Es gab diese Woche ein paar interessante Artikel
zum Thema Bargeld-Abschaffung.
Narayana
Kocherlakota ist beispielsweise ein Befürworter. Der ehemalige Fed-Präsident von
Minneapolis (2009 bis 2015) vertritt in seiner Kolumne bei Bloomberg View eine
etwas eigensinnige Meinung: Wenn Sie freie Märkte wollen, schaffen das Bargeld
ab.
Wenn die Nachfrage nach sicheren Anlagen stark
genug ist, können die Realzinsen tief ins Negative fallen. Es gibt jedoch zwei
staatlich kontrollierte Mechanismen, die verhindern, dass die Realzinsen zu
weit in den negativen Bereich gehen, argumentiert der an der University of Rochester lehrende
Wirtschaftsprofessor weiter.
Der erste ist Bargeld, weil die Menschen Bargeld
horten würden, um Negativzinsen nicht akzeptieren zu müssen. Der zweite ist das
Versprechen der Zentralbanken, die Inflation niedrig und stabil zu halten. Der
Zielwert beträgt in den meisten fortentwickelten Volkswirtschaften rund 2
Prozent. Aus diesem Grund haben die Menschen weniger Anlass, eine Finanzanlage,
die weniger als minus 2% Ertrag abwirft, zu halten; vielleicht 3%, weil das
Bargeld sperrig und schwer zu lagern ist.
M.a.W. legt der Staat durch Cash-Ausgabe und
Inflationssteuerung eine Untergrenze fest, wie tief die Zinsen fallen und wie
hoch die Vermögenswerte steigen können. Das sei kein Freimarkt, so Kocherlakota
im Grossen und Ganzen.
Die öffentliche Hand verursache damit
Ineffizienz. Weil, wenn verhindert werde, dass die zukünftigen Preise nach
Gütern und Dienstleistungen steigen, werde die Nachfrage nach gegenwärtigen
Gütern und Dienstleistungen eingeschränkt. Die Nachfrageschwäche veranlasse
Unternehmen, weniger Arbeitnehmer einzustellen und weniger in neue Technologien
zu investieren, womit Überkapazitäten entstehen und die Produktivität niedrig
bleibe.
Kassenbestand von US-Unternehmen, Graph: FT, Aug 25, 2016
Um das Problem zu lösen, soll Bargeld abgeschafft
und electronic cash eingeführt
werden. Die Zinsen können damit so tief in den negativen Bereich fallen, wie
der Markt es will.
Ich weiss nicht. Die Argumentation leuchtet mir
nicht ein und scheint, ehrlich gesagt, zu weit hergeholt.
Wieviel Cash passt in einen Aktenkoffer, unter
ein Doppelbett, einen Umzugswagen, ein Hotelzimmer einer durchschnittlichen
Grösse?, Graph: FT
Auch Scott
Sumner denkt so: Das Argument, das Bargeld (cash) sei die Ursache der Nullzins-Grenze (zero lower bound) Problematik, ist seiner Meinung nach nicht
überzeugend. Denn die schwere Rezession von 2008 hat mit Nullzins-Grenze
überhaupt nichts zu tun. Die Zinsen lagen am Vorabend der Krise deutlich höher
als Null.
Das eigentliche Problem war, dass die
Nullzins-Grenze eine Notwendigkeit für unkonventionelle geldpolitische Stimulus-Massnahmen
hervorgebracht hat. Aber die grossen Zentralbanken waren zurückhaltend,
genügend stark unkonventionelle Massnahmen zu ergreifen, erklärt Sumner.
Die Lösung wäre vermutlich eine psychologische
Beratung für Zentralbanker, nicht die Abschaffung des einzigen allgemeinen
Zahlungsmittels.
Kassenbestand der grössten US-Unternehmen, Graph: FT
Ironischerweise hat sich einer der wenigen
Zentralbanker, die vor kurzem aggressivere monetäre Impulse forderten, nun dem Appell
für Bargeldabschaffung angeschlossen: Das ist Kocherlakota, ruft Sumner in
Erinnerung.
Und Bargeldabschaffung ist aus verschiedenen
Gründen eine schlechte Idee, erläutert Sumner weiter.
Es gibt keine gute theoretische Rechtfertigung,
Bargeld abzuschaffen.
