Selbst die deutsche Bundesbank hat gemahnt: Die
Niedrigzinsen bedrohen die Finanzstabilität.
EZB-Präsident Mario Draghi hat zwar die
Niedrigzinsen mehrmals verteidigt: weil Nichtstun grösstes Risiko wäre. Aber
die Verfechter der Austeritätspolitik werden nicht müde, zu klagen, dass die
Niedrigzinsen Bubbles (auf den
Aktien- und Bond-Märkten) auslösen, eine übermässige Risikobereitschaft fördern
und damit die Finanzmarktstabilität gefährden können.
Es liegt nahe, zu sagen, dass das geschilderte
Szenario nicht völlig ausgeschlossen ist. Denn in den Finanzmärkten ist beinahe
nichts unmöglich.
Der deutlichste Grund ist allerdings die
historische Erfahrung. Die japanischen Zinsen beispielsweise liegen seit zwei
Jahrzehnten nahe Null oder auf Null. Es gab trotzdem keine Anzeichen einer
Katastrophe auf den Finanzmärkten, schreibt Noah Smith in seiner Kolumne („Low
rates are here to stay“) bei Bloomberg View.
Die Risikobereitschaft blieb bisher gering und es
gab keine grossen Blasen. Das heisst, dass Japans Fall deutlich zeigt, dass
Niedrigzinsen nicht unbedingt zu einer Instabilität auf den Finanzmärkten
führen müssen, so der ehemalige Assistant Professor der Finanzwissenschaft an
der Stony Brook University.
Der Verlauf des Realzinses unter verschiedenen
Szenarien, Graph: E. Gagnon, B.K.
Johannsen and D. Lopez-Salido in: „Understanding
the New Normal: The role of demographics“, Fed Washington, Oct 3, 2016.
Was mag aber der Grund sein, dass die Zinsen auf
unbestimmte Zeit um die Null-Grenze schwanken, ohne Investoren zum schlechten
Verhalten zu bewegen?
Die Antwort: Es kommt darauf an, warum die Zinsen
ursprünglich so niedrig sind. Wenn das Geld günstig ist, weil die Zentralbanken
gestützt auf ihre Macht die Zinsen niedrig halten, dann liegt es nahe, anzunehmen,
dass die Investoren das billige Geld aufnehmen und in riskantere Dinge
investieren als sie es sonst tun würden. Wenn die Zinsen aber wegen der
natürlichen Kräfte der Wirtschaft niedrig sind, und die Zentralbanken damit
wenig zu tun haben, dann gibt es keinen Grund, zu erwarten, dass die Investoren
ihre Risikobereitschaft erhöhen.
Die Zinsen sind ein Preis; der Preis des Geldes
in Zukunft, mit Bezug auf das heutige Geld. Auf kurze Sicht können die
Zentralbanken diesen Preis beeinflussen, indem sie Wertpapiere kaufen und
verkaufen. Wenn sie den Preis verzerren, können wir damit rechnen, dass die
Verzerrungen sich an anderer Stelle zeigen, als Anstieg der Inflation und beispielsweise
in Form von Spekulationsblasen, wie Smith erläutert.
Aber der Preis kann auch von einer Reihe von
langfristigen Faktoren beeinträchtigt werden. Zum Beispiel, wenn die Menschen
oder Unternehmen „geduldiger werden“ und die Zukunft im Vergleich zur
Vergangenheit relativ betrachten. Dann ist zu erwarten, dass die Zinsen fallen,
da die Menschen weniger Anreiz hätten, um Geld zu sparen.
Der wohl wichtigste langfristige Bestimmungsfaktor
des Zinses ist aber das Tempo des Wirtschaftswachstums.
Die Zinszahlungen sind ein Anspruch auf die künftige Produktionsleistung (economic output). Wächst der Output
rasch, verlaufen die Zinsen tendenziell hoch. Es gibt aber verschiedene Kräfte
in der modernen Welt, die das Wachstum nach unten drücken können. Niedrigere
Wachstumsraten bedeuten niedrigere Zinsen, auch ohne Zutun der Zentralbanken.
Zu den Faktoren, die das Wachstum zurückhalten,
zählt z.B. ein langsameres Produktivitätswachstum.
Aber auch demographische Gründe wie eine alternde Bevölkerung gehören dazu.
Eine vielleicht wichtigste Determinante ist allerdings der Lohn, worüber die Mehrzahl der etablierten Ökonomen heute leider
nicht viel redet, was von Smith leider nicht erwähnt wird.
Denn das Wachstum wird i.d.R. vom privaten Konsum
und den Investitionen von Unternehmen getragen. Weniger Lohn und/oder sich
verschlechternde Einkommensaussichten bedeuten daher weniger Nachfrage durch
die Verbraucher und damit weniger Konsum. Wenn die Unternehmen deswegen nicht
investieren, und die öffentliche Hand aus ideologischen Gründen zu einer
Gürtel-enger-schnallen-Politik (fiscal
austerity) verdammt wird, dann ist die Botschaft klar: Die Zinsen dürften
noch eine lange Zeit auf dem niedrigen Niveau verharren. Und die Niedrigzinsen
stellen daher wahrscheinlich keine drohende Gefahr für die
Finanzmarktstabilität dar.
Wenn die Löhne nicht entsprechend der
Produktivität plus der Zielinflationsrate der EZB steigen, gibt es wenig Anlass, demnächst eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft kommen zu sehen.
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