Sonntag, 24. April 2016

Zweifel an Deutschlands Wirtschaftspolitik für Europa

Der offene politische Vorwurf aus Deutschland gegen die gegenwärtige Geldpolitik der EZB hat in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble beschuldigt Mario Draghi, ohne mit der Wimper zu zucken, die Sparbuch-Zinsen zu stehlen.

Doch wurde in den letzten Tagen auch die Kritik an der von Brüssel und Berlin für die Eurozone verordneten Wirtschaftspolitik lautstark.

Wenn Deutschland den Einsatz von Fiscal Stimulus zulassen würde, würde sich die Wirkungskraft der EZB-Anleihekäufe verbessern und die Effektivität der geldpolitischen Massnahmen, um die Rezession in der Eurozone zu bekämpfen, steigen, schreibt George L. Perry im Brookings Blog.

Seiner Meinung nach gibt es keinen Zweifel daran, dass die Eurozone eine expansive Fiskalpolitik braucht.

Auch Hans-Helmut Kotz beschreibt in diesem Sinne in einem lesenswerten Artikel („Mario Draghi and Germany’s Fiscal Fetish“) in Project Syndicate die Obsessison der „Schwarzen Null“-Politik als kostenträchtig.



Europas Wirtschaftsleistung ist heute immer noch tiefer als sie vor 2008 war, Graph: Morgan Stanley


Die deutsche fiskalpolitische Knauserigkeit zieht negative Ausstrahleffekte (spill-over effects) nach sich. In einer Währungsunion, die per Definition keinen Wechselkurs kennt, um nationale Besonderheiten auszugleichen, werden diese Effekte noch verstärkt, so der an der Harvard University forschende Wirtschaftsprofessor.

Eine deutlich konstruktivere Strategie wäre es, wenn die Regierungen mit durchhaltbaren Haushalten die Spielräume nutzen würden, um die Währungsunion wieder auf Kurs zu bringen. Kotz hebt dabei insbesondere Deutschland hervor.

Die Lohnzurückhaltung in Deutschland ist ein wesentlicher Grund für den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in Südeuropa, bemerkt Andreas Nölke in einem kritischen Beitrag („Long-term causes of the Eurozone crisis“) im OUP Blog.

Da die Mitgliedsländer die Gemeinschaftswährung nicht abwerten können, werden sie zu internal devaluation gezwungen, was in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft das Wachstum beeinträchtigt und die Nachfrage noch mehr drückt.

Eine Lösung wäre laut Nölke ein Jahrzehnt lang überproportionale Lohnerhöhungen in Deutschland, die aber aus Sicht der deutschen Politik und der Unternehmen zutiefst unpopulär ist. Eine Lösung würde auch einen Schuldenerlass einschliessen; die gesamteuropäische Solidarität ist allerdings zu begrenzt für diese Art von Massnahmen, betont Nölke weiter.



OIS; overnight Swap USD vs. EUR, Graph: Morgan Stanley



„Ich sehe schon ein, dass Negativzinsen für viele Menschen psychologisch schwer zu fassen sind“, sagt Ewald Nowotny in einem Interview mit dem Der Standard.

Österreichs Nationalbankchef hat aber kein Verständnis für Schäubles selbstgefällige Bemerkungen über Draghi. Und er bekräftigt mit Nachdruck die Unabhängigkeit der EZB als ein hohes Gut. Der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank redet sogar von einem „ganz einzigartigen Zusammenhang“ mit Bezug auf Schäubles Kritik („Enteignung der Sparer“).

Wenn die Konjunktur anzieht und es der Wirtschaft besser geht und die Inflation höher ist, werden die Zinsen steigen, so Nowotny sachdienlich.

Fazit: Wenn Sie die EZB kritisieren und zugleich Fiscal Stimulus in Deutschland und an der Eurozone-Peripherie ablehnen, dann rutscht die Wirtschaft in eine double dip Rezession, Deflation und Depression, wie Nouriel Roubini in einem aktuellen Interview mit FuW aus Zürich erläutert.




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