Dienstag, 22. Mai 2012

Abwertung in der Eurozone


Brauchen die Volkswirtschaften am Rande der Euro-Zone eine reale Abwertung oder nicht? Wolfgang Münchau und Richard Portes vertreten die Ansicht, dass eine grosse Abwertung für Spanien und andere periphere Länder nicht nötig sei, weder internal noch auf eine andere Weise.

Die Verwerfungen in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten der Eurozone sind zwar wichtig, aber kurzfristig zu ignorieren, schreibt Münchau in einem Artikel („The only way to stop a eurozone bank run“) in FT.

Die Lücke in Wettbewerbsfähigkeit (siehe dazu mehr hier) sei nicht so gross, wie manche Schätzungen nahelegen, so Münchau. Deutschland habe der Eurozone mit einem bereits überbewerten Wechselkurs beigetreten, was das Ausmass der nachträglichen Anpassung Deutschlands im Vergleich mit anderen Länder überzeichne.

Paul Krugman bemerkt dazu in seinem Blog, dass er die Ansicht nicht teile.

Wie lauten aber die Gegenargumente? PS: Bemerkenswert ist, dass Krugman Wolfgang Münchaus Artikeln in FT sonst i.d.R. zustimmt.

(1) Die Divergenz zwischen Spanien und dem Durchschnitt des Euroraums ist nicht mal annähernd so gross wie die Divergenz zwischen Spanien und Deutschland. Aber der Euro-Durchschnitt umfasst Spanien und andere GIPSI, welche insgesamt rund 1/3 des BIP der Eurozone ausmachen, sodass der Spanien-Euroraum-Unterschied die tatsächlich erforderliche Anpassung herunterspielt.


BIP-Deflator in der Eurozone, Graph: Prof. Paul Krugman
Auch die Abbildung Lohnstückkosten in der Eurozone sieht sehr ähnlich aus

(2) Münchau argumentiert, dass der Wechselkurs, als Deutschland der Eurozone beitrat, überbewertet war. Deutschland hatte aber damals eine relativ ausgeglichene Leistungsbilanz. Daher ist es laut Krugman schwer, zu behaupten, dass es sich dabei um eine wirklich grosse Überbewertung gehandelt hat.

(3) Die Ungleichgewichte in Bezug auf die Leistungsbilanzen haben sich seit dem Höchststand am Vorabend der Krise wieder etwas verengt. Aber dies reflektiert im Wesentlichen eher den depressiven Zustand der peripheren Volkswirtschaften, als irgendeine wesentliche Verbesserung in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit.

(4) Schliesslich sind die Messwerte von Wettbewerbsfähigkeit sehr unvollkommen. Andere Daten erzählen jedoch auch keine andere Geschichte, sodass die von Krugman oben präsentierte Abbildung die Gültigkeit bewährt.

Fazit: Die Debatte steht im Schatten der „Doctrine of Immaculate Transfer“. Wir wissen, dass die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen erst nach der Schaffung der Gemeinschaftswährung gebildet haben, und zwar mit dem Kapitalzufluss aus dem Kern in die Peripherie der Eurozone. Um diese Ungleichgewichte rückgängig zu machen, bedarf es einer grossen realen Abwertung. Und die Abwertung hat gerade erst begonnen.


(nur für Streber)

Krugman betont mit der doctrin of immaculate transfer einen Denkfehler in der Makroökonomie. John Williamson hat ursprünglich die Doktrin so beschrieben, dass demnach alles mit Ausgaben zu tun hat, und die Wechselkurs-Politik dabei keine Rolle spiele. Wenn z.B. das Land A anfangen würde, zu sparen (*), und das Land B weniger sparen, also etwas mehr ausgeben würde, würden die dazu zugrundeliegenden Ungleichgewichte abnehmen oder verschwinden. So lautet der Trugschluss.

