Mittwoch, 30. Mai 2012

Warum die Austerität-Debatte wichtig ist


Junge, Junge! Es tut weh, zu lesen, dass Dirk Elsner in seinem ausgezeichneten Blog schreibt, dass die Austerität-Debatte ihn wirklich nervt. Wie kann man aber im Angesicht der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit weltweit (d.h. auch im Euroland) davon reden, dabei müde zu werden?

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Spanien und Italien inzwischen über 50% gestiegen. Auch in anderen EU-Ländern finden junge Menschen kaum eine Beschäftigung.

Es ist augenfällig, dass das Krisenmanagement und die pro-zyklische Wirtschaftspolitik der Verfechter der Austeritätspolitik in der Euro-Zone an empirischen Befunden gescheitert sind. Spanien hat aufgrund des von Brüssel aufgenötigten rigorosen Sparkurses das Budget für Bildung, Kultur und Sport um 21% gesenkt. Die Jugend in Europa geht vor die Hunde.

Ist es aber möglich, durch die Senkung der Staatsausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln? Ja. In der Tat gibt es zwei Wege, wie Paul Krugman in seinem neuen BuchEnd This Depression Now!“ darlegt, wodurch Ausgabenkürzungen grundsätzlich zu einem Anstieg der Nachfrage führen können: (1) durch die Senkung der Zinsen, und (2) dadurch, dass die Wirtschaftssubjekte veranlasst werden, in Zukunft mit tieferen Steuern zu rechnen.

Wie sieht der Weg via Zinsen aus? Eine Regierung, die sich bemüht, das Haushaltsdefizit zu kürzen, kann die Investoren beeindrucken, ihre Erwartungen in Bezug auf die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand in Zukunft nach unten zu korrigieren und damit auch ihre Erwartungen in Bezug auf den Verlauf der Zinssätze anzupassen.


Stimulus versus Austerity, Graph: Prof. Paul Krugman

Weil die gegenwärtigen langfristigen Zinsen die Erwartungen in Bezug auf die Zinsen in Zukunft widerspiegeln, kann die Erwartung, dass der Staat in Zukunft weniger Schulden aufnehmen wird, zu niedrigen Zinsen in der Gegenwart führen.

Die Sparmassnahmen könnten aber auch die Verbraucher beeindrucken. Die Bemühungen des Staates, die Schulden zu reduzieren, kann die Konsumenten veranlassen, mit niedrigeren Steuern in Zukunft zu rechnen als sonst. Der Glaube an eine geringere Besteuerung in Zukunft würde dafür sorgen, dass die Konsumenten sich heute reicher fühlen und deswegen ihre Ausgaben erhöhen.

Würden aber die vorteilhaften Auswirkungen durch die beiden Wege (Zinsen und Steuern) die direkten depressiven Auswirkungen der Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand in der Gegenwart ausgleichen, vor allem unter den Umständen, die seit der Pleite von Lehman Brothers vorherrschen?

Es fällt schwer, daran zu glauben. Denn es gibt so was wie expansive Sparpolitik (expansionary austerity) nicht. Die von den Anhängern der Sparpolitik (fiscal austerity) hervorgehobenen Effekte, die sich auf Vertrauen beziehen, existieren einfach nicht. Zumal die Zinsen heute bereits auf der Nullgrenze liegen, und daher nicht weiter gesenkt werden können. Und Hand aufs Herz, wer würde heute schon die Ausgaben im laufenden Jahr gestützt auf Schätzungen in Bezug auf die fiskalische Situation von heute und die sich daraus ergebenden Steuersätze in den nächsten fünf oder zehn Jahren gestalten wollen? Die Verfechter der Austeritätspolitik berufen sich aber auf die Vertrauen Fee (confidence fairy).

Was auch nicht in Vergessenheit geraten darf, ist die Tatsache, dass eine Regierung jedes Jahr Schulden in Höhe von 2% des BIP machen kann. Wenn die Wirtschaft nominal um 4% wächst, bleibt die Schuldenquote bei 50%. Wenn die Wirtschaft also schneller wächst als die Schulden, geht die Schuldenquote zurück.

Hinter der Debatte („stimulus versus austerity“) steckt in Grunde genommen das Dogma der neoliberalen Schule „Staat ist Problem, Markt ist Lösung“. Das Sparen eines privaten Haushaltes ist aber nicht wie das Sparen einer Volkswirtschaft. Eine Familie kann einfach weniger Geld ausgeben, wenn sie mit dem Budget nicht mehr zurechtkommt. Das klappt, weil die Einnahmen der Familie konstant bleiben. Die Einnahmen gehen nicht zurück, wenn die Familie spart. Wenn aber die öffentliche Hand stark spart, dann stürzt die Konjunktur ab, da das Einkommen des Staates nicht gegeben sind. Wenn die gesamte Volkswirtschaft spart, dann fallen die Steuereinnahmen weg.

Das ist der Unterschied zwischen der einzelwirtschaftlichen (micro) und der gesamtwirtschaftlichen (macro) Logik. Kollektives Sparen (bei den privaten Haushalten, den Unternehmen und auch beim Staat) führt laut Peter Bofinger dazu, dass die Einnahmen zurückgehen.

Die Unternehmen denken einzelwirtschaftlich. Das ist in Ordnung. Aber das ist auch ein Grund, warum es den Staat braucht, wie Heiner Flassbeck zum Ausdruck bringt. Das einzelwirtschaftliche Denken ist für die Gesamtheit falsch. Darum braucht es Korrekturen und Regulierung.

Jens Berger bezeichnet in seinem lesenswerten BuchStresstest Deutschland“ die schwäbische Hausfrau als "Kardinalfehler des deutschen Denkens“.

Keynes sagt, dass der Aufschwung, nicht der Abschwung der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen ist. Die Austeritätspolitik hat bisher einen enormen Schaden bei den Menschen angerichtet. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist zwar nicht so schlimm wie die Grosse Depression, aber schlimm genug. Wir wissen heute, dass die staatlichen Investitionen die Krise der 1930er Jahre beendet haben. Wir verfügen heute über die Erkenntnisse und die Instrumente, dem menschlichen Elend ein Ende zu setzen. „Stimulus versus Austerity“ bedeutet irgendwie auch „ökonomische Beweise versus politische Vorurteile“.


PS:

Dirk Elsner erbringt mit seinem Blog Blick Log eine grossartige Leistung. Vor allem ist die Mindmap deutscher Wirtschaftsblogs (236) ist eine erstklassige Arbeit, die für die Verlinkung von zahlreichen deutschsprachingen Blogs sorgt.

Die comdirect bank hat kürzlich in Berlin den finanzblog award 2012 verliehen. Der erste Preis ging an „Blick Log“. Autor Dirk Elsner erklärt komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge so kompenent und prägnant, wie es in Deutschland kaum eine Grossredaktion schafft, lautet die Begründung der Jury.

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