Freitag, 1. Juli 2016

Wirtschaft im posttraumatischen Stress

Der Wert der Staatspapiere, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, ist in den letzten 4 Wochen um mehr als 1'000 Mrd. USD auf 11'700 Mrd. USD gestiegen.

Das ist phänomenal, weil es als eines der bemerkenswerten Merkmale („ripple effect“) auf dem Markt nach dem britischen EU-Referendum (das sog. „Leave“) gilt: Der Wandel des Zinsausblicks.

Die Rendite der japanischen Staatsanleihen (JGB) hat gestern mit minus 0,245% einen neuen rekordtiefen Wert verzeichnet. Die fünfjährige Anleihe wirft eine Rendite von minus 0,178% ab. Zum ersten Mal in der japanischen Geschichte notieren alle Staatspapiere unter 0,1 Prozent.

Die Future-Märkte signalisieren, dass die Händler nun keine Straffung der Geldpolitik demnächst durch die grössten Zentralbanken (v.a. der Fed) erwarten. In einer globalisierten Welt erfordert die Gestaltung der Geldpolitik einen Blick auf das Ausland.

In der Tat hat Mark Carney, Gouverneur der Bank of England (BoE) gestern eine Lockerung der Geldpolitik als Reaktion auf die Brexit-Entscheidung des Volkes in Aussicht gestellt und zugleich auch den internationalen Zusammenhang in dieser Hinsicht kurz angesprochen („post-traumatic stress“).

Vor drei Tagen hat auch Mario Draghi, EZB-Präsident in einem langen Referat die Wichtigkeit der „internationalen Dimension der Geldpolitik“ hervorgehoben und die „Interaktion der Geldpolitik mit anderen wirtschaftspolitischen Massnahmen“, wie z.B. der Fiskalpolitik und strukturellen Massnahmen unterstrichen.



Bloomberg Financial Condition Index, Graph: Bloomberg



Die Frage ist, warum die Geldpolitik immer noch als die einzige Möglichkeit im Spiel betrachtet wird? Dass die Geldpolitik an Wirksamkeit verliert, wenn die nominalen Zinsen nahe Null Prozent liegen, pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Doch die Politik hüllt sich in Schweigen.



Der Wert der Staatsanleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, ist in den letzten Tagen um 1'000 Mrd. USD auf 11'700 Mrd. USD geklettert, Graph: FT


Vor diesem Hintergrund ist die Neigung der Ertragskurve (yield curve) heute nicht gerade ermutigend. Die Botschaft ist eindeutig: Die Zentralbanken können die Zinsen nicht weiter senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Und die Inflation ist zu niedrig. Alle inflationsindexierten deutschen Bundeswertpapiere bis zu 30 Jahren Laufzeit verbuchen eine Negativ-Rendite.



Die Rendite der japanischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FastFT


Sogar die Laufzeitprämie (term premium) ist negativ. Das heisst, dass die Investoren keine Extra-Entschädigung anfordern, um langfristige Wertpapiere zu kaufen.



Goldman Sachs Financial Condition Index, Graph: FT @ftvideo


Es war die Fed, die im vergangenen Sommer nach wilden Kursabstürzen und starken Abwertungen in Asien zu Hilfe geeilt hat. Da nun auch die fortentwickelten Volkswirtschaften in Schwierigkeiten stecken, ist zu erwarten, dass die US-Notenbank nicht abgeneigt wäre, erneut zu helfen.


Die Staatsanleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, nach Laufzeiten aufgelistet, Graph: Morgan Stanley

Damals wurden Erinnerungen an die Asien-Krise von 1997 wach. Heute liegt es nahe, angesichts der anhaltenden Nachfrageschwäche, der hohen Arbeitslosigkeit und einer weniger wirksamen Geldpolitik eine weltweite Depression zu unterbinden.




Die Zinsmärkte implizieren nach dem britischen EU-Referendum eine Lockerung der amerikanischen Geldpolitik in naher Zukunft, Graph: Morgan Stanley


PS:

Die Rendite der US-Treasury Bonds mit 30 Jahren Laufzeit ist heute laut BloombergTV auf einen rekordtiefen Wert von 2,2183% gefallen.



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