Weil es eine alternative Option gibt: ein höheres
Inflationsziel. Die Zielinflationsrate der Zentralbanken kann höher angesetzt
werden, von 2% z.B. auf 4%. Das gewöhnliche Argument dagegen ist aus den volkswirtschaftlichen
Standardbüchern bekannt: „Schuhsohlen-Effekt“
(„shoe leather“ cost of inflation).
Gemeint ist der Umstand, dass die Menschen bei hoher Inflation häufiger zu
Geldautomaten gehen müssen (*), was unser Geldsystem etwas weniger effizient
machen würde.
Das Argument macht aber keinen Sinn, v.a. wenn
das Inflationsziel wegen des Rückgangs des Wicksellian gleichgewichtigen Realzinses angehoben wird, wie der an der Bentley
University lehrende Wirtschaftsprofessor unterstreicht.
Dass der neutrale Realzins heute wesentlich tiefer
liegt als 10 oder 15 Jahren, sind sich die meisten Ökonomen weitgehend einig.
Sumner plädiert am Schluss, nach Aufzählung von
weiteren Aspekten, die gegen die Bargeldabschaffung sprechen, die
Inflationssteuerung (inflation targeting)
durch nominelle BIP-Steuerung (nom NGDP
level targeting) zu ersetzen, womit er mehr oder weniger sein Steckenpferd
reitet:
Der Punkt eines höheren Inflationsziels ist, dass
es einfacher wäre, die Nominalzinsen über der Null-Marke zu halten. Und da die
Nominalzinsen die Opportunitätskosten der Kassenhaltung (cash holding) sind, würde ein höheres Inflationsziel den
Cash-Haltern nicht mehr schaden wie z.B. in den 1990er Jahren, wo die
Nominalzinsen deutlich über der Nullzins-Grenze lagen.
Auch JP
Koning nimmt in seinem Blog zum Thema Stellung und schreibt in einem
langatmigen Eintrag, dass er aus libertarian
Gründen eher Kocherlakota beipflichtet als Sumner. Die Einzelheiten sind
ostentativ.
Und Kenneth
Rogoff präsentiert in diesen Tagen sein neues Buch („The Curse of Cash“). Der an der Harvard
University forschende Wirtschaftsprofessor gehört in Sachen pro-Bargeldabschaffung
sicherlich zu den Hardliners.
Die Nachfrage nach Cash steigt, Graph: FT, Aug 16, 2015
Zu weiteren Anhängern der Bargeldabschaffung
zählen u.a. Miles Kimball, Marvin Goodfriend, Andrew Haldane.
Fazit: Die „Anklagepunkte“
gegen Cash lassen sich im Wesentlichen rasch zusammenfassen: Bargeld ist
ineffizient, Bargeld fördert Kriminalität und Bargeld beeinträchtigt
Geldpolitik.
Ich stimme mit Heiner Flassbeck überein, dass der Skandal unserer Zeit nicht die
hohen Ersparnisse der privaten Haushalte, sondern die Nettoersparnisse der
Unternehmen sind.
Denn die zugrundeliegende Idee läuft darauf
hinaus, die Bürger durch die Abschaffung des Bargeldes zum Ersatzstaat zu
machen. Wenn die Notenbank das Bargeld abschafft, wird der Bürger gezwungen,
seine Ersparnisse zu verpulvern. Und so wird die Wirtschaft angekurbelt.
Da der Defizitfetischismus (Stichwort: „SchwarzeNull“ und/oder Schuldenbremse) keine expansive Fiskalpolitik in einer
Liquiditätsfalle zulässt, und die Politiker trotz der anhaltenden Depression am
Kurs der Austerität festhalten, muss die Masse der privaten Sparer die
Konjunktur steuern. Das ist der Offenbarungseid der Volkswirtschaftslehre im
weitesten Sinne, wie Flassbeck beschreibt:
Die Forderung nach einem Bargeldverbot, um die
konjunkturelle Wirksamkeit der Geldpolitik zu verbessern, bedeutet daher nichts
anders als dass die privaten Haushalte eine Stabilisierungsaufgabe übernehmen
(sollen), die eigentlich dem Staat gehört.
Was die privaten Haushalte heute brauchen, sind
positive Einkommensaussichten.
