Montag, 28. Mai 2012

Euro-Krise und sozialer Abstand


Grexit ist die Abkürzung dafür, dass Griechenland Zahlungsunfähigkeit (default) erklärt und die Währungsunion verlässt.

Das ist aber nicht ein Ergebnis, das jemand will. Auch wenn die Abwertung der Währung helfen würde, Griechenlands Ausfuhren anzukurbeln und Tourismus zu beflügeln, käme es zu schrecklichen Kosten, was Wohlstand zerstören und dem BIP des Landes ernsthaft schaden würde. Das Ganze wäre auch für den Rest des Kontinents kostspielig.

Der Preis, die Griechen loszuwerden, ist also sehr hoch und teurer als das Land im Euro zu belassen. Vernunft legt nahe, dass diese Pattsituation mit einem Kompromiss enden müsste: Lockerung der drakonischen Sparmassnahmen. Der Haken ist aber, dass Europa nicht darüber streitet, was die vernünftigste Wirtschaftspolitik ist, sondern was fair ist, hebt James Surowiecki in einem lesenswerten Essay („The Fairness Trap“) in The New Yorker hervor.

Deutsche Wähler und Politiker denken, dass es unfair ist, Deutschland darum zu bitten, die Rechnungen für die Länder, die über ihre Verhältnisse leben, zu begleichen. Es ist unfair, zu erwarten, dass Deutschland eine unbefristete Verpflichtung für die Länder in Abwesenheit von sinnvollen Reformen eingeht.

Aber auch griechische Wähler sind sicher, dass es unfair ist, von ihnen zu erwarten, dass sie angesichts eines knappen Haushalts mehrere Jahre unter Massenarbeitslosigkeit leiden, um ausländische Banken und reiche nördlichen Nachbarn zu bezahlen, die bisher übergrosse Vorteile aus der europäischen Integration gezogen haben. Die Beschwerden sind nicht unvernünftig, unterstreicht Surowiecki. Aber der Fokus auf Fairness erschwert es, überhaupt eine Einigung zu erreichen, was sich am Ende als verheerend erweisen könnte.

Das Grundproblem ist, dass wir uns zu sehr um Fairness kümmern, sodass wir oft bereit sind, wirtschaftliches Wohlergehen dafür zu opfern, um Fairness durchzusetzen, erläutert Surowiecki. Behavioral Ökonomen zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen bereit sind, echtes Geld zu zahlen, um Menschen, die aus einem gemeinsamen Topf nehmen, ohne dazu eigens beizutragen, zu bestrafen. Wir sind also bereit, uns ärmer zu machen, um nur sicherzustellen, dass Drückeberger bekommen, was sie verdienen.

Selbst wenn es eine Lösung gibt, die alle besser stellen würde, kann die Fixierung auf Fairness eine Einigung verunmöglichen.

Das Fairness-Problem wird durch die Tatsache erschwert, dass unsere Definition davon, was Fairness ist, i.d.R. das widerspiegelt, was die Ökonomen Linda Babcock und George Loewenstein als „self-serving bias“ nennen.

Der griechische Groll über die Sparmassnahmen dürfte laut Surowiecki durch die Anerkennung gedämpft werden, wie viel Deutschland bereits bezahlt hat und wie viel Schaden durch zügellose Steuerhinterziehung der griechischen Bürger angerichtet worden ist.

Oder die Deutschen dürften anerkennen, dass ihre Hingabe für eine niedrige Inflation es für die Volkswirtschaft wie die von Griechenland sehr schwer macht, sich wieder zu erholen.

Stattdessen veranlasst der „self-serving bias“ uns dazu, Fairness so zu definieren, dass es uns zum Vorteil gereicht und die Informationen, die mit unseren Perfektiven in Konflikt geraten könnten, zu ignonieren.

Dieser Effekt ist laut Surowiecki sogar noch ausgeprägter, wenn die Feilscher sich nicht als Teil derselben Gemeinschaft fühlen, was die Psychologen als „soziale Distanz“ nennen. Die durchdringende Rhetorik, die den Konflikt in Bezug auf nationale Stereotypen (fleissige Deutsche vs. korrupte Griechen) umrahmt, macht es umso schwieriger, einen vernünftigen Kompromiss zu erreichen.

Aus Sicht der Gesellschaft als Ganzes hat das Anliegen um Fairness allerlei Vorteile: es schränkt Ausbeutung ein, fördert die Leistungsgesellschaft und motiviert die Mitarbeiter. Aber in einer Verhandlung, wo keine der beiden Seiten nicht das haben kann, was sie will, und wo die am wenigsten schlechte Lösung so gut ist wie es nicht besser geht, kann das Grübeln über Fairness selbstmörderisch sein, fasst der Autor zusammen.

Die Wähler und Politiker sind daher gehalten, damit aufzuhören, sich zu fragen, was fair ist, sondern damit zu beginnen, zu fragen, was möglich ist, um Europa zu retten.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Grundlegendes, aber unterschätztes Problem der Eurokrise ist Moral Hazard, das viel tiefer reicht als nur "Fairness", siehe zur Diskussion http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_literatur_moralhazard.html