Man kann es drehen und wenden, wie man will. Aber
die Weltwirtschaft steckt immer noch in einer Liquiditätsfalle. Dazu kann nicht
genug betont werden, dass dies zum ersten Mal seit der Great Depression in den 1930er Jahren geschieht.
Wenn die Zentralbanken die Zinsen senken,
beabsichtigen sie damit, die Wirtschaft anzukurbeln. Die Niedrigzinsen sollen
die Sparer animieren, die Ausgaben zu erhöhen, und dazu beitragen, dass das
Kapital zu riskanteren Anlagen mit höheren Renditen umgeschichtet wird. Die gesunkenen
Kreditkosten sollen alles in allem Unternehmen und Konsumenten zu Gute kommen.
Niedrige Realzinsen gehen i.d.R. mit einer
Währungsschwäche einher, was das Wirtschaftswachstum fördern soll, durch das
Exportgeschäft, das damit wettbewerbsfähiger wird.
Das Ziel ist also, die Wirtschaftssubjekte zu
einem reflationären Verhalten zu verhelfen, um das Wirtschaftswachstum zu
stimulieren.
Wie funktioniert aber der geldpolitische
Transmissionsmechanismus, wenn die Zinsen negativ werden?
Es gibt ein Dilemma: Wenn die Zinsen negativ
werden, verringert sich die Umlaufgeschwindigkeit (velocity of money). Das heisst, dass das Geld in der Realwirtschaft
nicht richtig ankommt, wie das Beispiel Japan nahelegt.
Die geldpolitischen Massnahmen der EZB seit Juni
2014, Graph: ECB, Annual Report 2015
Die empirischen Daten zeigen, dass die
Umlaufgeschwindigkeit des Geldes tatsächlich gesunken ist. Und der Rückgang
der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erhöht den Deflationsdruck, wie in einem
lesenswerten Artikel („The global
liquidity trap turns more treacherous“) in FT erläutert wird.
Sehen Verbraucher fallenden Preisen gegenüber,
reduzieren sie die Kauftätigkeit. Der Kauf von neuen Autos wird beispielsweise
aufgeschoben. Und die Deflation erhöht die Realzinsen, womit der Wert der
Währung steigt. Für Kreditnehmer steigt zugleich die reale Last der Schulden.
Die Zentralbanken greifen dann auf
unkonventionelle Mittel zurück, wie z.B. die QE-Politik. Wenn aber die
Geldpolitik die einzige Möglichkeit ist, erzeugen negative Zinsen noch mehr
negative Zinsen, womit die Wirtschaft in einen Teufelskreis gerät.
Overnight Index Swap (1 Jahr) USD versus EUR, Graph: Peter Praet, ECB, April 7, 2015
Die Geldpolitik richtet sich primär an zyklische
Probleme der Wirtschaft, nicht an strukturelle. Es ist daher bizarr, wenn die
Politik in Europa mit der Geldpolitik Struktur-Reformen anstrebt.
Die Fiskalpolitik wird kaum eingesetzt, um das
Wirtschaftswachstum zu stützen. Wir wissen, warum: Die im Euro-Raum
vorherrschende neoliberale Doktrin, die ja zumindest seit dem Ausbruch der
Finanzkrise von 2008 keine Abhilfe geschaffen hat, triumphiert wider besseres Wissen
über dem Standardlehrbuch der Volkswirtschaftslehre. Und die Menschen bleiben
auf der Strecke.
PS:
Die EZB bemerkt im heute veröffentlichten
Jahresbericht (Annual Report 2015), dass die geringe Verzinsung der
Einsparungen ein Symptom, nicht die Ursache für die schleppende Erholung der europäischen Wirtschaft ist.
3 Kommentare:
Hm, ich bin ein bisschen faff, nachdem ich las:
"Es gibt ein Dilemma: Wenn die Zinsen negativ werden, verringert sich die Umlaufgeschwindigkeit (velocity of money). Das heisst, dass das Geld in der Realwirtschaft nicht richtig ankommt, wie das Beispiel Japan nahelegt."
Anschließend wird dies als empirisch belegt gedeutet. Dazu zwei Anmerkungen:
1. Warum ich baff war: Negativzinsen sollen eigentlich die Mobilität des Geldes befördern, weil es mehr den Charakter einer heißen Kartoffel bekommt. Und noch etwas: Vor genau 100 Jahren hat Silvio Gesell gegen deflationären Tendenzen Entwertungen von Geldscheinen vorgeschlagen. Funktioniert hat es übrigens in Wörgl, wobei anzumerken ist, ob die Tatsache, dass die Wörgl-Schilling nur eine örtliche Währung war bereits ausreicht, um einen dauerhaft guten Geldumlauf zu bewerkstelligen.
Meine Vermutung, warum dieser Effekt noch nicht eingetreten ist: die Banken geben die Negativzinsen nicht an ihre Kunden weiter.
2. Wenn das mit Negativzinsen belegte Geld "in der Realwirtschaft nicht richtig ankommt" ist das eigentlich kein Umlaufgeschwindigkeitsproblem in der Realwirtschaft, sondern ein Mengenproblem. Die größere Menge hält sich wohl in der Finanzwirtschaft auf. Kein Wunder. QE bewerkstelligt genau das, und daher gibt es nun die Diskussion um das Helikoptergeld.
Anmerkung zur These, dass es ein Problem sei, dass Verbraucher in einer Deflation eher mit Anschaffungen warten würden: Man hört das immer wieder. Warum eigentlich? Fast alle technische Produkte werden nach deren Einführung billiger. Der Wahre Grund ist wohl die, dass nominelle Geldwertsteigerung liquider Mittel zu hortungsmäßiger Aufbewahrung für Spekulationszwecke führen. Der andere - bereits genannte Grund - ist die der Erschwerung von Schuldenlasten, was zu Deleveraging-Effekten führt (Stichwort Bilanzrezession).
Hier ist ein Beitrag aus dem Jahr 2009 (Oktober) in diesem Blog zum Thema „velocity of money“.
http://acemaxx-analytics-dispinar.blogspot.de/2009/10/ben-bernanke-fed-fur-zinswende.html
Und ein weiterer Beitrag aus dem Jahr 2012 (Oktober) zu der Frage der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Im Übrigen stehen deine Bemerkungen nicht im Widerspruch zum Inhalt des Blog-Beitrags; sie ergänzen sich im besten Fall. Wir machen uns ja Gedanken, warum das Geld in der Realwirtschaft nicht ankommt.
http://acemaxx-analytics-dispinar.blogspot.de/2012/10/snb-und-qe.html
Ich habe beide Beiträge gelesen. Ich habe vergessen, zu bedenken, dass die Umlaufgeschwindigkeit sich auf die Gesamtgeldmenge bezieht, die zu einem beliebigen Zeitintervall zur "Messung" der Umlaufgeschwindigkeit den Referenzwert bildet.
Was ich bloß meinte ist die Änderung der absoluten Umlaufgeschwindigkeit.
Wenn aber negative Zinsen durch QE bewerkstelligt werden ist natürlich klar, dass negative Zinsen mit einer Verringerung der Umlaufgeschwindigkeit einhergehen. Obwohl man fairerweise - im Sinne des 2009er Beitrages.
Aber ich denke schon, dass es viel interessanter ist, zu beobachten, was für einen Einfluss Zinsen auf die absolute Umlaufgeschwindigkeit bewerkstelligen, oder welchen Einfluss die "Krümmung" der Zinsstrukturkurve ergibt.
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