hohe Steuern für die Reichen und die Unternehmen beklagen, heute Niedrigzinsen verteufeln.

Das Argument lautet so, dass die Unternehmen viel mehr investieren und viel mehr Arbeitsplätze schaffen würden, wenn sie weniger Steuern zahlen würden. Die Fiktion ist natürlich längst gescheitert. Man denke an den Vorschlag, einen "Deutschlandfonds" anzulegen.

Das Tragische ist, dass die Unternehmen auf der Suche nach den niedrigsten Steuersätzen irgendwann auf Panama landen. Und die Aufregung über die Enthüllung von Briefkastenfirmen ist künstlich, wie Heiner Flassbeck in einem lesenswerten Artikel („Panama ist überall“) in taz schreibt.

Sonntag, 10. April 2016

Warum Japan fiskalische Impulse sucht

Der japanische Premierminister Shinzo Abe hat auf dem Treffen International Financial and Economic Analysis am 22. März 2016 Paul Krugman getroffen, um sich u.a. kurz beraten zu lassen, ob die japanische Regierung angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen ein Konjunkturpaket (fiscal stimulus) schnüren soll oder nicht.

Zur Erinnerung: Die BoJ hat im Januar 2016 Negativzinsen auf Giroguthaben der Banken bekanntgegeben. Seither verläuft die Rendite für japanische Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren im Minus-Bereich.

Während die Stimmung in Japans Industrie sich inzwischen deutlich verschlechtert, zögert die Regierung, die zweite Stufe der vor Jahren beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung in die Tat umzusetzen.

Krugmans Antwort ist zusammengefasst wie folgt:

(1) Fiscal Stimulus ist als Unterstützung für die Geldpolitik sehr wichtig, um aus der Deflation herauszukommen. Wie wir bisher gesehen haben, ist es schwierig, die Aufgabe mit der Geldpolitik allein zu lösen.

(2) Die Zinsen sind sehr niedrig. In der Tat sind die Realzinsen in Japan sogar negativ, bis auf die langen Laufzeiten. Es gibt Notwendigkeiten; Ausgaben müssen getätigt werden. Ein Unternehmen mit realen Investitionsvorhaben, sehr niedrigen Kreditkosten gegenübergestellt, würde es heute begrüssen, Ausgaben zu erhöhen. Das gilt auch für Japan.



Rendite der japanischen Staatsanleihen mit 2 und 10 Jahren Laufzeit, Graph: Morgan Stanley

Samstag, 9. April 2016

Goldstandard versus Protektionismus

Der Wahlzirkus um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten bietet u.a. eine Gelegenheit, in Erinnerung zu rufen, was schlimmer ist, Goldstandard (verehrt von Ted Cruz) oder Protektionismus (gefordert von Donald Trump).

Protektionismus macht Volkswirtschaften weniger effizient. In der Regel werden aber dadurch keine Arbeitsplätze vernichtet, schreibt Paul Krugman in seinem Blog in NYTimes.

Denn Importabgaben veranlassen Menschen, weniger von den importierten Waren zu konsumieren. Aber sie geben dafür mehr Geld für andere Waren aus.

Wenn die Welt sich jetzt an Importbeschränkungen wenden würde, würde der Protektionismus daher insgesamt sowohl Exporte als auch Importe verringern. Das Ergebnis wäre in Bezug auf die Ausgaben und die Beschäftigung mehr oder weniger ein Schlag ins Wasser, erläutert der am Graduierten Zentrum der City University of New York (CUNY) forschende Wirtschaftsprofessor.

Zugleich lässt sich festhalten, dass die Great Depression nicht durch den Protektionismus ausgelöst wurde. Der Protektionismus war eine Folge, nicht die Ursache, wie Barry Eichengreen in einer lesenswerten Studie („The Political Economy of the Smoot-Hawley Tariff“) analytisch darlegt.



Freitag, 8. April 2016

Spekulative Nachfrage und Yen-Stärke

Die japanischen Währungshüter versuchen seit geraumer Zeit mit einer ausserordentlich lockeren Geldpolitik, das Wirtschaftswachstum fördern.

Die Implementierung von Negativ-Zinsen wirkt sich i.d.R. ungünstig auf die Währung aus. Doch der Yen legt weiter zu.

Es wäre daher nicht übertrieben, davon zu reden, dass die sog NIRP (negative interest rate policy) nach hinten los zu gehen scheint. Die jüngste Rally der japanischen Landeswährung (JPY) gegenüber dem USD droht aber an der Glaubwürdigkeit der Bank of Japan (BoJ) zu kratzen.

Mit 107.92 per USD hat JPY am Donnerstag sogar ein neues Hoch erklommen.

Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren hat die BoJ massiv JPY verkauft, um die Landeswährung abzuschwächen. Das Ziel war, die Wirtschaft anzukurbeln und Inflationserwartungen steigen zu lassen. Es ist kein Zufall, dass auch die inzwischen viel zitierte Wortschöpfung „currency war“ erstmals damals aufgetaucht ist.

Die gegenwärtige USD-Schwäche ist aber u.a. auf die jüngste umsichtige Haltung der Fed zurückzuführen, mit der Fortsetzung der im Dezember angekündigten Zinserhöhungen in den kommenden Monaten noch eine Weile zu warten.



JPY versus USD (Wechselkursentwicklung seit Jahresbeginn), Graph: FT

Donnerstag, 7. April 2016

Geldpolitik allein zu Hause

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Aber die Weltwirtschaft steckt immer noch in einer Liquiditätsfalle. Dazu kann nicht genug betont werden, dass dies zum ersten Mal seit der Great Depression in den 1930er Jahren geschieht.

