Dienstag, 29. Mai 2012

Austerian‘s Apocalypse: Euroland


Paul Krugman hält heute an der London School of Economics (LSE) im Peacock Theatre ein Referat über die Great Recession.

Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) stellt zugleich auch sein neues BuchEnd This Depression Now!“ vor. Das ausgezeichnete Werk ist eine Pflichtlektüre für alle, die die Austeritätsdebatte („deficit spending vs. expansionary austerity“) aus makroökonomischer Sicht besser verstehen wollen.

Legt man das gute alte IS-LM-Modell zugrunde, erkennt man die wahren Ursachen der Krise besser. Und man kann dementsprechend auch Lösungswege ausarbeiten.

Die Verfechter der Austeritätspolitik behaupten, dass die Staatsausgaben weder Nachfrage ankurbeln noch Arbeitsplätze schaffen können. Der Standpunkt beruht darauf, dass es immer crowding-out gibt. Das heisst, dass privatwirtschaftliche Investitionen durch das staatliche Handeln zu 100% verdrängt würden.

Es stimmt aber nicht. Gäbe es immer crowding-out, müsste es auch immer crowding-in geben. Das heisst, dass die Kürzung der Staatsausgaben als Ausgleich zu einem Anstieg der privaten Ausgaben führen müsste. Das ist aber nicht der Fall, wie der Verlauf der aktuellen Krise v.a. im Euroland zeigt. Die rigorose Sparpolitik der EU, die auf Wachstum und Beschäftigung lastet, vertieft den Abschwung, wie am zunehmenden menschlichen Leid besonders am Rand der Eurozone zu beobachten ist.

Der crowding out-Effekt kann theoretisch nicht ausgeschlossen werden, wenn die Wirtschaft sich in der Nähe von Vollbeschäftigung befindet. Wenn die Volkswirtschaft aber in einer Liquiditätsfalle steckt, d.h. die Zinsen auf der Nullgrenze liegen, stellt die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand keine Konkurrenz für die privaten Schuldner dar.


Langzeitarbeitslosigkeit, Graph: Prof. Paul Krugman in: LSE-Referat, May 29, 2012

Arbeitslosigkeit ist nicht strukturell, sondern konjunkturell, hebt Krugman ferner hervor. Arbeitsplätze sind in allen Bereichen der Wirtschaft abgebaut worden, in fast jedem Beruf, wo wie es in den 1930er Jahren passiert ist. Die Protagonisten, die das Argument von der strukturellen Arbeitslosigkeit vortragen, behaupten, dass es viele Arbeitnehmer gibt, die über falsche berufliche Fertigkeiten (mismatch) verfügen und im falschen Sektor angesiedelt sind. Es trifft aber nicht zu. Wenn dem so wäre, müssten die Arbeitnehmer mit richtigen beruflichen Fertigkeiten und im richtigen Sektor Lohnerhöhungen erfahren. In Wirklichkeit gibt es aber kaum Gewinner unter Arbeitskräften. Die Wirtschaft erleidet keinen Strukturwandel, sondern sie ist mit einem Mangel der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage konfrontiert. Darauf zu bestehen, dass die Probleme strukturell sind, ist ein Vorwand, nichts dagegen zu unternehmen, um die Not der Arbeitslosen zu lindern.



Liquiditätsfalle, Graph: Prof. Paul Krugman in: LSE-Referat, May 29, 2012
Geldmenge (steigt) vs. Inflation (steigt nicht)

Warum gibt es aber in den USA trotz eines depressiven Umfelds der Wirtschaft keine Deflation? Weil die Löhne nach unten starr sind. Während einige Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen Lohnerhöhungen bekommen, gibt es wenige Arbeitskräfte, die fallenden Löhnen gegenübersehen. Ein allgemeiner Rückgang der Löhne würde das Problem der Debt Deflation verschlimmert. Es betrifft aber die USA nicht, sondern die Euro-Zone, v.a. die Peripherie.

Das heisst: Keynes hatte recht.

Es gibt ferner keine Vertrauen Fee (confidence fairy). Sparmassnahmen erhöhen das Vertrauen nicht.

Krugman unterstreicht, dass die Verschuldungssituation nicht gut ist. Aber es war voraussehbar, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand steigen würde. Die Krise ging vom Privatsektor aus und die Regierungen in den Industrieländern haben dringend Massnahmen treffen müssen, um die Banken zu retten. Und wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zum Erliegen kommt, auch die Staatseinnahmen zurückgehen, zumal aufgrund der anhaltenden Arbeitslosigkeit die Sozialausgaben zunehmen. Die Schuldenquote ist mathematisch gesehen ein Bruch: Schulden dividiert durch BIP. Wenn die Wirtschaftsleistung in Folge der Krise abnimmt, steigt die Schuldenquote automatisch. Der Anstieg der Schulden stellt derzeit kein grosses Problem dar, weil das Problem durch zukünftiges Wachstum gelöst werden kann.

Krugman macht ferner auch auf die Gefahr von Hysteresis Effect (mehr dazu hier und hier) aufmerksam. In einer depressiven Wirtschaft, wo die Investitionen zurückgehalten werden, der Kapitalstock schleppend bleibt und die Langzeitarbeitslosigkeit sich ausweitet, besteht das Risiko, dass das Leistungsvermögen einer Volkswirtschaft (potential output) durch die anhaltende, tiefe Rezession weitgehend beeinträchtigt wird.

Fazit: Die wahren Ursachen der Krise können nicht erkannt werden, wenn das Augenmerk nach Risiken an falschen Orten gerichtet wird. 

Die Indizien dafür sind (1) die Besessenheit für Bond Vigilantes (mehr dazu hier) und Vertrauen Fee und (2) das Ignorieren von Verlusten in Bezug auf die Produktion und Beschäftigung und die lang-anhaltenden Schäden für das Potenzialwachstum der Wirtschaft.

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