Paul Krugman hält heute an der London School of Economics (LSE) im Peacock Theatre ein
Referat über die Great Recession.
Der
Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) stellt zugleich auch sein neues Buch „End This Depression Now!“ vor. Das ausgezeichnete Werk ist eine Pflichtlektüre
für alle, die die Austeritätsdebatte („deficit
spending vs. expansionary austerity“)
aus makroökonomischer Sicht besser verstehen wollen.
Legt
man das gute alte IS-LM-Modell zugrunde, erkennt
man die wahren Ursachen der Krise besser. Und man kann dementsprechend auch
Lösungswege ausarbeiten.
Die
Verfechter der Austeritätspolitik behaupten, dass die Staatsausgaben weder
Nachfrage ankurbeln noch Arbeitsplätze schaffen können. Der Standpunkt beruht
darauf, dass es immer crowding-out
gibt. Das heisst, dass privatwirtschaftliche Investitionen durch das staatliche
Handeln zu 100% verdrängt würden.
Es
stimmt aber nicht. Gäbe es immer crowding-out,
müsste es auch immer crowding-in geben. Das heisst, dass die Kürzung
der Staatsausgaben als Ausgleich zu einem Anstieg der privaten Ausgaben führen müsste.
Das ist aber nicht der Fall, wie der Verlauf der aktuellen Krise v.a. im
Euroland zeigt. Die rigorose Sparpolitik der EU, die auf Wachstum und
Beschäftigung lastet, vertieft den Abschwung, wie am zunehmenden menschlichen
Leid besonders am Rand der Eurozone zu beobachten ist.
Der
crowding out-Effekt kann theoretisch
nicht ausgeschlossen werden, wenn die Wirtschaft sich in der Nähe von
Vollbeschäftigung befindet. Wenn die Volkswirtschaft aber in einer Liquiditätsfalle steckt, d.h. die Zinsen
auf der Nullgrenze liegen, stellt die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand
keine Konkurrenz für die privaten Schuldner dar.
Langzeitarbeitslosigkeit,
Graph: Prof. Paul Krugman in: LSE-Referat,
May 29, 2012
Arbeitslosigkeit
ist nicht strukturell, sondern konjunkturell, hebt Krugman
ferner hervor. Arbeitsplätze sind in allen Bereichen der Wirtschaft abgebaut
worden, in fast jedem Beruf, wo wie es in den 1930er Jahren passiert ist. Die Protagonisten,
die das Argument von der strukturellen Arbeitslosigkeit vortragen, behaupten, dass
es viele Arbeitnehmer gibt, die über falsche berufliche Fertigkeiten (mismatch) verfügen und im falschen Sektor
angesiedelt sind. Es trifft aber nicht zu. Wenn dem so wäre, müssten die
Arbeitnehmer mit richtigen beruflichen Fertigkeiten und im richtigen Sektor
Lohnerhöhungen erfahren. In Wirklichkeit gibt es aber kaum Gewinner unter
Arbeitskräften. Die Wirtschaft erleidet keinen Strukturwandel, sondern
sie ist mit einem Mangel der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage konfrontiert. Darauf
zu bestehen, dass die Probleme strukturell sind, ist ein
Vorwand, nichts dagegen zu unternehmen, um die Not der Arbeitslosen zu lindern.
Liquiditätsfalle,
Graph: Prof. Paul Krugman in: LSE-Referat,
May 29, 2012
Geldmenge (steigt) vs. Inflation (steigt nicht)
Warum
gibt es aber in den USA trotz eines depressiven Umfelds der Wirtschaft keine Deflation? Weil die Löhne nach unten starr sind. Während
einige Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen Lohnerhöhungen bekommen, gibt es
wenige Arbeitskräfte, die fallenden Löhnen gegenübersehen. Ein allgemeiner
Rückgang der Löhne würde das Problem der Debt Deflation verschlimmert. Es
betrifft aber die USA nicht, sondern die Euro-Zone, v.a. die Peripherie.
Das
heisst: Keynes hatte recht.
Es
gibt ferner keine Vertrauen Fee (confidence fairy). Sparmassnahmen erhöhen
das Vertrauen nicht.
Krugman
unterstreicht, dass die Verschuldungssituation nicht gut ist. Aber es war
voraussehbar, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand steigen würde. Die
Krise ging vom Privatsektor aus und die Regierungen in den Industrieländern
haben dringend Massnahmen treffen müssen, um die Banken zu retten. Und wenn die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage zum Erliegen kommt, auch die Staatseinnahmen
zurückgehen, zumal aufgrund der anhaltenden Arbeitslosigkeit die Sozialausgaben
zunehmen. Die Schuldenquote ist mathematisch gesehen ein Bruch: Schulden
dividiert durch BIP. Wenn die Wirtschaftsleistung in Folge der Krise abnimmt,
steigt die Schuldenquote automatisch. Der Anstieg der Schulden stellt derzeit
kein grosses Problem dar, weil das Problem durch zukünftiges Wachstum gelöst
werden kann.
Krugman
macht ferner auch auf die Gefahr von Hysteresis
Effect (mehr dazu hier und hier) aufmerksam. In einer
depressiven Wirtschaft, wo die Investitionen zurückgehalten werden, der
Kapitalstock schleppend bleibt und die Langzeitarbeitslosigkeit sich ausweitet,
besteht das Risiko, dass das Leistungsvermögen einer Volkswirtschaft (potential output) durch die anhaltende,
tiefe Rezession weitgehend beeinträchtigt wird.
Fazit: Die wahren Ursachen der Krise
können nicht erkannt werden, wenn das Augenmerk nach Risiken an falschen Orten
gerichtet wird.
Die Indizien dafür sind (1)
die Besessenheit für Bond Vigilantes (mehr dazu hier) und Vertrauen Fee und (2) das
Ignorieren von Verlusten in Bezug auf die Produktion und Beschäftigung und die lang-anhaltenden
Schäden für das Potenzialwachstum der Wirtschaft.
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