Wenn die Zentralbanken die Zinsen senken, beabsichtigen sie damit, die Wirtschaft anzukurbeln. Die Niedrigzinsen sollen die Sparer animieren, die Ausgaben zu erhöhen, und dazu beitragen, dass das Kapital zu riskanteren Anlagen mit höheren Renditen umgeschichtet wird. Die gesunkenen Kreditkosten sollen alles in allem Unternehmen und Konsumenten zu Gute kommen.

Niedrige Realzinsen gehen i.d.R. mit einer Währungsschwäche einher, was das Wirtschaftswachstum fördern soll, durch das Exportgeschäft, das damit wettbewerbsfähiger wird.

Das Ziel ist also, die Wirtschaftssubjekte zu einem reflationären Verhalten zu verhelfen, um das Wirtschaftswachstum zu stimulieren.

Wie funktioniert aber der geldpolitische Transmissionsmechanismus, wenn die Zinsen negativ werden?

Es gibt ein Dilemma: Wenn die Zinsen negativ werden, verringert sich die Umlaufgeschwindigkeit (velocity of money). Das heisst, dass das Geld in der Realwirtschaft nicht richtig ankommt, wie das Beispiel Japan nahelegt.




Die geldpolitischen Massnahmen der EZB seit Juni 2014, Graph: ECB, Annual Report 2015

Mittwoch, 6. April 2016

Nachfrageschwäche, wo das Auge hinreicht

Die Rendite der deutschen Bundesanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist gestern bis auf 0,08% gefallen. Das tangiert einen historischen Tiefstand, der vor rund einem Jahr geknackt wurde.

Überhaupt fallen die Renditen der Staatsanleihen weltweit: Der Global Broad Market Index ist mit 1,3% auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren gesunken.

Wie Bloomberg berichtet, beläuft sich der Ertrag der Bonds seit Jahresbeginn auf 3,6%. Die Aktien hingegen verbuchen einen negativen Ertrag von 1,5% (nach Abzug von Dividenden).

Ein Drittel der Staatsanleihen in den fortentwickelten Volkswirtschaften weist gegenwärtig eine Negativ-Rendite auf.

Ein Zeichen der globalen Disinflation? Es ist schwer, darauf mit nein zu antworten.


Global Broad Market Index (Bank of America), Graph: Bloomberg

Dienstag, 5. April 2016

Eine Zentralbank in der Liquiditätsfalle

Die Bedeutung der Preisstabilität für die makroökonomische Stabilität und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist in modernen Zentralbanken unbestritten. Das gilt natürlich sowohl für zu hohe als auch für zu niedrige Inflation.

Vor diesem Hintergrund unterstreicht Peter Praet in einem gestern in Rom gehaltenen Referat, dass die verlängerte Periode der Niedriginflation die Risiken erhöht hat: Die Unterbietung der Zielinflationsrate könnte persistent werden, warnt der Chefvolkswirt der EZB.

Die Gewährleistung der Preisstabilität für ein nachhaltiges Wachstum reicht aber nicht aus. Andere Vorgehensweisen („other policies“) müssen auch ihre Rolle spielen, sagt das EZB-Direktoriumsmitglied weiter und bekräftigt die Notwendigkeit eines besseren Policy-Mix.

Das hört sich im Grunde genommen wie ein Appel an die Politik, den Einsatz von Fiskalpolitik (wie auch immer gestaltet) ernsthaft in Erwägung zu ziehen, weil die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze (zero lower bound) an Wirksamkeit verliert, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln und dadurch für die Vollbeschäftigung zu sorgen.


Euro-Raum: Inflationserwartungen gemessen an Inflation-Swaps, Graph: Peter Praet, ECB in: „ECB’s fight against low inflation: reasons and consequences“, April 4, 2016, Rome

Montag, 4. April 2016

Depression Economics und Entscheidungsträger

Das ökonomische Umfeld, das die Theorie der Liquiditätsfalle beschreibt, war bereits in den Jahren 1989-1999 vorherrschend. Angesichts des konjunkturellen Einbruchs in Japan und der asiatischen Finanzkrise hat Paul Krugman damals von „depression economics“ geredet:

„Wir sind zurück in eine keynesianische Welt“, so fasste der im der CUNY angegliederten Luxembourg Income Study Center forschende Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften seine Analyse zusammen.

Die Befunde nach dem Standardlehrbuch der Makroökonomie deuteten darauf hin, dass die Austeritätspolitik als Antwort auf die Krise ein kolossaler Fehlschlag wäre. Lockere Geldpolitik würde keine Stagflation auslösen. Expansive Fiskalpolitik würde nicht zum „crowding-out“ führen.

Freitag, 1. April 2016

Austerität, Negativ-Rendite und Null-Wachstum

Marktvolumen von Staatsanleihen mit Negativ-Rendite steigt seit 2014, wie in der von der SNB gestern vorgelegten Abbildung zu sehen ist.

Der gesamte Wert beläuft sich inzwischen auf rund 7'000 Mrd. USD. Das entspricht laut SNB fast 25% des globalen Marktes.

In den meisten Mainstream-Medien werden einem die Ohren vollgejammert, dass die lockere Geldpolitik der Zentralbanken an der Misere schuld sei. 

Es ist aber empirisch nicht belegt, und politisch irreführend, zu behaupten, dass die Zentralbanken allein die Verantwortung für die Negativ-Zinsen tragen. 

Zur Erinnerung: Die unkonventionelle Geldpolitik (u.a. mit quantitative easing) wurde eingesetzt, um die Finanzkrise und die tiefe Inflation zu bekämpfen.



Marktvolumen der Staatsanleihen mit negativer Rendite (*), Graph: Andréa Maechler, SNB, in: „Anlagepolitik in Zeiten hoher Devisenreserven“, March 31, 2016