Das Ergebnis des britischen Referendums, die EU
zu verlassen, hat sicherlich eine Vielfalt von finanziellen, ökonomischen und
politischen Auswirkungen.
Das britische Forschungshaus, National Institute of Economic and Social Research aus London prognostiziert folglich einen Rückgang des BIP, der
Reallöhne und des privaten Konsums in Grossbritannien.
Denn jede künftige Vereinbarung mit den
EU-Behörden wird für das Vereinigte Königreich weniger vorteilhaft als die
gegenwärtige Binnenmarkt-Anordnung sein.
Es wird demnach eine geringere
Nachfrage nach britischen Exporten geben und es ist mit einer Abwertung der britischen
Landeswährung zu rechnen. Dies wird auf Lohnwachstum und dem privaten Verbrauch lasten.
Während die aktuellen Ereignisse auch die SNB
unter Druck bringen, sieht die wirtschaftliche Entwicklung in Europa insgesamt nicht
gut aus, um es milde auszudrucken. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed die Zinsen
in nächster Zeit erhöht, dürfte nun deutlich abnehmen.
Kathry
Holston und Thomas Laubach deuten in
einer neulich vorgelegten und lesenswerten Forschungsarbeit („Measuring the Natural Rate of Interest“)
nachdrücklich auf die Vorteile einer international abgestimmten geldpolitischen
Koordination hin, vor allem im Umfeld von besonders niedrigen
Gleichgewichtszinssätzen (natural rate of
interest), wo die sog. Spillovers
sich verstärken, wenn die nominalen Zinsen nahe Null Prozent (zero lower bound) liegen.
Euro-Raum; Produktionslücke (output gap) und der
natürliche Zinssatz, Graph: Kathry
Holston und Thomas Laubach in: „Measuring the Natural Rate of Interest“, June 2016.
Während der aktuelle Verlauf der Konjunktur im
Euro-Raum auf eine Stagnation hindeutet, fallen die Auswirkungen, die die
niedrigen Zinsen entfalten, umso mehr ins Gewicht.
Die neutralen Zinssätze für die USA,
Grossbritannien, den Euro-Raum und Kanada, Graph:
Bloomberg
Denn das Zinsniveau, zudem die Wirtschaft in Vollbeschäftigung
ist und die Preisstabilität als gewährleistet gilt, ist in den vergangenen
Jahren deutlich gefallen, wie die Autoren der Studie unterstreichen.
Für den Euro-Raum schätzen Holston und Laubach
den sog. neutralen Zinssatz auf minus
0,4% im Jahr 2015 (2007: 2%). Für die USA liegt der entsprechende Zinssatz
auf plus 0,4% (2007: 2,3%).
Wenn der Zinssatz, der die Wirtschaft ins
Gleichgewicht bringt, niedriger liegt als sonst, wird es für die Zentralbanken
schwierig, die Geldpolitik zu „normalisieren“. Das heisst, dass die Zinsen
weiterhin gedämpft bleiben dürften. Denn wenn es zu einer Krise (Rezession?)
kommt, wollen die Zentralbanken über genügend Spielraum verfügen, darauf zu
reagieren, um die Nachfrage anzukurbeln und die Wirtschaft weiter zu fördern.
Da aber die Politik den Einsatz von Fiskalpolitik
aus ideologischen Gründen kategorisch zurückweist, bleibt die unkonventionelle
Geldpolitik die einzige Möglichkeit im Spiel. Das bedeutet nichts Anderes als
wie bisher weiter durchwursteln.
Wenn aber die Produktionslücke geöffnet bleibt
und die Unterbeschäftigung sich erhöht und die Löhne nicht steigen, werden
Millionen von Menschen davon betroffen. Kein Wunder, dass der Rechtspopulismus vor diesem
Hintergrund für „Überraschungen“ sorgt, wie das heute bekannt gewordene Ergebnis des
britischen EU-Referendums in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Und so
gewinnt allmählich der Rechtsextremismus an Boden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, in Erinnerung
zu rufen, dass es die Anhänger des Ordoliberalismus sind, die sogar die
unkonventionelle Geldpolitik der EZB (Anleihen-Kaufprogramm) in einer schwer
angeschlagenen Wirtschaft als „versteckte monetäre Staatsfinanzierung“
ablehnen.
Otmar Issing beispielsweise hat sich gestern in
einem Interview mit dem Bloomberg TV für mehr „Wettbewerb unter Nationen“ in
Europa ausgesprochen, ohne mit der Wimper zu zucken. Was hat der ehemalige
Chef-Ökonom der EZB im Sinne? A rat race
of nations?
Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept: Die
Ausgaben des einen sind die Ausgaben des anderen. Die Welt als Ganzes kann ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht steigern. Und im Übrigen: Der Wettbewerb unter Nationen
hat nichts mit dem sinnvollen Wettbewerb unter Unternehmen zu tun.
Mit dem Standort-Wettbewerb schadet das eine Land
nicht nur einem Konkurrenten, sondern gleichzeitig einem Kunden. Man denke
daran, dass die Finanzierungssalden aller Wirtschaftssektoren (private
Haushalte, Unternehmen und der Staat) in Deutschland positiv sind. Nur das Ausland hat einen
negativen Saldo.
Finanzierungsalden der Wirtschaftssektoren in Deutschland, Graph: Heiner Flassbeck in: Makroskop
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