Die Anhänger einer restriktiven Geldpolitik, die
gestützt auf die neoklassische Wirtschaftspolitik eine Zinserhöhung fordern,
argumentieren nicht selten so, dass die Zinsen „künstlich“ niedrig gehalten
werden.
Die Zinsen sind aber weder in den USA noch in
Europa künstlich niedrig. Warum? Vitor
Constancio erklärt es in einem aktuellen Referat in Madrid.
Um zu verstehen, warum die Zinsen so niedrig
sind, ist es sinnvoll, das Konzept eines realen Gleichgewichtszinssatzes
(neutral rate) heranzuziehen, sagt der Vize-Präsident der EZB.
Die Bedeutung dieses Konzeptes ist, dass es eine
Art Anker für die Geldpolitik bietet, was impliziert, dass die Geldpolitik dem
realen Gleichgewichtssatz folgen muss, um die Preisstabilität zu gewährleisten.
Der reale Gleichgewichtszinssatz (Schätzung) für
den Euro-Raum, Graph: Vitor Constancio, ECB Vice-President in: „European
Banking Industry: What’s Next?“, July 7, 2016, Madrid
Verschiedene, modellbasierte Anwendung von
Methoden zur Schätzung des neutralen Zinses für den Euro-Raum legt nahe, dass
der reale Gleichgewichtssatz im Vergleich zu der Zeit vor der Krise in den
vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist und den rückläufigen Trend
fortsetzt. Der sog. natürliche Zins liegt heute sogar im negativen Bereich, was
mehr oder weniger auch für die US-Wirtschaft gilt.
Der reale Gleichgewichtszinssatz (Schätzung) für
die US-Wirtschaft, Graph: Vitor Constancio, ECB Vice-President in: „European
Banking Industry: What’s Next?“, July 7, 2016, Madrid
Wenn der reale Gleichgewichtszinssatz sinkt, dann
kann es zu schwerwiegenden Konsequenzen kommen, in Form von zu hohen
Kreditkosten in Bezug auf den Ertrag von Investitionen, wenn es der Zentralbank
nicht gelingt, mit der Geldpolitik dem Abwärtstrend des neutralen Zinses zu
folgen, bemerkt Constancio mit Nachdruck.
Der private Verbrauch würde eingeschränkt und
Unternehmensinvestitionen würden zurückgehalten. Eine Rezession mit deflationären Tendenzen wäre nicht vermeidbar.
Fazit: Es wäre daher eine oberflächliche
und impulsive Erklärung, zu sagen, dass die Zinsen niedrig sind, weil die
Zentralbanken sie niedrig halten. Doch in Wirklichkeit sind die Niedrigzinsen
das Resultat der realwirtschaftlichen Entwicklungen und der globalen Faktoren,
die zum Teil von einer säkularen Natur herrühren und zum Teil auf die
Finanzkrise zurückzuführen sind.
PS:
Der neutrale Zins ist der Zins, zudem die
Wirtschaft in Vollbeschäftigung ist und die Preisstabilität als gewährleistet
gilt.
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