Wenn z.B. die US-Verbraucher ihre Ausgaben um 400 Mrd. $ kürzen, würden dadurch sagen wir 75% der Ausgaben für die in den USA hergestellten Güter und Dienstleistungen reduziert. Die Nachfrage nach US-Produktion würde damit um 300 Mrd. $ zurückgehen. Und wenn die chinesischen Verbraucher gleichzeitig weniger sparen, d.h. ihre Ausgaben etwas steigern, würde ein Teil davon, sagen wir um 15%, auf die US-Güter entfallen. Das bedeutet, dass die Ausgaben für US-Güter und Dienstleistungen am Schluss netto um 240 Mrd. $ fallen würden. Entsprechend würde die Nachfrage nach chinesischen Waren und Dienstleistungen steigen.

Wenn es das Ende der Geschichte ist, würde eine Verlagerung der Ausgaben zu einer schlechteren Wirtschaftslage in Amerika führen, wobei gleichzeitig in China ein inflationärer Druck entstehen würde. Um es zurecht zu biegen, müssten amerikanische und chinesische Verbraucher einen Teil ihrer Ausgaben irgendwie „verschieben“, und zwar in Richtung amerikanische Güter. Ein Anstieg des Dollar-Wertes der chinesischen Landeswährung, was chinesische Güter relativ verteuern würde, dürfte z.B. dafür sorgen. Das heisst, dass die Umverteilung der weltweiten Ausgaben und der Wechselkursanpassung ergänzend (complement) sind, nicht ersetzend (substitute), hält Krugman fest.

Worauf es ankommt, ist der relative Preis von chinesischen und amerikanischen Gütern, sodass es einen anderen Weg gibt, dorthin zu gelangen: Inflation in China und Deflation in Amerika. Das ist aber für beide Seiten unangemessen.

Was noch schlimmer wäre, wenn China versuchen würde, die Inflation via Zinserhöhungen zu bekämpfen, während Amerika die Zinsen nicht mehr senken kann, weil sie bereits auf der Null Grenze sind. Das Ergebnis wäre für die ganze Welt kontraktiv. Jede Ähnlichkeit dieses Fallbeispiels mit Bezug auf die gegenwärtige Situation in der Eurozone ist daher verblüffend.

(*): Ersparnisse sind nicht gegeben. Sie hängen vom Niveau des BIP ab, welches wiederum durch die Handelsbilanz beeinflusst wird.

Es gibt Ökonomen, die die Ansicht vertreten, dass eine Aufwertung der chinesischen Landeswährung die US-Handelsbilanz nicht verbessern würde, weil die US-Ersparnisse fest seien. Das ist falsch, weil, wenn die USA mehr ausführen und weniger einführen würden (bei einem gegebenen Niveau von BIP), das BIP zulegen und damit auch die Ersparnisse steigen würden, weil der private Sektor über mehr Einkommen verfügen würde. Warum? Weil dadurch sich das Handelsbilanzdefizit verringern würde.


(S-I = X-M) Gleichung, Graph: Prof. Paul Krugman

Das Argument, dass die Wechselkurse in Bezug auf die internationalen Ungleichgewichte keine Rolle spielen, und das Handelsbilanzdefizit eine Differenz zwischen Investitionen und Ersparnissen darstellt, ist daher schlicht falsch.

In der Gleichung (S-I = X –M) hängen die beiden Seiten vom Niveau des BIP ab. Das heisst, dass ein höheres BIP mehr Einfuhren und mehr Ersparnisse bedeutet. Eine US-Dollar-Abwertung (oder eine Renminbi-Aufwertung) schiebt die (X-M)-Kurve nach rechts oben, was sowohl die Handelsbilanz als auch das BIP verbessert.

Da die Preise nach unten starr (sticky) sind, ist der einfachte Weg, um dorthin zu gelangen, um die internationalen Ungleichgewichte abzubauen, ein niedrigerer Preis für die Produktion. Das heisst Währungsabwertung.

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