Angesichts der Tatsache, dass auch die Studenten in Deutschland die Volkswirtschaftslehre mit den gleichen Standardbüchern wie in anderen Ländern lernen, fragt sich, wie das deutsche Beharren auf Strukturreformen als die Lösung für fast alle Probleme in der Eurozone mit der quasi-religiösen Fixierung auf die „Schwarze Null“-Politik (d.h. einen ausgeglichenen Haushalt), selbst in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft, vernünftig zu erklären ist.
Peter Bofinger nimmt dazu in einem
lesenswerten Artikel („Here is one export
Germany should not be making“) in FT Stellung. Dahinter liegt eine
ökonomische Philosophie, die „Ordnungspolitik“
genannt wird, bekräftigt der an der Uni Würzburg forschende Wirtschaftsprofessor.
Als Geist agiert Walter Eucken, der bis zu seinem Tod an der Uni Freiburg Volkswirtschaft gelehrt hat. Das Konzept für die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung
nennt sich die Freiburger Schule der Nationalökonomie (oder kurz Ordoliberalismus).
Eucken’s Wirtschaftsphilosophie hat laut Bofinger einen
positiven und einen negativen Aspekt: Auf der positiven Seite betont er die Vertragsfreiheit, offene Märkte, Privateigentum und robuste Kartellpolitik.
Auf der negativen Seite ist die Ablehnung des Keynesianismus zu erwähnen.
Die Rendite der deutschen Staatsanleihen mit 10
Jahren Laufzeit ist heute auf 0,034%
gefallen; das ist ein neuer Tiefswert, Graph:
FastFT
Während Keynes die Great Depression als Folge der
inhärenten Instabilität der Marktwirtschaft sah, betonte Eucken „eine
unzureichende Flexibilität der Löhne“ und wies auf „eine unangemessene
geldpolitische Ordnung“ hin.
Laut Eucken bieten flexible Preise und Löhne
sowie ein angemessener Rahmen der Geldpolitik ein zuverlässiges Mittel gegen
die Instabilität des Marktes.
So erklärt sich auch die dogmatische Haltung von
Wolfgang Schäuble, das Streben nach Vollbeschäftigung durch die Fiskalpolitik von
Anfang an kategorisch abzulehnen. Die katastrophalen Auswirkungen der
Austeritätspolitik auf die Nachfrage in einer Depression werden aber damit geflissentlich
vernachlässigt.
Fiscal Balances in Prozent des BIP, Deutschland
versus , Graph: Prof. Peter Bofinger
in voxeu: „German macroeconomics: The
long shadow of Walter Eucken“
Wie überlebt aber ein solch enges ökonomisches
Paradigma in Deutschland? Bofinger, der zugleich ein Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist, verweist auf die Daten: Die deutsche
Wirtschaft ist trotz seiner Grösse offen. Die Ausfuhren machen rund 46%
des BIP aus. Der entsprechende Wert beträgt für Japan 18% und für die USA
13%.
Bemerkenswert ist, dass 60% des Überschusses in
der deutschen Leistungsbilanz auf die Länder USA, Grossbritannien, Frankreich
und Italien entfällt; die Länder mit einem relativ hohen Haushaltsdefizit.
Kurzum: Deutschlands Wirtschaft wird durch die
Nachfrage-Politik von den Ländern, die die deutschen Ökonomen und Politiker harsch kritisieren (wegen des Haushaltsdefizits), unterstützt. Im Übrigen wird auch die
Arbeitslosigkeit somit ins Ausland exportiert.
Verlauf der Lohnstückkosten im Euroraum (zum
Vergleich sind auch Grosbritannien, USA und Japan im Chart abgebildet), Graph: Prof. Peter Bofinger in voxeu: „German macroeconomics: The long shadow of
Walter Eucken“
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