Samstag, 2. Juli 2016

Was sagen die Bond-Märkte heute aus?

Die erste Reaktion der Zentralbanken auf das „überraschende“ EU-Referendum Grossbritanniens war eindeutig: Worte statt Taten.

Daher war auch die Reaktion der Investoren weltweit eindeutig: Flucht in die Sicherheit, d.h. Staatsanleihen, die als sicher, liquid und hochwertig betrachtet werden.

Kein Wunder, dass Bloomberg's Global Sovereign Bonds Index inzwischen Jahresbeginn einen Ertrag von rund 12% erbringt.

Währenddessen sind die Renditen der Benchmark Anleihen Deutschlands die sechste Woche in Folge gefallen. Und die Futures signalisieren mittlerweile eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50%, dass die EZB im September die Zinsen im Euro-Raum weiter senkt. Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit hat vor dem britischen EU-Referendum am 23. Juni 26% betragen.

Den absoluten Rekord an tiefen Renditen bietet aber der schweizerische Anleihemarkt. Am Freitag ist auch die Rendite der sage und schreibe 50-jährigen Staatsanleihen in CHF unter null gefallen: minus 0,044%. Damit liegt die gesamte schweizerische Ertragskurve (yield curve) im negativen Bereich.



Bloomberg Global Developed Sovereign Bond Index, Graph: Bloomberg


Während die durchschnittliche Rendite im Index rund 0,45% beträgt, beläuft sich der Wert der Anleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, auf 9'990 Mrd. USD.


Warum bleibt aber CHF immer noch gefragt? Die Antwort hängt von realen Rendite-Differenzen ab. Da das gesamte Spektrum des Marktes für schweizerische Staatspapiere im negativen Bereich liegt, hat die SNB keinen Spielraum, die nominalen Zinsen weiter zu senken.



Die gesamte Rendite-Kurve der Schweizer Staatsanleihen liegt unter null, Graph: FuW


In einem deflationären Umfeld fallen die Inflationserwartungen der Erfahrung nach schneller als die nominalen Renditen, was die realen Renditen steigen lässt und damit die betreffende Währung attraktiver macht. Auch die allgemeine Unsicherheit, die das britische EU-Referendum ausgelöst hat, stützt derzeit die Nachfrage nach CHF.

Dass das globale Handelsvolumen seit dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 abgenommen hat, ist ein offenes Geheimnis. Was jedoch selten vorkommt, ist, dass die globale Handelsaktivität unter das globale BIP-Wachstum fällt. Das ist zur Zeit der Fall.



Globale Handelsaktivität ist geringer als das globale BIP-Wachstum, Graph: Morgan Stanley

Und ein Hinweis auf die Nachfrageschwäche. 

Die Rendite der deutschen Staatsanleihen beträgt per Freitag minus 0,13%. Das heisst, dass die Investoren dem deutschen Staat darauf zahlen, Staatspapiere auszugeben. Doch lässt Wolfgang Schäuble keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass die „schwarze Null“ steht. Das ist bei allem Respekt nicht schlüssig, während in Deutschland eine Investitionslücke vorherrscht, wie der IWF im aktuellen Deutschland-Bericht unterstreicht.


Die Rendite der deutschen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FastFT


Die folgende Abbildung zeigt den Verlauf der langlaufenden Staatsanleihen aus Kanada (Dez 2045), den USA (Nov 2045), der Schweiz (Jan 2049), Grossbritannien (Jan 2045), Deutschland (Aug 2046) und Japan (Dez 2045) und bringt dadurch zum Ausdruck, dass das deficit spending heute nicht als nachteilig wahrgenommen wird.


Die Performance der langlaufenden Staatsanleihen, Graph: Bloomberg

Die im Chart abgebildete japanische Staatsanleihe bringt einen Ertrag von mehr als 30% seit Jahresbeginn. Der Ertrag der schweizerischen Staatsanleihe beträgt rund 19%.



Schweizer Staatsanleihe mit Laufzeit bis Januar 2049, Graph: UBS

Was die Anleihemärkte heute signalisieren ist, dass die Politik der Haushaltskonsolidierung (fiscal austerity) kontraproduktiv ist, v.a. wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen. Die Volkswirtschaft funktioniert nämlich nicht wie ein privater Haushalt. Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. 



Flucht in die Sicherheit am Beispiel der US-Treasury Bonds, Graph: Bloomberg

Wenn alle gleichzeitig die Ausgaben kürzen, fallen die Einnahmen aller Beteiligten. Die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand verdrängt daher die privaten Investitionen nicht (crowding out), wenn die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt. Ignoriert man diesen Zusammenhang und schnallt die Gürtel enger, schrumpft die Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit steigt.

Thomas Piketty sagt in einem aktuellen Interview mit der Welt, dass Deutschlands Austeritätspolitik die Hauptschuld am Brexit trägt.


Euro-Raum Inflationserwartungen gemessen an 5y5y Break-even Zinssätzen, Graph: Morgan Stanley

Die Negativ-Renditen der als sicher wahrgenommenen Staatsanleihen weltweit sagen, dass die Geldpolitik heute an Zugkraft verloren hat und weitere Zinssenkungen fast nichts mehr bringen. 

Märkte und Staaten sind nicht austauschbar, sondern sie ergänzen sich, erinnert Kevin O’Rourke in seinem Blog zu Recht. Der Staat kann heute zu Hilfe eilen und die Nachfrageseite der Volkswirtschaft stabilisieren. Worauf wartet die Politik noch? Über 21 Millionen Männer und Frauen sind im Euro-Raum arbeitslos.



Die Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit im Vergleich, Graph: Bloomberg








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