Die britische Notenbank (BoE) hat am Donnerstag den
Leitzins um 0,25% auf 0,25% gesenkt. Das ist die erste Zinssenkung (*) seit
sieben Jahren. Das Pfund Sterling hat sich gegenüber Währungen aus fast allen Industrieländern
abgewertet. Und die Renditen der britischen Staatsanleihen (Gilts) sind
gefallen, während die Aktienpreise (FTSE 100) gestiegen sind.
Die BoE versucht mit der Zinssenkung und der
Aufstockung des Staatsanleihenkaufprogramms (nun insgesamt 60 Mrd. £) einen
Einbruch der britischen Konjunktur nach dem Brexit-Beschluss zu verhindern.
Mark
Carney, BoE-Gouverneur (**) hat bei der Vorstellung des neuen Massnahmenpakets
angedeutet, dass die Zinsen weiter gesenkt werden können. Allerdings hat der
Notenbanker mit dem kanadischen Pass betont, dass er „kein Fan von
Negativ-Zinsen“ sei: „Wir sehen negative Folgen für das Finanzsystem und
Probleme für die Sparer“.
Zur Erinnerung: Carney agiert zugleich als
Vorsitzender des Financial Stability
Board (FSB), einer G20 Institution mit Sitz in Basel, die das globale Finanzsystem
überwacht und Empfehlungen abgibt.
Während also Mario
Draghi, ECB und Haruhiko Kuroda,
BoJ darauf bestehen, dass die Negativ-Zins-Politik (NIRP) funktioniert, teilt
Carney mit Janet Yellen, Fed die
Ansicht, dass die NIRP u.U. nicht viel taugen kann.
Negativ-Zinsen und Zentralbanken, Graph: Bloomberg
Das bedeutet natürlich nicht, dass die EZB falsch
liegt. Was anderswo funktioniert, muss nicht unbedingt auch in Grossbritannien gut
funktionieren, zumal Grossbritannien weniger auf die Banken angewiesen ist als
die anderen EU-Länder oder Japan.
Ein Überblick über die von der BoE am Donnerstag
ergriffenen Massnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Graph: FT
Adam
Posen, PIIE hält es aber für falsch, dass die BoE die NIRP von vornherein
ausschliesst. Carney kann seine NIRP-Zurückweisung später bereuen, wenn die
Dinge nicht so laufen wie erwartet, argumentiert das ehemalige Mitglied des
geldpolitischen Ausschusses der britischen Notenbank.
Unabhängig davon, wie es ist, erinnert Simon Wren-Lewis in seinem Blog daran,
was das Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre dazu sagt: Wenn die nominalen Zinsen
nahe null liegen und die Geldpolitik an Zugkraft verliert, muss Fiskalpolitik
eingesetzt werden.
Die Rendite der britischen Staatsanleihen mit 10
Jahren Laufzeit, Graph: @FastFT
Eine Frage, die damit zusammenhängt, ist, warum die
BoE das gesamte Volumen des Anleihekaufprogramms erhöht? Die Antwort liegt auf
der Hand; weil die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound). Und weil die Auswirkungen der QE-Politik extrem
ungewiss sind und von Helicopter Money nicht Gebrauch gemacht wird, sind wir
auf fiskalpolitische Massnahmen angewiesen, um die Zinssenkung zu stützen, erklärt
Wren-Lewis.
Wenn die Zinsen an der unteren Null-Grenze
ankommen, gilt es, das Defizit zu vergessen und sich darauf zu konzentrieren, wie
die Rezession vermieden werden kann. Die jüngste QE-Aktion der BoE zeigt
nämlich, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, diesen Schritt hinaus zu
verzögern. Es sollte jetzt geschehen, so der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor mit Nachdruck.
Grossbritanniens Wirtschaftswachstum, Graph: @FastFT
Auch Narayana
Kocherlakota befasst sich in seiner Kolumne bei Bloomberg mit dem Thema, was die öffentliche Hand
unternehmen kann, um die anhaltende wirtschaftliche Schwäche anzugehen und das Wachstum
zu fördern.
Der ehemalige Fed-Präsident (2009 bis 2015) von Minneapolis
schreibt, dass der Staat in die Sanierung von bröckelnden Strassen, Brücken und
in die Infrastruktur im Allgemeinen investieren soll. Die American Society of Civil Engineers schätzt den Bedarf an
US-Infrastruktur in den nächsten vier Jahren auf 4’000Mrd. USD, um eine
brauchbare Form beizubehalten.
Der an der University
of Rochester lehrende Wirtschaftsprofessor nimmt kein Blatt vor den Mund
und nennt eine weitere Massnahme: Der Staat könnte im nächsten Jahrzehnt jährlich
10'000 USD an alle Haushalte verteilen. Viele würden das Geld vermutlich auf
die Bank bringen und sparen wollen. Aber diejenigen, die sonst nicht in der
Lage sind, Kredit aufzunehmen, das sind i.d.R. ärmere Haushalte, würden das Geld
sofort für den Konsum ausgeben. Und diese Ausgaben würden die Nachfrage
ankurbeln und Unternehmen veranlassen, Investitionen zu erhöhen, und mehr
Arbeitskräfte einzustellen.
Zu guter Letzt schreibt The Economist aus London heute, dass die neuste Forschung nahelege,
wie die Bedeutung der stimulierenden Fiskalpolitik heute allmählich zunimmt,
v.a. wenn die nominalen Zinsen nahe oder unterhalb von null Prozent liegen.
Das Hauptargument der britischen Zeitschrift ist
im Grunde genommen, dass die anhaltend niedrigen Zinsen das Ende der
Unabhängigkeit der Zentralbanken markieren könnten. In vielen Ländern ist die
Zentralbank schliesslich eine Sparte der Regierung. Und die Unabhängigkeit der
Zentralbanken wurde einst eingeführt, um etwas Disziplin in Bezug auf einen freizügigen
Einsatz von Fiskalpolitik zu bringen.
(*)
Das war übrigens die 666. Zinssenkung seit der Pleite von Lehman Brothers, wie Bank
of America Merrill Lynch unterstreicht.
(**)
Carney hat angekündigt, im Rahmen einer Term Funding Scheme (TFS) Banken bis zu
100 Mrd Pfund leihen zu wollen.
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