Und wie Flassbeck weiter darlegt, „hat nur der
Staat die gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten, vorausschauend und korrigierend
einzugreifen.“
„Die privaten Haushalte
eignen sich weder zur langfristigen Stabilisierung des Systems noch zur
Konjunktursteuerung. Langfristig
müssen die Unternehmen wieder dazu gebracht werden, sich zu verschulden und zu
investieren statt auf riesigen Kriegskassen zu sitzen. Und kurzfristig muss der
Staat eingreifen, um die Geldpolitik zu unterstützen“.
(*) Schuhsohleneffekt: Die Schuhsohlen werden
wegen häufiger Wege zur Bank (zur Anpassung der Kassenhaltung) rascher
abgelaufen.
2 Kommentare:
Eines der wenigen Beiträgen (in der Blogosphäre) zum Thema, welches differenziert aktuelle Positionen zum Thema zusammenfasst und kommentiert.
Für mich ist es übrigens der erste Beitrag, der ein gutes Gegenargument gegen Bargeldabschaffung liefert, nämlich: nicht der Konsument soll seine Ersparnisse verpulvern, sondern die vielen meist international agierende Unternehmen müssen ihre "Kriegskassen" ausdünnen. Die aktuelle Diskussion um Steuernachzahlungen für Apple in Europa bzw. der Weigerung US-amerikanischer Unternehmen, ihre Kriegskassen ins Inland zu transferieren, spricht bereits Bände.
Meine Haltung dazu muss ich verdeutlichen: Ich finde, dass Silvio Gesell eine zutreffende Analyse gemacht hatte, und das Wörgl-Experiment gab ihn auf beeindruckende Art und Weise recht. Das alles ist mit Bargeldabschaffung erreichbar. Die Frage ist übrigens, ob der Negativzins ausschlaggebend war oder eher die begrenzte "Reichweite" der Wörgl-Währung, der ein wegsickern des Zahlungsmittels woanders unterband.
Das Argument, dass es nicht angeht, dass der Konsument seine Ersparnisse verpulvern soll trifft bei näherem Hinsehen nur begrenzt zu. Längerfristig gebundene Ersparnisse sind von den Negativzinsen nicht (bzw. weniger) betroffen, weil es angelegte Gelder betrifft, im Gegensatz zu den liquiden Kriegskassen der großen Unternehmen. Somit ist das eigentliche Problem der zu flach gewordene Zinsstrukturkurve. Wenn Bargeldabschaffung die Zinsstrukturkurve "normalisieren" hilft (wenn auch nach unten verschoben), gibt es keinerlei Gründe, Angst zu haben, dass sparende Konsumenten im Saldo verlieren würden. Der Grund ist ganz einfach: die Geldmenge würde sich früher oder später von selbst besser verteilen. Zwar würde eine Flucht in Sachwerte einsetzen, aber das Geld ist damit nicht "weg" (heiße-Kartoffel-Effekt).
Ein progressiver Negativzinssatz könnte ebenfalls eine positive Wirkung entfalten: Ausgehend von einem natürlichen Gleichgewichtszinssatz im negativen Bereich. Etwa ein linearer Anstieg des Negativzinssatzes pro Guthaben-Dekade (also z.B. bei 1000 € 0%; 10.000 € -1%; 100.000 € -2% usw.). Fragt sich nur, an wen die Negativzinsen entrichtet werden bzw. werden sollte.
ja,ja die Märchen, die uns erzählt werden von der Macht der Zinsen, die glauben wir ganz fest ohne die zu hinterfragen. Die ZB steuert die Konjunktur mit dem Zins! Es würde reichen ein höheres Inflationsziel zu setzen - und schon würden sich die "Erwartungen" ändern. Märchen - wers glaubt wird seelig...In Wahrheit steuern die ZB mit dem Zins gar nix! Sinkende Zinsen haben entgege aller theoretischen Erwartungen keinen Aufschwung bewirkt. "Unkonventionelle Geldpolitik" also v.a. QE ziehlt auf Reservenexpansion - das ist Monätarismus - pur!!! Manche glauben aber (wie H. Flassbeck) Monätarismus bei den Zentralbankern wäre tot. Das Gegenteil ist der Fall - Monätarismus lebt und zwar besser als jemals zuvor!
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